Martha Wells: System Collapse (Murderbot 7). Tor

Actionreich, aber für Profis übererklärt

System CollapseDass ich Fan der Murderbot-Serie bin, ist für Leser*innen dieses Blogs kein Geheimnis. So musste ich natürlich auch das neueste Buch der Serie gleich im englischen Original kaufen. Ich verschlang es wie alle anderen, es ließ mich aber mit einem unbefriedigten Gefühl zurück. Nun habe ich es ein zweites Mal gelesen und mein Eindruck hat sich bestätigt: Es ist ein gutes Buch, aber mir fehlt etwas, um es genial zu machen.

Nach dem chronologisch letzten Buch (Network Effekt) ist Murderbot zusammen mit fünf (!) Gruppen von Menschen in der Nähe eines abgelegenen Planeten, der mit Alien-Reststoffen kontaminiert ist. Mensah und Pin-Lee kennen wir schon aus den ersten Büchern. Sie sind gekommen, um Murderbot zu unterstützen. Amena und Tiago und deren Crew kennen wir aus Netzwerk-Effekt, sie sind mit Murderbot entführt worden und in Netzwerk-Effekt gerettet worden. Ebenso wie die Crew von ART (in den deutschen Büchern Fifo) mit Iris an der Spitze, die die Bevölkerung des Planeten vor der Versklavung durch den Konzern Barish-Estranza retten möchte. Und dann sind da noch die Crew von Barish-Estranza und die Bewohner*innen des Planeten. Das klingt nicht nur unübersichtlich, das ist es. Im Verlauf von „System Collapse“ erweisen sich die Menschen auf dem Planeten als drei verschiedene Gruppen, was die Sache weiter verkompliziert. Als wichtige Person, die aktuell zu keiner Gruppe gehört, ist noch Three zu nennen, eine SecUnit ohne Chefmodul, die von Murderbot und ART befreit wurde.

„System Collapse“ handelt im Wesentlichen vom Wettlauf zwischen Barish-Estranza und den drei Crews von Preservation und ART um die Zukunft der Bewohner*innen des Planeten: Werden sie frei leben können oder geraten sie in die Fänge eines Konzerns? Natürlich spielt der Konzern nicht fair und das sorgt für einige Komplikationen.
Nach der Murderbots traumatischer Entführung in „Netzwerk-Effekt“ möchte die Hauptfigur den Planeten meiden. Aber als Murderbots Hilfe gebraucht wird, ist die SecUnit natürlich doch zur Stelle – und damit konfrontiert, dass das Trauma nicht spurenlos geblieben ist. Thematisch behandelt das Buch somit ein für mich enorm spannendes Thema, das die gesamte Serie durchzieht: Wie kann eine als Killermaschine missbrauchte Person mit den eigenen Traumatisierungen umgehen? Die Traumafolgen werden hier zugespitzt (ich benenne mal nicht wie, um die Spoiler im Rahmen zu halten) und es geht viel um Murderbots Scham, nicht mehr zu funktionieren, eine Scham, die die Figur sehr menschlich macht und die Murderbot mit vielen traumatisierten Menschen teilt. Leider empfinde ich die Art der Thematisierung als sehr aufdringlich und übererklärt: Murderbot ist vom ersten Buch an eine unzuverlässige Erzählstimme, hier stößt Wells Lesende immer und immer wieder darauf, dass da übrigens etwas ausgelassen wird. Und hier. Ach, und hier auch. Und hier habe ich vielleicht etwas projiziert. Mich hat das genervt, denn ich möchte beim Lesen selbst denken. Aber natürlich verfüge ich zu dieser Thematik auch über enorm viel Vorbildung, so dass es anderen Lesenden sehr anders gehen mag.
Hinzu kommt, dass eine mögliche Therapie nur sehr am Rande Thema ist. Es wird ein „Traumabehandlungsmodul“ benannt, aber was das sein soll, wird an keiner Stelle näher ausgeführt, obwohl es bereits in drei Büchern vorkam (vorher soll Mensah sich einer Traumabehandlung unterziehen). Gibt es in dieser Zukunft noch Psychotherapeut*innen? Wenn ja, warum meint Wells, dass SecUnits eine prinzipiell andere Therapie bräuchten als Menschen? Es wird angedeutet, dass das nur teilweise organische Gehirn von SecUnits anders arbeitet – aber bräuchte das wirklich einen anderen Therapieansatz? Und wer würde diesen entwickeln? Wo sind sie, die Expert*innen für psychische Erkrankungen?

Ich wollte gern mehr davon lesen, wie Murderbot Three begegnet, wie es zwischen Murderbot und ART/Fifo weitergeht, was sich mit Amena und Tiago entwickelt. Aber die Handlung ist so rasant und die einzelnen Handlungsorte so zersplittert, dass es kaum Zeit für zwischenmenschliche (-figürliche?) Entwicklungen gibt. In diesem Buch ist mir auch Murderbots Angewohnheit, alles zu zerdenken, sehr unangenehm aufgefallen, führt sie doch an rasanten Stellen immer wieder zu langen Denkpausen, die die Handlung zerfasern lassen.

So bleibt das Fazit, dass es sich um einen gelungenen Actionroman handelt, den ich gern gelesen habe, dass für mich aber Erzählstimme und Interaktionen nicht so weit tragen, dass es zu einem Lieblingsbuch wird, wie fast alle anderen Bücher der Serie. Vermutlich nähert sich nun traurigerweise auch diese Serie dem Punkt, an dem zumindest für mich fast alles rund um Murderbot auserzählt ist.

Unterhaltung: 3 von 3
Sprache/Stil: 2 von 3
Spannung: 3 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2 von 3
Originalität: 1,5 von 3
Tiefe der Thematik: 2 von 3
Weltenbau: 3 von 3
Gesamt: 16,5 von 21