Sarah Stoffers: Berlin: Magische Knochen. Amrun
spannend und düster
Nach der Begeisterung über Welt und Figuren des ersten Bandes tauchte ich mit hohen Erwartungen in Band zwei. Stoffers lässt ihre bekannten Figuren, die Erfinderin und Gleiterpilotin Mathilda Sturm und den Zauberlehrling und nun obersten Bibliothekar Fidelio Lafrenz auf der Suche nach der verschwundenen Ling Berlin verlassen. Ling ist eine Nebenfigur aus dem ersten Band, die einige Geheimnisse verbirgt. Sie ist die zweite Geliebte von Mathilda und bekommt im zweiten Band auch eine eigene Perspektive, die allerdings nicht sehr viel Raum erhält. Wie im ersten Band auch gibt es daneben noch weitere kurze Ausflüge in andere Perspektiven. So sehen Lesende einem Assassinen dabei zu, wie er seinen Lehrling misshandelt und entwertet und kaltblütig eine Person nach der anderen ermordet. Ich nahm an, dass jeder Mord sich in die Handlung einfügen würde. Leider war das nicht der Fall. Die zahlreichen Stränge und Anknüpfungspunkte, die teilweise bereits im ersten Band vorbereitet wurden, fallen hier auseinander. Der Weltenbau bleibt an vielen Stellen kryptisch, die einzelnen Regionen der Welt unverbunden.
Die Welt, die Stoffers hier baut, ist nicht so freundlich wie das Berlin des ersten Bandes. Es ist eine düstere Welt, in der Menschen entwertet und misshandelt werden, ohne das die Gründe deutlich werden. In „Berlin: Magische Knochen“ wimmelt es von bedrohlichen Untoten; Blut und Hirn spritzen, ein schneller Kampf reiht sich an den nächsten. Stoffers kann gute Kampfszenen schreiben – allerdings habe ich selbst an den besten Kampfszenen wenig Freude, wenn sie sich häufen, sodass sich trotz der durchgehenden Spannung für mich Längen ergaben. Ebenso wenig liegen mir Texte, die ihre Hauptfiguren von einer lebensbedrohlichen Situation in die nächste hetzen. Genau so ein Text ist „Berlin. Magische Knochen“ jedoch. Dadurch kommt auch der Humor, den ich im ersten Teil so genossen habe, etwas kurz, und auch die Beziehungen zwischen den Figuren können sich wenig entwickeln. Mathilda und Fidelio sind nun schon fast ein eingespieltes Team, aber es kommt noch Hubert dazu, eine Luftfahrerin, die Mathilda eigentlich hasst, sich dann aber doch entscheidet, ihr zu helfen. Warum sie das tut, bleibt leider für mich unklar, ebenso wie, warum andere Figuren auftauchen, wenn Hilfe benötigt wird.
Dabei zieht Stoffers einige spannende Nebenfiguren aus der Tasche: Da sind der Untote Eta und die Ärztin Eta, die von einer Arche fliehen konnten. Da sind die nichtbinäre Hexe Morin Tiefwurz und ein geheimnisvoller Riese. Über all diese Figuren möchte ich gern mehr erfahren, vor allem, weil sie so wenig nachvollziehbar handeln. Leider erfüllt Stoffers mir diesen Wunsch nicht und die Figuren treten wieder ab, ohne dass die zahlreichen Rätsel gelöst werden. Warum leben die Hexen, wie sie leben, und was haben sie für Ziele? Warum hat die Fallenstellerin von der geheimnisvollen Substanz probiert? Was ist das eigentlich für eine Substanz und was genau bewirkt sie warum? An welcher Krankheit leidet Ling und wie konnte sie nach dem, was sie hinter sich hat, zu der werden, die sie ist? Warum leben die Leute auf der Arche in ihrem rigiden System und wie kann ein derart despotisches System so große wissenschaftliche Fortschritte vermelden – diese aber gleichzeitig so wenig nutzen?
Beide Hauptfiguren trauern um ihnen nahestehende Personen. Während Stoffers Darstellung davon mich im ersten Band mitgenommen hat, bleibe ich hier oft eher ungläubig zurück. Ist es wirklich glaubwürdig,sich als Ziel zu nehmen, eine geliebte verstorbene Person nach wenigen Wochen zu vergessen? Ebenso wenig mochte ich die Idee, dass die geliebte Rosa nun durch Ling ersetzt wird, was der dargestellten Poly-Beziehung meines Erachtens nicht im Ansatz gerecht wird.
Und dann ist da noch das Ende dieses zweiten Bandes. Natürlich müssen Ling, Fidelio und Mathilda nach Berlin zurück und natürlich müssen sie nun den aus Band eins hängengebliebenen Strang, was mit der Bibliothek passiert, aufgreifen. Leider passiert das auf eine für mich enttäuschende Weise. Nicht nur, dass Stoffers hier zur Spannungserzeugung Informationen vorenthält und dann irgendwann, wenn es siem passt, enthüllt. Auch der Schreibstil wirkt in einem Teilkapitel plötzlich unbeholfener. Hinzu kommt, dass Fidelio nun einen Plan hat, ohne dass je Zeit dagewesen wäre, diesen zu entwickeln, und dass der Plan trotz seiner Komplexität an keiner einzigen Stelle schiefgeht. Personen tauchen aus dem Nichts auf und handeln, wie es nötig ist – so wirkt das Ende auf mich wie ein deus ex machina.
Natürlich ist es möglich, dass das Ganze eigentlich ganz anders gemeint ist und ich nur auf einem riesigen Schlauch stehe. Wäre nicht das erste Mal. Und ob Kämpfe und Untote gemocht werden, ist schlicht Geschmackssache. Bliebe noch der Fakt, dass das Buch für mich stilistisch hinter dem ersten Band zurückbleibt. Einige Formulierungen habe ich als deutliche Perspektivbrüche der personalen Perspektiven empfunden, so wenn eine Figur plötzlich sehen kann, was sich hinter ihr befindet oder mir erklärt, warum sie dies und jenes nicht weiß. Aber auch das fällt vielleicht nur auf, wenn mensch selbst schreibt.
Drei große Pluspunkte gibt es aber noch: Der Text hält bis auf einige kleine Längen durchweg die Spannung und ist ein echter Pageturner. Und es gibt sehr viel weniger Schreibfehler als im ersten Band, was mir das Lesen erleichterte. Nicht zuletzt ist der Weltenbau für mich zwar unrund, trotzdem habe ich aber die zahlreichen kleinen Details und die eigenwilligen Figuren genossen.
Fazit: Nach einem grandiosen Auftakt ist der zweite Band dieser Reihe zwar immer noch gut lesbar und sehr unterhaltsam, konnte aber meine Erwartungen nicht erfüllen. Wer schnelle Texte und düstere Stimmungen mag und gern Kämpfe liest, wird hier sicher gut bedient. Wer Teil eins wegen seiner in sich stimmigen Welt und des Berliner Lokalkolorits las, wird aber vom zweiten Teil ähnlich enttäuscht sein wie ich.
Unterhaltung: 2,5 von 3
Sprache/Stil: 2 von 3
Spannung: 2,5 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2 von 3
Originalität: 1,5 von 3
Tiefe der Thematik: 1 von 3
Weltenbau: 2 von 3
Gesamt: 13,5 von 21