Sarah Stoffers: Berlin: Rostiges Herz. Amrun

humorvolle Kriminalgeschichte

Berlin rostiges Herz„Rostiges Herz“ ist ein Magie-Steampunk-Roman, der in einem fiktiven Berlin in ca. 900 Jahren spielt. Der Klimawandel hat das Leben sehr schwer gemacht, aber die Wiederentdeckung der Magie ermöglichte eine Rettung. Nachdem unsere Welt samt der technischen Errungenschaften untergegangen ist, tobt nun ein ewiger Kampf zwischen Magiebegabten und Erfinder*innen, denn die Magiebegabten sehen sich als Retter*innen und die Ingenieur*innen als Grund des alten Übels. Das sorgt natürlich für einigen Unmut, der nur mühsam in Schach gehalten wird.
Die beschriebenen Spannungen zwischen zwei Gruppierungen, die auch in verschiedenen Stadtteilen leben, zeigt Stoffers anhand zweier Figuren: Da ist Mathilda Sturm, eine Erfinderin, die nicht mehr erfindet, sondern nur noch repariert, und Fidelio Lafrenz, ein Zauberlehrling und Illusionist, der sich nicht an die Regeln halten möchte. Beide sind in Rosa verliebt, eine so sympathische Person, dass alle sie mögen. Das klingt erst einmal wie eine klassische Dreiecksgeschichte. Aber zum Glück verlässt Stoffers diesen klassischen trope sehr schnell: Als Rosa ermordet wird, geben sich Mathilda und Fidelio nicht damit zufrieden, still abzuwarten, dass die Gendarmen ermitteln. Es beginnt eine Kriminalgeschichte, die die beiden so ungleichen Protagonist*innen aus ihrem bisherigem Alltag ausbrechen lässt. Natürlich entdecken sie so einige Geheimnisse. Und natürlich ist das alles viel größer, als es zunächst erscheint.

Klimazukünfte 2050. Geschichten unserer gefährdeten Welt. Hirnkost

dystopische Mischung mit zu viel Pädagogik

Klimazukuenfte 2050Einführung. Fritz Heidorn: Fiktionen als Realismus unserer Zeit

Heidorn erzählt Lesenden, wie es zu dem Wettbewerb und dem Buch kam. Dabei bekommt er es meines Erachtens gut hin, das Thema Klimawandel zu benennen, ohne allzu sehr in Sentimentalität oder eine pädagogisch mahnende Haltung abzudriften. Viel Neues erfahre ich jedoch nicht. Die Idee, dass die SF als Spiegel der Jetztzeit etwas bieten kann, ist ja auch nicht mehr neu, aber wichtig, immer wieder zu benennen.

Die Geschichten

Anne Aberlein: Fortschritt

Dieser Text wirkt vom Satz her wie ein Gedicht, dafür fehlt ihm aber die Verdichtung. Im Zeitraffer erzählt er von der Entstehung der Menschheit und einer möglichen Zukunft, die zur Bescheidenheit zurückfindet. Der benannte Gedanke ist nicht neu, das gefundene Bild nicht sonderlich originell. Am besten gefällt mir noch die Form des Textes (eine Pyramide und eine Sanduhr). Insgesamt entlockt der Text mir ein Schulterzucken und stellt dadurch für mich keinen gelungenen Auftakt dar.

Samuel R. Delany: Babel-17. Carcosa

bereichernd, außergewöhnlich, dicht

Babel 17

In einer abgewrackten Hafenstadt, in der die Menschen alles tun, um zu überleben, sucht General Forester Rydra Wong auf, eine berühmte Dichterin und Sprachexpertin. Sie soll aufgenommene Daten entschlüsseln, die man bislang für einen Code hält. Wong hält es dagegen für eine Sprache und möchte herausfinden, von wem sie gesprochen wird. Denn Sprache eröffnet eine Sicht auf die Innenwelt der Sprechenden – und auf die ist sie gespannt.

Wir folgen der Dichterin auf der Suche nach einer Crew durch die Hafenstadt, in der es körperlose und tote Wesen gibt, welche mit chirurgisch veränderten Körpern, Sukkubi und allerlei Fabelwesen. Wong stellt ihre Crew zusammen, eine sehr diverse Crew aus tierähnlichen Menschen mit vier Beinen, Menschen verschiedener ethnischer Hintergründe – und Kindern.
Wong reist am nächsten Morgen ab, sie hat es sehr eilig, denn sie will einen Sabotageakt auf einer Raumstation verhindern, die Waffen herstellt. Während der Reise erfahren wir, dass sie den entschlüsselten Daten entnommen hat, wo die nächste Sabotage geplant ist. Und natürlich bleibt auch das Schiff nicht von Sabotage verschont.

Sven Haupt: Niemandes Schlaf. Eridanus

humorvoll und kryptisch

Niemandes SchlafDer Einstieg in dieses Buch gelang mir schnell. Ich mochte den trockenen Humor und die punktgenauen Dialoge, diese Teile holten mich sehr ab. Dafür haben mich die Beschreibungen gelegentlich irritiert, so die eines quecksilberähnlichen Kopfes, der bronzefarben ist und golden glänzt.
Auch vom Aufbau her hatte ich zunächst Mühe, dieses Buch zu verstehen. Es ist aus der Sicht von Lou erzählt, die sich die Geschehnisse im Nachhinein mithilfe von Erinnerungen und Überwachungsvideos erschließt. Dadurch gibt es zwar eine Ich-Erzählerin, aber sie schaut durch Videos vermittelt auf sich und andere, was für viel Distanz zu den Figuren sorgt.
Lou folgt abwechselnd zwei Erzählsträngen: Der erste Strang zeigt einen General und die für das Militär tätige Wissenschaftlerin Calvin, die entdecken, dass ihre verschwundenen Militärdrohnen merkwürdigerweise in einem Kühlhaus aufgetaucht sind, wo sie aus Knochen und Blut von Schlachttieren eine riesige Rose gebaut haben. Das Zweierteam, das meist nicht gut als Team funktioniert, versucht herauszufinden, wie das passieren konnte.
Der zweite Strang folgt Lou selbst, ihrem Kollegen Tuomas und ihrem Chef Herrn Scholz, die in einer riesigen Klinik leben und ebenfalls seltsame Blumen erforschen. Sie sind Expert*innen für transphysikalische Phänomene, und die beispielsweise in Toilettenspülkästen auftauchenden Blumen scheinen ein solches zu sein. Zum Team stößt sehr bald eine weitere Figur, Eva, hinzu, wobei die Art, wie dieses Team das Phänomen untersucht, für mich bis zum Schluss rätselhaft und wenig nachvollziehbar bleibt, so dass ich nur schwer beschreiben kann, was sie tun.

Mary Robinette Kowal: The Spare Man. Solaris

spannend und klischeereich

Spare Man

 

Ein Mord in einem Luxusreisemittel und niemand kann weg – spätestens seit “Mord im Orientexpress” ist das ein gängiges Krimisetting. Kowal verlegt ihre Reise ins Weltall, wir haben also eine Art Kreuzfahrt zum Mars. Tesla und ihr frisch angetrauter Mann Shal verbringen hier ihre Flitterwochen – auch das mutet sehr klassisch an. Wie das berühmte Original auch lebt der Roman von eigenwilligen Charakteren und sich ergebenden Verwicklungen. Hinzu kommen Science-Fiction-Elemente der Schiffstechnik und des Weltenbaus, wobei wir über die Welt jenseits der Wahrnehmung der Superreichen fast nichts erfahren.

 

 

Christoph Grimm (Hg.) Weltenportal Nr 5. 10/2023

 

bunte Mischung

weltenportal 5 front 720x1024Die Zeitschrift beginnt mit einem illustrierten Haiku, den ich nur als solchen erkannt habe, weil es im Inhaltsverzeichnis stand. Ich hielt ihn für ein Zitat. Dann folgen Kurzgeschichten.


Yvonne Tunnat: Die Geburtstagsparty


Finjas wird fünf – aber kein geladener Gast kommt zur Party. Die Geschichte erzählt uns, wie es dazu kam, und flicht dabei gekonnt Weltenbau ein: Finjas ist als einziges Kind im Umfeld kein genetisch designtes Kind. Finjas’ Mütter sind Flüchtlinge und leben nun mit ihm in einer Welt der Designerkinder, in der Finjas Wunsch nach einer Party untergeht.
Obwohl ich den Text thematisch gelungen finde, hatte ich Mühe hineinzufinden, mir gerieten anfangs die drei Personen durcheinander. Dann kam ich gut in die Geschichte, Finjas’ Erleben ließ mich aber trotzdem kalt, ich glaube, weil keine der drei Figuren für mich wirklich plastisch wurde. Auch das Handeln von Finjas’ Müttern kann ich nicht nachvollziehen, erscheint es mir doch, als würde der Raum für Finjas’ Trauer durch ihr Bestehen auf einem positiven Erleben nur kleiner. Gefallen hat mir aber der sozialkritische Aspekt des Textes.

Judith Vogt, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan (Hrsg.): Queer*Welten 11-2023


abwechslungsreich und berührend

QW 11

Lünn: Mein schönster Hexenprozess (Kurzgeschichte)
Drei Frauen, Liesl, Dacania und Annemarie werden der Hexerei bezichtigt. Sie sind eingesperrt und noch nicht verurteilt, aber da das Ergebnis der Untersuchung bereits feststeht, ist ihnen der Scheiterhaufen sicher. Die Geschichte ist aus der Sicht von Dacania erzählt, die eine sehr pessimistische Weltsicht und tatsächlich eine besondere Fähigkeit hat: Wenn sie einen Menschen berührt, sieht sie die Vergangenheit, die Zukunft oder – beim dritten Mal – die Gegenwart. Dacania hat mit dem Leben bereits abgeschlossen, aber Liesl, die Kühe heilen kann, weckt in ihr neue Hoffnung.
Der Text ist berührend, düster und sprachlich stark, wenn beispielsweise Liesl zu Annemarie sagt: „Dacania ist eine Hexe, weil sie Angst vor ihr haben, ich bin eine Hexe, weil ich ihnen nicht gefalle, und du bist eine Hexe, weil du ihnen zu sehr gefällst.“ Oder in den Beschreibungen, die oft lyrische Qualitäten haben: „Das Mondlicht schimmert auf ihren dunklen Locken und treibt verloren im schwarzen Meer ihrer Pupillen.“ Auch Parallelen zur Jetztzeit und dem Umgang mit weiblicher Devianz lassen sich ziehen. Das Ende ist fantastisch und bekommt es hin, zwischen Hoffnung und Verzweiflung zu changieren. Das hat mir ausnehmend gut gefallen!

Sylvana Freyberg und Uwe Post (Hg.): Future Fiction Magazine 05/September 23. Deutsche Ausgabe

durchwachsen

FFM 5

Theresa Hannig: Wo acht Arme grillen (Deutschland)

Diese amüsante Geschichte über ein entlaufenes Biotool stellt die Frage nach Freiheit. Sie ist spritzig und liest sich leicht, der stellenweise etwas klamaukige Humor hat mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht. Das ist gute Unterhaltung und ein gelungener Weltenbau, wenn ich mir auch teilweise etwas mehr Tiefe gewünscht hätte, besonders bei der Figurenzeichnung.

Kehkashan Khalid: Splitter im Hirn (Pakistan)

In einer digitalisierten Welt lehnen die Eltern der Hauptfigur Shehrazad (eine junge Frau? Oder ein Mädchen?) Digitalisierung ab. Aber alle anderen sind implantiert und Sherazad will das auch. Als ihr ein experimentelles Implantat angeboten wird, sagt sie zu – was natürlich nicht ohne Folgen bleibt.
Die Geschichte folgt Shehrazad und einer anderen Frau auf deren Spuren, wobei beide Figuren miteinander verschwimmen. Mir war nicht ganz klar, ob das Absicht war oder nicht, ebenso wie es mir unwahrscheinlich erschien, dass die Eltern Shehrazads Versinken in virtuellen Welten so gar nicht wahrnehmen. Hier hätte ich mir etwas mehr Einblicke ins Umfeld der Hauptfigur gewünscht. Die Stärke des Textes liegt meines Erachtens in der berührenden nahen Figurenzeichnung und der gelungenen Schilderung dessen, wie sich Shehrazad in der virtuellen Welt verliert. Eine Schwäche liegt für mich in der leider häufigen Verwendung von Phrasen.