Sven Haupt: Wo beginnt die Nacht. Eridanus

Witziges Cross-over voller Sprachhumor

Haupt Nacht

 

Sven Haupt wirft Lesende sofort in die erste Szene, aus der sie verwirrt in die nächste fallen und so geht es eigentlich immer weiter: Ein offensichtlich alkoholabhängiger Mann, von dem wir später erfahren, dass er Arzt ist, und eine weiße, sprechende, geflügelte Katze reisen in einem durch Zeit und Dimensionen springenden Haus von einer Welt in die andere. Sven Haupt reiht in eindrucksvoller, oft lyrisch anmutender Sprache eine düstere Szene an die nächste. Es sind alles Welten, die gerade zerfallen oder bereits zerfallen sind: „Regen fiel in dichten Schleiern aus einem grauen Himmel, sodass der Eindruck entstand, die grauen Fassaden zerfielen auf halbem Weg den Himmel hinauf einfach in trostlosen Regen und kehrten zum Boden zurück.“ Wie auch in diesem Beispiel ist die Sprache oft atmosphärisch dicht und wunderschön, die gezeichneten Bilder erschließen sich mir aber selten ganz, entweder weil das Dargestellte physikalischen Regeln widerspricht oder weil es unvollständig ist. Darauf muss man sich einlassen.

 

 

Der Mann und die Katze, so wird bald deutlich, suchen etwas. Etwas, das die Welt retten soll. Es geht um Zeitlinien und Dimensionen, um Magie und Gefahr – aber was genau passiert, bleibt ebenso unklar, wie die Beziehungen der Personen, die im Haus leben. Neben der Katze und dem Mann lebt dort noch eine etwas grob erscheinende alte russische Frau und später Clawdia, eine junge Frau, die nach ihrem Auftauchen bald zu einer zentralen Figur des Textes wird. Meines Erachtens hat der Text aber bis zum Ende keine klare Hauptfigur, wir folgen mal dem Mann, mal der Katze und mal Clawdia, wobei durch die Absurditäten nicht immer sofort klar ist, wem man gerade folgt oder wer wer ist. Die Perspektive bleibt dabei immer auktorial, so dass wir mit einer gewissen (oft ironischen) Distanz auf die Figuren blicken.
Der Text ist von einem feinsinnigen und oft absurden Humor durchzogen, der meines Erachtens die ganz große Stärke dieses Werkes darstellt. Da gibt es beispielsweise einen Kühlschrank, der direkt in eine arktische Eishöhle führt, was praktisch wäre, würde nicht der Bär darin das Bier verteidigen, so dass man es sich nur unter großer Gefahr nehmen kann. Der Text ist an vielen Stellen auf eine spielerische Art surreal, erinnerte mich an Inspektor Mops von Ryek Darkener oder die Scheibenwelt-Texte von Terry Pratchett. Auch dort gibt es mit Zauberer Rincewind einen absolut unfähigen Haupthelden, so wie auch hier die Held*innen eher zufällig etwas hinzubekommen scheinen. Auch an Douglas Adams musste ich denken. Humor gut in Text zu verpacken ist eine Kunst, die Sven Haupt mit diesem Text meines Erachtens grandios gemeistert hat. Viele Szenen haben eine Situationskomik, die mich sehr begeistert hat und die Dialoge glänzen oft vor Absurdität. Dazwischen gibt es immer wieder fast philosophische Gesprächsanteile und kritische Bezüge auf unsere Jetztzeit wie „Meine Erfahrung mit Menschen ist, dass je lauter sie sich über die Umstände beklagen, desto genauer wissen sie eigentlich, was als Nächstes getan werden muss. Sie reden jedoch beständig weiter, um zu verhindern, dass sie der Alternativlosigkeit ihrer Situation ins Auge sehen müssen.“

Vom Genre her ist „Wo beginnt die Nacht“ ein klar fantastischer Text, den ich als Fantasy einordnen würde. Es gibt zwar Science-Fiction-Elemente, diese sind aber sehr hintergründig. Ob die Reisen des Hauses nun Magie oder irgendwie wissenschaftlich erklärbar sind, bleibt offen. Und wie so oft bei Zeitreisegeschichten bekommt man, wenn man zu genau darüber nachdenkt, einen Knoten im Hirn.

Auch wenn der Text sprachlich auf hohem Niveau ist, fällt doch auf, dass das Korrektorat an zu vielen Stellen versagt hat: Da wird aus einem Landhaus ein Langhaus und aus Angst Augst, manche Sätze wirken holperig und unbeholfen, als sei da nach einer Umstellung die Endkorrektur nicht erfolgt. Auch Wortdoppelungen häufen sich an manchen Stellen, so fliegen zum Ende hin dauernd Türen krachend auf. Besonders störend empfand ich die an zu vielen Stellen fehlenden Anführungszeichen, so dass ich mir in Dialogen häufig zurechtpuzzeln musste, was jetzt wörtliche Rede ist und was nicht. Gestolpert bin ich auch über die Verwendung des Wortes „Rasse“ bzw. so merkwürdiger Wortschöpfungen wie „Rassengedächtnis“ – meines Erachtens nutzt Sven Haupt das Wort „Rasse“, wenn er eigentlich „Spezies“ meint – auch das hätte ein gutes Korrektorat korrigieren ;) müssen.
Trotzdem habe ich an diesem Text enorm viel genossen und er gehört zu meinen Highlights des Jahrgangs 2022. Die Stärke sind für mich eindeutig die Dialoge. Zum Glück gibt es davon viele, aber es gibt auch gelungene rasante Szenen, inklusive Kampf und Verfolgungsjagd, wobei der Text nach dem lyrischen Anfang die atmosphärische Dichte verliert. Aber sie wird durch andere Qualitäten wettgemacht, so dass ich damit gut leben kann.

Als Schwachstelle im Text habe ich es empfunden, dass der Plot so viele Haken schlägt, dass er an vielen Stellen nicht nachvollziehbar ist. Wer in welcher Welt und in welcher Zeitlinie was tut und was eigentlich die immer wieder benannten Parasiten sind, wurde für mich bis zum Ende des Textes nicht deutlich. Ich habe trotzdem mit viel Vergnügen gelesen, einfach weil Humor, Sprache und Eigenwilligkeit der Figuren mich durch diesen Text trugen. Am Ende habe ich mir aber doch gewünscht, dass ich verstehe, ob die Rettung der Welt jetzt gelungen ist - und wenn ja ,warum. Ich möchte hier nicht zu viel verraten, nur so viel: Die Weltenrettung scheint gelungen. Für mich schließt das Ende zwar einige Erzählbögen, aber leider bei Weitem nicht alle. Die Einführung von Außerirdischen auf den letzten Seiten wirkt auf mich unbefriedigend, vor allem weil ich deren Rolle in dem Ganzen nicht verstehe. So bleibt bei allem Lesegenuss bei mir das unbefriedigende Gefühl eines zu offenen Endes. Aber auch das trübt mein allgemeines Lesevergnügen nur wenig.

Kategoriale Einschätzung

Unterhaltung: 3 von 3
Sprache/Stil: 2 von 3
Spannung: 1,5 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2,5 von 3
Originalität: 2,5 von 3
Tiefe der Thematik: 2 von 3
Weltenbau: 2,5 von 3
Gesamt: 16 von 21