Sylvana Freyberg und Uwe Post (Hg.): Future Fiction Magazine 05/September 23. Deutsche Ausgabe
durchwachsen
Theresa Hannig: Wo acht Arme grillen (Deutschland)
Diese amüsante Geschichte über ein entlaufenes Biotool stellt die Frage nach Freiheit. Sie ist spritzig und liest sich leicht, der stellenweise etwas klamaukige Humor hat mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht. Das ist gute Unterhaltung und ein gelungener Weltenbau, wenn ich mir auch teilweise etwas mehr Tiefe gewünscht hätte, besonders bei der Figurenzeichnung.
Kehkashan Khalid: Splitter im Hirn (Pakistan)
In einer digitalisierten Welt lehnen die Eltern der Hauptfigur Shehrazad (eine junge Frau? Oder ein Mädchen?) Digitalisierung ab. Aber alle anderen sind implantiert und Sherazad will das auch. Als ihr ein experimentelles Implantat angeboten wird, sagt sie zu – was natürlich nicht ohne Folgen bleibt.
Die Geschichte folgt Shehrazad und einer anderen Frau auf deren Spuren, wobei beide Figuren miteinander verschwimmen. Mir war nicht ganz klar, ob das Absicht war oder nicht, ebenso wie es mir unwahrscheinlich erschien, dass die Eltern Shehrazads Versinken in virtuellen Welten so gar nicht wahrnehmen. Hier hätte ich mir etwas mehr Einblicke ins Umfeld der Hauptfigur gewünscht. Die Stärke des Textes liegt meines Erachtens in der berührenden nahen Figurenzeichnung und der gelungenen Schilderung dessen, wie sich Shehrazad in der virtuellen Welt verliert. Eine Schwäche liegt für mich in der leider häufigen Verwendung von Phrasen.
Jo Koren: Abschiede (Deutschland)
Eine Klinik bietet den planbaren Tod an und ermöglicht Angehörigen den perfekten Abschied. Mich hat die bedrückende Atmosphäre ebenso angesprochen wie die phrasenfreie Sprache. Auch gelingt es Koren, keine Wertung abzugeben, so dass die im Text aufgeworfenen Fragen gut im Raum stehen bleiben. Ein Schwachpunkt ist die blasse Hauptfigur, eine angehende Ärztin, aus deren Sicht das Ganze geschildert wird. Allerdings bekommt dadurch das ethische Dilemma und die Offenheit diesem gegenüber mehr Raum.
Tessa Maelle: Auguria Orbis (Deutschland)
Aus der Sicht der Leiterin tauchen wir in eine Weltraumstation ein, die von einer eigenwilligen Art des Tourismus lebt: Hier können reiche Frauen Kinder im All gebären. Die Leiterin möchte einem reichen Firmenmagnaten eine Lehre erteilen – seine gebärende Frau verkommt dadurch im Text zu reinem Beiwerk, was ich als Schwäche empfinde. Auch wird mir die Moral etwas zu sehr mit dem erhobenen Zeigefinger nahe gebracht und ich glaube auch nicht daran, dass auf diese Art etwas zu erreichen ist. Nicht zuletzt bleiben bis auf die eigentliche Hauptfigur, dem klischeehaft herrisch gezeichneten Firmenmagnaten, alle Figuren blass. Trotzdem ist der Text unterhaltsam.
Lucie Lukacovicova: Goldfarn (Tschechien)
Dieser phrasenreiche, hölzerne und enorm vorhersagbare Text, der außerdem noch schlecht recherchiert ist, hat mich so gequält, dass ich ihn ab der Mitte nur noch überflogen habe. Ein Mädchen sucht an einer alten Absturzstelle nach einem Heilmittel für ihre schwerkranke Mutter. Natürlich deckt sie ein Rätsel auf, das ihre bisherige Weltsicht in Frage stellt.
Mir ist schleierhaft, warum dieser Text ins Magazin aufgenommen wurde. Ist es so schwer, geeignete Texte zu finden? Oder kann das Problem durch die Übersetzung aus dem Tschechischen entstanden sein? Übersetzungsfehler erklären zwar möglicherweise die zeitlichen Inkonsistenzen im Text und auch manche Holperer (grammatikalische Reihenfolgen sind ja in Sprachen verschieden), allerdings nicht den banalen und vorhersagbaren Plot, der Lesende auf eine falsche Fährten führt, ohne dass dadurch Spannung entstünde.
Lauren C. Teffeau: Plastikjäger (USA)
Dieser spannungsreiche Text handelt von einer Crew, die Plastik aus dem Ozean fischt und an Firmen verkauft, die nicht auf neue Kunststoffe umstellen wollen. Als die Crew einen bemerkenswerten Fund macht, darf sie diesen natürlich nicht behalten und eine Verfolgungsjagd beginnt.
Das liest sich flott und unterhaltsam, allerdings bleiben eine Menge Fragen offen: Was genau haben sie da geborgen? Warum reagiert die Gegnerin, wie sie reagiert? So bleibt der Text, der so vielversprechend begann, eine Slice of Life, die unbefriedigend irgendwo abbricht.
Sonstiges
Neben einem informativen und anregenden Interview mit Jo Koren und einem Text zum sehr schönen Cover enthält das Magazin eine Übersicht über aktuelle Preisnominierungen.
Fazit: Die Stärke dieser Ausgabe sind eindeutig die deutschen Texte. Keiner davon hat mich richtig begeistert, aber sie sind alle gut lesbar und unterhaltsam. Dies traf auf die übersetzten Texte nicht zu. Bei allen fand ich gravierende Schwächen, insbesondere „Goldfarn“ weist handwerklich gravierende Mängel auf. Alle drei übersetzten Texte sind meines Erachtens nicht geeignet, mich als deutsche Schreibende zu befruchten. Da wünsche ich mir mehr!
kategoriale Einschätzung
Aufmachung 2 von 3
Unterhaltung 1,5 von 3
Textauswahl 1 von 3
Originalität 1,5 von 3
Diversität 2 von 3
Tiefe 2 von 3
Gesamtfazit: 10 von 18 möglichen Punkten