Octavia E. Butler: Imago. Xenogesis Trilogie 3. Heine
unerwartet schwacher Serienabschluss
Ich hatte angenommen, dass der dritte Teil von „Xenogesis“ auf dem Mars spielen würde, der zum neuen Lebensort der Menschen wird, aber das ist nicht der Fall: Wie Teil zwei auch spielt „Imago“ auf der Erde, die von Oankali und Menschen bewohnt wird. Aber anders als die beiden vorigen Teile handelt es sich um eine Ich-Erzählung. Erzählperson ist Jodahs, der erste menschgeborene Ooloi, ein weiteres Kind von Lilith aus Teil 1. Jodahs hat ein verbotenes Geschlecht, denn es sollte männlich werden. Die Oankali wachsen die ersten Jahre ihres Lebens geschlechtslos auf und entscheiden erst dann, auch abhängig von den Bedürfnissen der Lebewesen im Umfeld, ihr Geschlecht. Dies wird durch die Ooloi-Eltern überwacht. Aber Jodah wird nicht, was es werden sollte. Diese Tatsache führt zu einer schönen Thematisierung von Gendertransition, beispielsweise als Nikanj, sein Ooloi-Elternteil, zu Jodahs sagt: „Du willst sein, was du bist. Das ist gesund und richtig für dich.“
Leider fallen hier sprachliche Schnitzer auf: Wie in den Vorbänden auch, verwenden Ooloi das Pronomen „es“, bzw., wenn auf Spanisch gesprochen wird, „er/sie“. Im Buch kommt es immer wieder vor, dass mit männlichen Pronomen auf ein Ooloi rekurriert wird.
Jodahs kann als erstes auch menschliches Ooloi seine Fähigkeiten, andere und sich selbst körperlich zu verändern, nicht ausreichend kontrollieren. Das macht es gefährlich für andere und so wird es gemeinsam mit seiner Familie ins Exil geschickt. Jodahs entscheidet sich für die Variante, abgeschnitten von Menschen und Oankali in der Wildnis zu leben, und seine Familie geht mit ihm. Aber anstatt das Exil ernstzunehmen, streift Jodah immer weiter durch die Welt und trifft so wiederholt auf Menschen. Plotmäßig erschien es mir unlogisch, dass Jodahs dies erlaubt wird, zumal der Fehler im Buch zweimal wiederholt wird. Natürlich kann Jodahs Menschen für sich einnehmen: „… die Ooloi nahmen alles wahr, was ein lebendes Wesen sagte – alle Worte, alle Gesten und eine große Reihe anderer innerer und äußerer Körperreaktionen. Ooloi nahmen alles auf und handelten gemäß dem Konsens, welchen auch immer sie entdeckten.“
Dieses Zitat zeigt schon eine Schwierigkeit, die ich mit diesem Text hatte, wird doch ein Konsens impliziert, der meines Erachtens sehr häufig nicht gegeben ist. Während Butler in den beiden Xenogesis eins und zwei vieles offen und viel Raum für Ambivalenz gelassen hat, werden hier viele Wahrheiten behauptet. Dazu gehören nicht haltbare biologistische Behauptungen, wie die, dass Frauen biologisch bedingt monogam seien und Männer promiskuitiv, oder dass Menschen eine biologisch bedingte Neigung zu Fremdenfeindlichkeit hätten.
Achtung, Spoiler! Jodahs findet wider Erwarten fruchtbare Menschen. Es ist eine große Gruppe, die durch Inzest über mehrere Generationen entstanden ist und unter massiven genetischen Erkrankungen leidet. Da es sich mit ihnen paaren möchte, verwendet es seine Fähigkeiten, um ein Geschwisterpaar so zu manipulieren, dass sie das zulassen. Das habe ich dem Text übelgenommen. Ja, Gewalt gegen Frauen und inzestuöse Handlungen waren in allen Teilen massiv Thema, hier habe ich aber das Gefühl, dass das Thema einem fragwürdigen Plot untergeordnet wird. Dass es in den gesamten drei Büchern keine einzige Person gibt, die sich Kinderlosigkeit vorstellen kann, hat mich ebenso frustriert wie die Tatsache, dass immer und immer wieder alles dem Thema Fruchtbarkeit untergeordnet wird. Die ständige Gewalt gegen Frauen hat mich sehr abgestoßen. Auch die Darstellungen der genetischen Erkrankungen erschienen mir zu negativ. Und obwohl die mir bekannten Verläufe der benannten Erkrankungen schwer sind, wurden sie hier noch weiter zugespitzt, was dann die Kulisse dafür bildete, Jodahs als eine Variante von Jesus weiterzuentwickeln, das eine Wunderheilung nach der anderen vollzieht und so zu einem Messias wird, der die Menschen scharenweise hinter sich versammelt. Die Vielschichtigkeit, die mich in den ersten beiden Bänden so fasziniert hat, geht hier verloren und es ergeben sich inhaltlich viele Doppelungen zu Beschreibungen aus Band 2, besonders, was die Erotik zwischen Mensch und Ooloi angeht. Dadurch ergeben sich unnötige Längen.
Die Beziehung zwischen Jodahs und „seinen beiden Menschen“ wird ausführlich dargestellt und könnte Fragen danach, was für Beziehungen ohne freien Willen möglich ist, aufwerfen. Leider passiert das für mich nur unzureichend und es ergibt sich ein gravierender Widerspruch zu dem behaupteten zentralen Konflikt der Menschheit: Wenn es wirklich darum geht, dass die Oankali eine Alternative zu Hierarchien bieten, warum sind Ooloi dann so besitzergreifend?
Trotz dieser für mich schwierigen Aspekte beinhaltet das Buch schöne und auch weise Stellen, wie diese hier: „Leute, die auf der Suche nach Gefährten waren, waren leichter zu verführen als zu jeder anderen Zeit in ihrem Leben.“
Fazit:
Insgesamt hat mich das Buch enttäuscht. Es ist meines Erachtens das Schwächste in der Reihe. Butler hat zwar eine weitere spannende Geschichte erzählt, die gut unterhält, aber es ist ihr meines Erachtens nicht gelungen, dem Thema ausreichend neue Aspekte abzugewinnen, um es zu einem wirklich guten Buch zu machen und der starken Trilogie ein überzeugendes Ende zu geben.
Unterhaltung: 2,5 von 3
Sprache/Stil: 1,5 von 3
Spannung: 3 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2,5 von 3
Originalität: 1,5 von 3
Tiefe der Thematik: 1,5 von 3
Weltenbau: 3 von 3
Gesamt: 15,5 von 21