Mary Robinette Kowal: Die Berechnung der Sterne. Piper

erstaunlich konservativ

Kowal SterneAuf dieses Buch hatte ich mich gefreut: Eine Geschichte der Raumfahrt aus weiblicher Perspektive? In einer Alternativwelt, die den 1950ern ähnelt? Das hatte bei mir von vornherein einen Bonus. Und dann noch Hugo, Nebula und Locus-Award. Das kann nur gut sein! Ich nehme es mal gleich vorweg: Das Ergebnis hat mich enttäuscht. Und das, obwohl Kowal auf den ersten Blick eine Menge richtig macht. Ich habe hin und her überlegt, warum mich der Roman trotzdem nicht einfangen konnte und mich über weite Strecken gelangweilt oder geärgert hat. Hier ist das Ergebnis meiner Überlegungen.

Zunächst zum Plot: In diesem Alternativgeschichte-Roman stürzt 1952 ein Meteorit in der Nähe der USA in den Ozean. Durch Druckwelle, Brände, Überschwemmungen und abstürzende Trümmer werden ganze Städte ausgelöscht, weite Landstriche verwüstet. Die Pilotin Elma führt komplexe Berechnungen für das Raumfahrtprogramm der USA aus. Sie überlebt mit ihrem frisch angetrauten Mann Nathaniel, dem Leiter des Raumfahrtprogramms der USA, in einem Landhaus in den Bergen. Sie besitzen nicht nur ein Auto, sondern auch ein privates Flugzeug, mit dem sie sich retten können, nachdem das Haus einstürzt. Die beiden sind jüdisch.
Sie fahren zu einem Militärstützpunkt und kommen bei einem zunächst fremden Schwarzen Paar unter. Elma wird von ihrem Bruder, einem Meteorologen, gebeten, Berechnungen zu den Folgen des Meteoriteneinschlags durchzuführen. In Folge erkennt sie als Erste, dass das Leben auf der Erde wegen folgender Klimaveränderungen für Generationen kaum noch möglich sein wird: Nach einer kurzen Kälteperiode wird sich das Klima so aufheizen, dass Extremwetterereignisse massiv zunehmen. Die einzige Chance sieht sie in Kolonien auf dem Mond und Mars. Und da sie raumfahrtbegeistert ist und eh schon für die Raumfahrt rechnet, möchte sie gern Astronautin werden. Aber das ist bislang ausschließlich ein Beruf für Männer. Das Buch schildert ihren Kampf, diesen Wunsch umzusetzen. Im letzten Kapitel sitzt sie als erste Frau in einer Rakete zum Mond. (Ich denke, bei einer Reihe, die sich Lady Astronaut nennt, ist das kein Spoiler.)

Sarah Stoffers: Berlin: Magische Knochen. Amrun

spannend und düster

Berlin Magische Knochen

 

Nach der Begeisterung über Welt und Figuren des ersten Bandes tauchte ich mit hohen Erwartungen in Band zwei. Stoffers lässt ihre bekannten Figuren, die Erfinderin und Gleiterpilotin Mathilda Sturm und den Zauberlehrling und nun obersten Bibliothekar Fidelio Lafrenz auf der Suche nach der verschwundenen Ling Berlin verlassen. Ling ist eine Nebenfigur aus dem ersten Band, die einige Geheimnisse verbirgt. Sie ist die zweite Geliebte von Mathilda und bekommt im zweiten Band auch eine eigene Perspektive, die allerdings nicht sehr viel Raum erhält. Wie im ersten Band auch gibt es daneben noch weitere kurze Ausflüge in andere Perspektiven. So sehen Lesende einem Assassinen dabei zu, wie er seinen Lehrling misshandelt und entwertet und kaltblütig eine Person nach der anderen ermordet. Ich nahm an, dass jeder Mord sich in die Handlung einfügen würde. Leider war das nicht der Fall. Die zahlreichen Stränge und Anknüpfungspunkte, die teilweise bereits im ersten Band vorbereitet wurden, fallen hier auseinander. Der Weltenbau bleibt an vielen Stellen kryptisch, die einzelnen Regionen der Welt unverbunden.

Sarah Stoffers: Berlin: Rostiges Herz. Amrun

humorvolle Kriminalgeschichte

Berlin rostiges Herz„Rostiges Herz“ ist ein Magie-Steampunk-Roman, der in einem fiktiven Berlin in ca. 900 Jahren spielt. Der Klimawandel hat das Leben sehr schwer gemacht, aber die Wiederentdeckung der Magie ermöglichte eine Rettung. Nachdem unsere Welt samt der technischen Errungenschaften untergegangen ist, tobt nun ein ewiger Kampf zwischen Magiebegabten und Erfinder*innen, denn die Magiebegabten sehen sich als Retter*innen und die Ingenieur*innen als Grund des alten Übels. Das sorgt natürlich für einigen Unmut, der nur mühsam in Schach gehalten wird.
Die beschriebenen Spannungen zwischen zwei Gruppierungen, die auch in verschiedenen Stadtteilen leben, zeigt Stoffers anhand zweier Figuren: Da ist Mathilda Sturm, eine Erfinderin, die nicht mehr erfindet, sondern nur noch repariert, und Fidelio Lafrenz, ein Zauberlehrling und Illusionist, der sich nicht an die Regeln halten möchte. Beide sind in Rosa verliebt, eine so sympathische Person, dass alle sie mögen. Das klingt erst einmal wie eine klassische Dreiecksgeschichte. Aber zum Glück verlässt Stoffers diesen klassischen trope sehr schnell: Als Rosa ermordet wird, geben sich Mathilda und Fidelio nicht damit zufrieden, still abzuwarten, dass die Gendarmen ermitteln. Es beginnt eine Kriminalgeschichte, die die beiden so ungleichen Protagonist*innen aus ihrem bisherigem Alltag ausbrechen lässt. Natürlich entdecken sie so einige Geheimnisse. Und natürlich ist das alles viel größer, als es zunächst erscheint.

Samuel R. Delany: Babel-17. Carcosa

bereichernd, außergewöhnlich, dicht

Babel 17

In einer abgewrackten Hafenstadt, in der die Menschen alles tun, um zu überleben, sucht General Forester Rydra Wong auf, eine berühmte Dichterin und Sprachexpertin. Sie soll aufgenommene Daten entschlüsseln, die man bislang für einen Code hält. Wong hält es dagegen für eine Sprache und möchte herausfinden, von wem sie gesprochen wird. Denn Sprache eröffnet eine Sicht auf die Innenwelt der Sprechenden – und auf die ist sie gespannt.

Wir folgen der Dichterin auf der Suche nach einer Crew durch die Hafenstadt, in der es körperlose und tote Wesen gibt, welche mit chirurgisch veränderten Körpern, Sukkubi und allerlei Fabelwesen. Wong stellt ihre Crew zusammen, eine sehr diverse Crew aus tierähnlichen Menschen mit vier Beinen, Menschen verschiedener ethnischer Hintergründe – und Kindern.
Wong reist am nächsten Morgen ab, sie hat es sehr eilig, denn sie will einen Sabotageakt auf einer Raumstation verhindern, die Waffen herstellt. Während der Reise erfahren wir, dass sie den entschlüsselten Daten entnommen hat, wo die nächste Sabotage geplant ist. Und natürlich bleibt auch das Schiff nicht von Sabotage verschont.

Sven Haupt: Niemandes Schlaf. Eridanus

humorvoll und kryptisch

Niemandes SchlafDer Einstieg in dieses Buch gelang mir schnell. Ich mochte den trockenen Humor und die punktgenauen Dialoge, diese Teile holten mich sehr ab. Dafür haben mich die Beschreibungen gelegentlich irritiert, so die eines quecksilberähnlichen Kopfes, der bronzefarben ist und golden glänzt.
Auch vom Aufbau her hatte ich zunächst Mühe, dieses Buch zu verstehen. Es ist aus der Sicht von Lou erzählt, die sich die Geschehnisse im Nachhinein mithilfe von Erinnerungen und Überwachungsvideos erschließt. Dadurch gibt es zwar eine Ich-Erzählerin, aber sie schaut durch Videos vermittelt auf sich und andere, was für viel Distanz zu den Figuren sorgt.
Lou folgt abwechselnd zwei Erzählsträngen: Der erste Strang zeigt einen General und die für das Militär tätige Wissenschaftlerin Calvin, die entdecken, dass ihre verschwundenen Militärdrohnen merkwürdigerweise in einem Kühlhaus aufgetaucht sind, wo sie aus Knochen und Blut von Schlachttieren eine riesige Rose gebaut haben. Das Zweierteam, das meist nicht gut als Team funktioniert, versucht herauszufinden, wie das passieren konnte.
Der zweite Strang folgt Lou selbst, ihrem Kollegen Tuomas und ihrem Chef Herrn Scholz, die in einer riesigen Klinik leben und ebenfalls seltsame Blumen erforschen. Sie sind Expert*innen für transphysikalische Phänomene, und die beispielsweise in Toilettenspülkästen auftauchenden Blumen scheinen ein solches zu sein. Zum Team stößt sehr bald eine weitere Figur, Eva, hinzu, wobei die Art, wie dieses Team das Phänomen untersucht, für mich bis zum Schluss rätselhaft und wenig nachvollziehbar bleibt, so dass ich nur schwer beschreiben kann, was sie tun.

Klimazukünfte 2050. Geschichten unserer gefährdeten Welt. Hirnkost

dystopische Mischung mit zu viel Pädagogik

Klimazukuenfte 2050Einführung. Fritz Heidorn: Fiktionen als Realismus unserer Zeit

Heidorn erzählt Lesenden, wie es zu dem Wettbewerb und dem Buch kam. Dabei bekommt er es meines Erachtens gut hin, das Thema Klimawandel zu benennen, ohne allzu sehr in Sentimentalität oder eine pädagogisch mahnende Haltung abzudriften. Viel Neues erfahre ich jedoch nicht. Die Idee, dass die SF als Spiegel der Jetztzeit etwas bieten kann, ist ja auch nicht mehr neu, aber wichtig, immer wieder zu benennen.

Die Geschichten

Anne Aberlein: Fortschritt

Dieser Text wirkt vom Satz her wie ein Gedicht, dafür fehlt ihm aber die Verdichtung. Im Zeitraffer erzählt er von der Entstehung der Menschheit und einer möglichen Zukunft, die zur Bescheidenheit zurückfindet. Der benannte Gedanke ist nicht neu, das gefundene Bild nicht sonderlich originell. Am besten gefällt mir noch die Form des Textes (eine Pyramide und eine Sanduhr). Insgesamt entlockt der Text mir ein Schulterzucken und stellt dadurch für mich keinen gelungenen Auftakt dar.

Christoph Grimm (Hg.) Weltenportal Nr 5. 10/2023

 

bunte Mischung

weltenportal 5 front 720x1024Die Zeitschrift beginnt mit einem illustrierten Haiku, den ich nur als solchen erkannt habe, weil es im Inhaltsverzeichnis stand. Ich hielt ihn für ein Zitat. Dann folgen Kurzgeschichten.


Yvonne Tunnat: Die Geburtstagsparty


Finjas wird fünf – aber kein geladener Gast kommt zur Party. Die Geschichte erzählt uns, wie es dazu kam, und flicht dabei gekonnt Weltenbau ein: Finjas ist als einziges Kind im Umfeld kein genetisch designtes Kind. Finjas’ Mütter sind Flüchtlinge und leben nun mit ihm in einer Welt der Designerkinder, in der Finjas Wunsch nach einer Party untergeht.
Obwohl ich den Text thematisch gelungen finde, hatte ich Mühe hineinzufinden, mir gerieten anfangs die drei Personen durcheinander. Dann kam ich gut in die Geschichte, Finjas’ Erleben ließ mich aber trotzdem kalt, ich glaube, weil keine der drei Figuren für mich wirklich plastisch wurde. Auch das Handeln von Finjas’ Müttern kann ich nicht nachvollziehen, erscheint es mir doch, als würde der Raum für Finjas’ Trauer durch ihr Bestehen auf einem positiven Erleben nur kleiner. Gefallen hat mir aber der sozialkritische Aspekt des Textes.

Judith Vogt, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan (Hrsg.): Queer*Welten 11-2023


abwechslungsreich und berührend

QW 11

Lünn: Mein schönster Hexenprozess (Kurzgeschichte)
Drei Frauen, Liesl, Dacania und Annemarie werden der Hexerei bezichtigt. Sie sind eingesperrt und noch nicht verurteilt, aber da das Ergebnis der Untersuchung bereits feststeht, ist ihnen der Scheiterhaufen sicher. Die Geschichte ist aus der Sicht von Dacania erzählt, die eine sehr pessimistische Weltsicht und tatsächlich eine besondere Fähigkeit hat: Wenn sie einen Menschen berührt, sieht sie die Vergangenheit, die Zukunft oder – beim dritten Mal – die Gegenwart. Dacania hat mit dem Leben bereits abgeschlossen, aber Liesl, die Kühe heilen kann, weckt in ihr neue Hoffnung.
Der Text ist berührend, düster und sprachlich stark, wenn beispielsweise Liesl zu Annemarie sagt: „Dacania ist eine Hexe, weil sie Angst vor ihr haben, ich bin eine Hexe, weil ich ihnen nicht gefalle, und du bist eine Hexe, weil du ihnen zu sehr gefällst.“ Oder in den Beschreibungen, die oft lyrische Qualitäten haben: „Das Mondlicht schimmert auf ihren dunklen Locken und treibt verloren im schwarzen Meer ihrer Pupillen.“ Auch Parallelen zur Jetztzeit und dem Umgang mit weiblicher Devianz lassen sich ziehen. Das Ende ist fantastisch und bekommt es hin, zwischen Hoffnung und Verzweiflung zu changieren. Das hat mir ausnehmend gut gefallen!