René Moreau, Hans Jürgen Kugler und Heinz Wipperfürth (Hrsg.): Exodus 48. 06 / 2024

enttäuschend mit einigen Perlen

Exodus 48

Christian Endres: Wichtig ist nur, was die Leute glauben

Eine sympathische und handwerklich gut gemachte Erzählstimme nimmt uns mit auf ihren Job als Fahrradkurierin. Wie häufig bei Endres entwickelt sich das zur rasanten Geschichte inklusive Schießerei und Verfolgungsjagd. Ich habe das gern gelesen und es war unterhaltsam, allerdings wird die Hauptfigur für mich wenig plastisch und das Ende wirkt zu gewollt. Als sei der restliche Text nur dazu da, dieses Ende vorzubereiten. Dieses wirft einen kritischen Blick auf unsere Jetztzeit, ist aber auch zu vorhersehbar, um wirklich spannend zu sein. Ein positiver Aspekt sind für mich die gekonnt eingeflochtenen Weltenbau-Elemente.

Wolf Welling: Der Zähler und der Monolith

Den Einstieg in diesen Text mochte ich: Die Hauptfigur, ein Mann mit Zählzwängen, soll das Verschwinden einer Menschenkolonie untersuchen. Dabei hilft ihm eine KI. Ich war sehr an „Athos 2643“ erinnert, allerdings nur kurz, denn „Der Zähler und der Monolith“ gleitet schnell in Infodump ab, was das Lesevergnügen dann doch sehr trübte. Außerdem ist das Ende sehr vorhersehbar. Dass die Hauptfigur „geheilt“ wird, hat mich geärgert, widerspricht sie doch zu Beginn des Textes der Idee von Heilung ausdrücklich: Er mag seine Zwänge und will sie behalten. Sie ihm dann doch zu nehmen, ist übergriffiger Saneismus. Darüber hinaus bleibt das Ende zu vage, um mich zu befriedigen.

John Scalzi: Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaiju-Monster. Cross Cult Entertainment

unterhaltsam und witzig

Kaiju Scalzi

 

2020, Corona grassiert und Jamie verliert seinen Job. Aber er hatte als Einziger in der WG noch Arbeit und so langsam wird es finanziell richtig eng. Als ein alter Studienfreund ihm einen ominösen Job anbietet, nimmt er an und betritt eine Parallelwelt, in der die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaiju-Monster tätig ist.
Wir schauen Jamie zu, wie er durch die Welt stolpert und „Dinge trägt“, denn zu mehr ist er als Geisteswissenschaftler nicht nütze. Der Text lebt von Kalauern, Popkultur-Anspielungen und den absurdesten Dialogen. Es sind einige tief hängende Früchte dabei, aber wer Lust auf Unterhaltung und Spaß an Absurdität hat, die viele reale Probleme gelungen zuspitzt und aufs Korn nimmt, ist hier gut bedient. Ich jedenfalls habe mich köstlich amüsiert.
Ab der Hälfte des Romans gibt es dann wirklich einen Kaiju zu retten und das Buch wird zum Pageturner, hier gibt es einen Plot, der mich richtig ins Buch saugte.

 

An Brenach: Die Goldene Kanone. (K)ein Detektivroman. Ohneohren

witzig und kurzweilig

Goldene KanoneDer Einstieg in diesen Text fiel mir leicht: In humorvoller, leicht fließender Sprache wird uns der Autor Bartholomew Magroove vorgestellt, der seinem sehr ängstlichen Assistenten Mick van Luch Romane diktiert. Brenach entführt uns in eine steampunkige Welt, in der jede Figur ein Abziehbild ihrer selbst ist: Margroove ist groß und hochnäsig, aber ein brillanter Denker, van Luch klein, mickrig und so ängstlich, dass er keinen Schritt gehen kann, ohne sich zu fürchten. Margroove hat Freude daran, van Luch zu quälen, was aufgrund dessen Angst leicht ist.
Als Margroove eine Einladung zu einer Preisverleihung bekommt, muss van Luch ihn begleiten. Beide treffen auf drei weitere Autor*innen, zwei Frauen und einen Mann, die sich beständig gegenseitig beharken. Aber was eine Preisverleihung sein sollte, wird zum Abenteuer als die Gruppe getrennt wird und sich durch den Keller kämpfen muss.
Wer Freude an Wortgefechten, unfairem Spiel und überraschenden Wendungen hat, wird die folgende Handlung genießen. Wer wie ich schwer aushalten kann, wenn Personen sich gegenseitig entwerten und/oder übergriffig sind, muss vielleicht auch manche Dialogzeilen querlesen. Auch empfand ich die Figuren etwas zu sehr zugespitzt. Die Beziehung zwischen Mick und Bartholomew bekommt zwar eine weitere Nuance (die mich stellenweise berührt hat), mir fehlte aber Figurentiefe und -entwicklung. Beides steht hier nicht im Zentrum: Das Buch nimmt sich von der ersten bis zur letzten Seite nicht ernst, ein Kalauer folgt auf den nächsten, Brenach spielt gekonnt mit Phrasen und Bildern und zieht dazu immer mal wieder einen Teufel aus der Maschine, was überraschende Wendungen erlaubt und viel Situationskomik ermöglicht. Natürlich ist am Ende niemand, wer er zu sein scheint. Das alles ist in höchstem Maße unglaubwürdig, der Text bleibt sich aber in dieser Unglaubwürdigkeit selbst so treu, dass ich da problemlos mitgegangen bin.

Aşkın-Hayat Doğan & Jade S. Kye (Hrsg.) Urban Fantasy going mental. ohneohren

Wechselbad aus Enttäuschung und Lesefreude

UF going mentalGemeinsam mit verschiedenen Co-Herausgeber*innen hat Aşkın-Hayat Doğan bereits mehrere „Urban Fantasy going …“ -Anthologien herausgegeben. Den Beginn machte „Urban Fantasy going queer“ zusammen mit Noah Stoffers bei Art Skript Fantastik (und darum leider nicht mehr erhältlich), dann folgte „Urban Fantasy going fat“ zusammen mit Elea Brandt bei ohneohren. Diesmal geht es um psychische Erkrankungen, das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Iva Moor: Wo die Wut sich schlafen legt

In einer Welt, in der es Vampire und allerlei andere Fabelwesen, aber auch Menschen gibt, arbeitet eine Furie als Reiseleiterin. Undercover soll sie eine Rachtetat ermöglichen, aber natürlich gibt es Hindernisse.
Ich mochte die Art, wie die Depression der Furie beschrieben ist, ihr Ringen um Lebendigkeit und wie sie die Wut hinter der Trauer findet. Auch sprachlich mochte ich den Text, er fließt leicht und findet eigene Bilder. Was mir fehlte, waren Hintergründe: Was macht die Furie so wütend? Und warum blieb ihre Wut so lange verboten? Ohne Hintergründe bleibt mir der Text zu vage, um mich wirklich mitzureißen. Hinzu kommt, dass ich Rache selten als gutes Motiv empfinde, sodass der Text mich auch hier nicht abholen kann. Trotzdem habe ich ihn aufgrund der Sprache und des generellen Themas gern gelesen.

Ryka Aoki: Light From Uncommon Stars (tor books) oder Das Licht ungewöhnlicher Sterne (Heyne)

skurril und leicht

Ryka Aoki Stars

 

 

Katrina, ein jugendliches trans Mädchen flieht aus ihrem gewaltvollen Elternhaus. Eine berühmte Geigenlehrerin sucht nach der nächsten Schülerin, deren Seele sie dem Teufel opfern kann. Und eine außerirdische Crew übernimmt einen Donutladen. Ich gebe zu, anfangs haben mich diese drei Stränge eher abgeschreckt. Ich fand den Text oberflächlich, zugespitzt und voller Klischees, auch in Bezug auf die Figuren, die alle einen asiatischen Hintergrund haben (aus verschiedenen Ländern: Vietnam, Japan, China u.a.). Auch irritierte mich, dass der eine Strang eher im Genre Urban Fantasy angesiedelt ist, während der andere sich wie SF liest. Aber dann kam das Ganze zu einer genialen humorvollen Geschichte zusammen und ich hatte wirklich Spaß.

 

Ursula K. Le Guin: Immer nach Hause. Carcosa

überbordend, widersprüchlich, viel

Immer nach Hause850 Seiten umfasst dieser Wälzer, der definitiv nicht reisetauglich ist. Kein Wunder, dass dies meine längste Rezension wird. Die Grundidee dieses Buches gefällt mir: Le Guin tut so, als sei sie Archäologin und untersuche eine Kultur, die es erst in der Zukunft geben wird: die der Kesh. Aus Funden und Erzählungen, Überlieferungen und Ausgrabungen setzt sie die Kultur zusammen, mit beeindruckender Akribie und viel Wohlwollen für das Fremde.
Bei genauerer Betrachtung wächst in mir aber doch die Frage, warum die Autorin sich diese Einschränkung auferlegt hat, denn aus dem Ausgraben von Hinterlassenschaften lässt sich vieles nicht ablesen. Insbesondere wenn die Kultur, wie Le Guin beschreibt, sehr suffizient und nachhaltig gelebt hat, bleiben die Bauten und Instrumente unklar, werden sie doch verrottet sein.

Auf dem Cover von „Immer nach Hause“ steht „Roman“, aber schon beim Durchblättern des Buches wird deutlich, dass sich das Buch nicht in eine solche formale Kategorie einordnen lässt. Die Textsammlung beginnt mit einer konzeptuellen Einführung, dann folgt ein Lied(text), dann der erste Teil der Geschichte einer Person namens Erzählstein. Es handelt sich um einen slice of live Bericht einer zunächst zum großen Teil unverständlichen fiktiven Kultur, ein Bericht, von dem unklar ist, wie er archäologisch zu finden sein könnte. Le Guin sprengt hier also gleich am Anfang die selbst auferlegten Grenzen. Trotz Le Guins schöner Sprache zieht sich der Bericht dann doch ganz schön in die Länge, zumal ich einen Spannungsbogen vergeblich suchte.
Inhaltlich geht es um ein Kind, das ausgeschlossen und gehänselt wird, weil es anders ist. Im Laufe des Textes wird deutlich, dass das Andere der abwesende Vater ist, der aus einer anderen Region stammt. Hier geht es also um Rassismus, von dem das Kind betroffen ist. Die wenig sensiblen Erziehungspersonen beschützen es weder, noch beantworten sie die Fragen des Kindes. So ist es einsam und allein gelassen und kann sich seine Herkunft erst ein Stück weit erschließen, als nach neun Jahren der unbekannte Vater plötzlich in der Tür steht. Er ist Soldat und das Mädchen folgt ihm ein wenig in seine Welt, jedoch ohne dass sich ein Erwachsener die Mühe macht, seine zahlreichen Fragen zu beantworten. Wieder wird es alleingelassen und nun schwebt noch die Gefahr eines Krieges am Horizont – da war ich schon einigermaßen erstaunt. Denn das alles sind Dinge, die für mich gewiss nicht zu einer Utopie gehören. Für wen ist also das Leben der Kesh eine Utopie, wenn schon ein Kind mit einem fremden Vater ausgeschlossen wird?

Judith Vogt, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan (Hrsg.): Queer*Welten 12 / 12-24. Amrûn

in den Essays liegt die Stärke
qw 12 Cover

Vorwort
Das Vorwort beschäftigt sich diesmal mit Genre-Preisen und der eigenen Nominierung für den Kurd Laßwitz Preis. Sowohl das Heft als Ganzes als auch einzelne Geschichten wurden nominiert, was schön und vielleicht auch gleichzeitig schwierig ist. Dem gehen die Herausgebenden nach.


Queere Questen
Wie in den letzten Heften gab es auch für dieses eine Sonderausschreibung: Queere Questen in 600 Zeichen. Die Kurztexte sind in mehreren Blöcken über das gesamte Heft verteilt, ich werde sie hier kurz gemeinsam und blockweise besprechen.


"Anderssohn" von T. B. Persson ist sprachlich schön aber für mich inhaltlich etwas zu vage, "Die Herrin des Sees" (Liane Raposa) war gut lesbar, aber ich habe es nicht ganz verstanden. Vermutlich ist eine genauere Kenntnis der Artussage nötig (nicht, dass ich ohne meinen Testleser gewusst hätte, wie die heißt). "Doch ... lieber" (Rebecca Reiter) mochte ich sehr und habe über das Spiel mit bekannten Märchenelementen geschmunzelt.

Shawna Potter: Making Spaces Safer: A Guide to Giving Harassment the Boot Wherever you Work, Play and Gather. AK-Press

Pragmatisch und liebevoll

Safer spacesShawna Potter, Band-Frontperson von „War on Women“ aus Baltimore, arbeitet seit über zehn Jahren daran, Gemeinschaften lebendiger und sicherer für alle zu machen. Sie gibt dazu Seminare und hat mit diesem Buch ihre Erfahrungen und Anregungen für alle zugänglich gemacht. Das Buch ist auf englisch über https://www.akpress.org/making-spaces-safer-book.html erhältlich, es gibt außerdem eine sehr erschwingliche Kurzversion. Potter lädt explizit dazu ein, die Inhalte bekannter zu machen und zu teilen, daher werde ich in dieser Rezension auch versuche die inhaltlichen Hauptpunkte des Buches wiederzugeben.

Potter schreibt in einer leicht lesbaren und inklusiven Sprache; allgemein angesprochene Personen werden entgendert mit they benannt, PoC und Personen mit Behinderungen explizit mitgedacht.

Das Buch beginnt mit einer Einladung und Erklärung, warum es sinnvoll ist, sich um einen Safer Space zu bemühen, egal ob mensch eine Bäckerei, einen Club oder einen anderen Ort, an dem sich Menschen versammeln, betreibt. Dies sei gute Werbung und wir alle wollen, dass sich unsere Gäst*innen oder Kund*innen wohlfühlen. Es gebe zwar keine rundum sicheren Orte und das könne auch niemand erreichen, aber danach zu streben sei für alle besser.
Was mich an dem Buch am meisten beeindruckt, ist, dass es einerseits klar ist, welches Verhalten nicht geduldet wird, dass der Text aber andererseits von einer tiefen Liebe für alle Menschen getragen ist, auch für die, die gerade andere kränken oder verletzen. Eine derartige Haltung, in der jeder Person ein Recht auf Veränderung zugestanden wird, erlebe ich selten.
Potter stellt dar, wie beschämend es ist, öffentlich belästigt oder angegriffen zu werden. Das Gefühl, dass Zusehende es dulden, wenn ich schlecht behandelt werde, macht die Belästigung sehr viel schwerwiegender. Um das zu ändern, kann jede Person beitragen.
Im Lesen fiel mir auf, dass das englische Wort „harassment“ sich nicht gut übersetzen lässt, beinhaltet es doch nicht nur Belästigungen, sondern auch Bedrohungen, Drangsalierungen und beunruhigendes Verhalten. Wie all diese Dinge verhindert und wenn sie geschehen, gut aufgefangen werden können, ist Inhalt des Buches.