T.C. Boyle: I walk between the raindrops. Carl Hanser
sprachlich gut, aber deprimierend
Die Sammlung von 13 Kurzgeschichten des bekannten Autors hat mich zunächst irritiert, denn was ich bekam, waren Schnipsel: genau beobachtete und atmosphärisch sehr dicht geschilderte Szenen – aber ohne Anfang und ohne Ende. Bald erkannte ich, dass das zumindest zum Teil der e-book-Formatierung geschuldet war, die unklar werden ließ, ob es sich um eine Zwischenüberschrift handelt oder um eine neue Geschichte. Daher purzelte ich immer wieder aus Texten heraus oder – wenn ich dachte, hier gehe der Text weiter – in einen neuen Text hinein. Da manche Geschichten die Perspektiven wechseln, hatte ich arge Mühe damit, zu verstehen, wann ein Text zu Ende war und wann ein neuer beginnt, denn Zwischenüberschriften waren fett gedruckt und ebenso mitten auf der Seite wie die einfachen Überschriften, die oft nicht einmal Absätze bekamen und denen zu allem Überfluss noch die Leerzeichen fehlten. Hinzu kommt, dass Boyle keine klassischen Enden schreibt: Wir sehen seinen Figuren eine Weile lang zu, sie erleben etwas (meist Deprimierendes) und dann wenden wir mit dem Autor den Blick ab und bleiben mit unseren Gedanken allein. Ich fand das zunächst anregend, es hat mich dann aber doch zunehmend genervt, bekam ich doch mehr und mehr das Gefühl, dass Boyle seine Figuren vorführt, benutzt, und sich dann von ihnen abwendet, wenn ihm nichts mehr einfällt oder er sich nicht wirklich weiter mit ihnen auseinandersetzen will.
Trotz dieser Mängel fingen mich die Texte immer wieder ein, vor allem als ich begriff, dass ich in meinem e-book nach den Enden und Übergängen forschen sollte. Dann wurde nämlich durchaus klar, was zusammengehört und wie geschickt Boyle verschiedene Perspektiven in einer Geschichte verwebt. Er kann gut beobachten und dies in Worte fassen, findet eigenwillige Vergleiche, die neu sind und manchmal trotzdem so klingen, als hätte ich sie schon tausendmal gelesen: „“Wie aufmerksam“, murmelte sie, nahm mit der einen, beinahe durchscheinenden Hand die Blumen …“ Oder, noch besser: „Er bekam nicht viel mit von dem, was geschah, außer dass das Sonnenlicht die Windschutzscheibe des Wagens explodieren ließ wie eine Supernova und der Klang der Sirenen sich wie Tentakel um seinen Kopf legte.“ Hier zeigt sich Boyles Neigung zur Zuspitzung und Übertreibung. Er stellt kleine Beobachtungen neben existenzielle Erlebnisse, da geht es um Leben und Tod und immer wieder um Alkohol. In jeder Geschichte wird nicht nur getrunken, sondern das Trinken zelebriert, häufig neben dem Rauchen. Sämtliche seiner Figuren scheinen dem Alkoholismus verfallen. In den ersten Texten spielt ein gehobener Lebensstil eine große Rolle, die Figuren haben Haushälterinnen und in der Quarantäne-Geschichte, in der ein Paar auf einem Kreuzschiff in Quarantäne gerät, besteht ein ausführlich beschriebenes Problem darin, dass niemand für sie dreimal wöchentlich die Bettwäsche wechselt. Wie es dem Paar miteinander geht, erfahren wir dagegen nicht.