Reda El Arbi: [empfindungsfæhig]. lectorbooks

kampflastiger Pageturner

EmpfindungsfhigDer Schweizer Autor El Arbi schafft es schon in den ersten Zeilen, Stimmung zu erzeugen: Eine Ermittlerin schleicht durch einen alten Keller, um auf eigene Faust Kriminelle zu erlegen. Ich kann den Keller förmlich riechen und bin auch gleich in die Spannung hineingesogen, auch wenn ich mich frage, warum sie ausgerechnet morden möchte und wie ich das finde.
Geärgert hat mich, dass die Ermittlerin ableistisch vor sich hin schimpft (da könnte die Sprache in 60 Jahren doch verändert sein und Schimpfwörter müssten keine Menschen mit Behinderungen mehr entwerten) und dass sie auch auf sehr abwertende Art an ihre Tochter Lea denkt, der nach einem Unfall ein Arm fehlt. Mit Lea geht die Geschichte dann auch weiter. Sie wird als zynische ehemalige Alkoholikerin und Drogensüchtige eingeführt, die die Detektei der Mutter übernimmt. Hilfe hat sie dabei von Cali, einer taktischen Militär-KI, die ihre Armprothese steuert und auch Leas Körper übernehmen kann, um sie zu einer Superkämpferin zu machen.
El Arbi schafft es einerseits, lebendige und verschiedene Figuren zu entwerfen, andererseits kommen mir diese nach der gelungenen Einführung nicht wirklich nahe. Da sie alle sehr ähnlich sprechen und handeln, gerieten sie mir auch immer wieder durcheinander.
Da ist neben Lea noch Meyr, ebenfalls Ermittler, der nach einem für ihn vorteilhaften Angebot die Seiten gewechselt hat und vom Kriminellen zum Polizisten wurde, und Markwart, ein Staatsanwalt. Eine Rolle spielen auch Leas Ex-Freundin und ihre neue Flamme Melissa, Markwarts Tochter. Ich liebte die herrlich schrägen Figuren, so beispielsweise Klara, die Sexarbeiterinnen aufpäppelt und in Leas Haus lebt, oder die Blood Sisters, zwei Gangfrauen, die Lea beschützen. Aber leider nutzt El Arbi seine Figuren nicht wirklich: Nach der stets gelungenen Einführung fluchen sie alle gleich ableistisch und sexistisch, und metzeln sich als harte Kämpfer*innen durch die Gegend. Irgendwann bekam ich das Gefühl, all die Figuren seien nur eingeführt, um im großen Showdown – nach dem das Buch merkwürdigerweise noch weitergeht – aufgefahren zu werden. Das fand ich dann enttäuschend. Nach dem Showdown werden vor allem die Beziehungsgeschichten weitergeführt, diese fand ich jedoch in ihrer Austauschbarkeit und Vagheit enttäuschend. Besonders geärgert hat mich eine Unterhaltung der KIs über psychiatrische Diagnosen der handelnden Menschen, die zum Teil hanebüchener Unsinn sind, ebenso wie unnötige diskriminierende Vergleiche, die ich hier nicht wiederholen möchte. Die Entwertung von Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen zieht sich hier leider durch.

Zentral für den Text ist Leas Beziehung zu Cali. Die beiden bilden eine Zwangsgemeinschaft, die am Anfang durchaus als konfliktreich dargestellt wird, dann aber unerwartet harmonisch verläuft. Warum ist Lea drogensüchtig? Wird sie rückfällig, als sie wieder Drogen nehmen muss, um ihre Aufgabe zu erfüllen, und was macht das mit ihr? Wir erfahren leider nichts darüber. Hier zeigt sich eine große Schwäche des Autors: Emotionen werden fast durchweg behauptet, statt sie wirklich zu zeigen, und Beziehungen verändern sich nicht. Dies führt zu merkwürdigen Inkonsistenzen im Plot, beispielsweise als Lea glaubt, dass Cali „gestorben“ sei, und behauptet wird, es sei für Lea schonender, wenn sie in anderer Form wiederauferstehe. Das ergibt meines Erachtens ebensowenig Sinn, wie dass Lea auch ohne die KI super kämpfen kann.

Viel Freude hatte ich am Humor des Textes: „Ein mittelmäßig schönheitsoptimierter Empfangsheini hinter einem polierten Tresen aus Nussbaumimitat lächelte sie professionell falsch an und fragte nach ihrem Anliegen. Lea lächelte dilettantisch falsch zurück und nannte ihren Termin.“ Ich finde, dass die Entwertung des Angestellten hier nicht sein muss – aber die Beschreibung der Interaktion halte ich für gelungen. Immer wieder streut El Arbi kleine Weltenbaudetails ein, die die Welt farbenfroh machen.
Insgesamt hat mich der Weltenbau leider trotzdem nicht überzeugt: Mächtige KIs haben die Steuerung übernommen und Ländergrenzen aufgelöst, sodass es nun Staatenverbünde gibt. Warum die KIs, die offenbar zu keinerlei Emotionen fähig sind, ein superkapitalistisches System aufrecht erhalten, leuchtet mir aber nicht ein. Ich nahm an, dass dies ein Kniff sei, um damit zu spielen, mit wem ich mitfiebere, denn ganz lange war mir das nicht klar: Möchte ich, dass Lea und die EuroGov-KI gewinnen? Mir schien der Gegner die bessere Alternative. Leider wurde zum Ende hin immer mehr deutlich, dass der Gegner als eindeutiger Antagonist mit psychopathischen Zügen aufgebaut ist, die Geschichte wandelte sich also immer mehr zu „böse Super-KI will alle Menschen ausschalten“. Folgerichtig empfand ich das Ende dann auch als rundum enttäuschend.

Der Text enthält zahlreiche Kämpfe mit Schilderungen von Blut und Gehirnspritzern, wer an so etwas Freude hat, kommt hier voll auf seine Kosten. Viele der zahlreichen eingeführten Figuren sterben, wobei der Tod ebenso wie die beschriebene Gewalt meist keine lesbare Folge hat. Auffällig ist eine starke Platzierung von Markennamen, nicht nur bei Kleidung und Schuhen, sondern vor allem bei Waffen, die El Arbi ausführlich beschreibt. Stellenweise las sich der Text für mich wie ein Werbeblock der Waffenindustrie. Trotzdem gelingt es El Arbi, die Kampfszenen plastisch zu gestalten, die kleinen beschriebenen Details (wo das Blut entlang fließt, wie genau jemand umkippt, wer wo mit was genau schießt usw.) sind gelungen aufgeführt.

Sprachlich liest sich der Text gut, besonders in der ersten Hälfte des Romans ist der Humor ein deutliches Plus. Leider nahm er im zweiten Teil des Buches ab. Irritiert haben mich zur Flüssigkeit des Textes nicht passende sprachliche Fehler wie fehlende Wörter oder falsche Bezüge. Vielleicht sind manche davon Schweizer Besonderheiten? Dazu würde es passen, dass im Text einige (vermutlich) schweizerdeutsche Wörter vorkommen, über die ich gestolpert bin, wie „minim“ für minimal oder „Abdanke“ für Trauerfeier. Leider fielen mir auch unpassende kindlich wirkende Phrasen auf, die aus dem allgemeinen Stil herausfielen, wie „Dann gingen die Lichter aus“ als Lea ohnmächtig wird oder „Cali war nicht mehr“ als Cali stirbt.

Fazit: El Arbi ist ein Pageturner in Thrillermanier gelungen, der sicher Fans finden wird. Leider wurde bei den sehr interessant angelegten Figuren vieles verschenkt und der Text wird meines Erachtens dem Titel, der einen Emotionsfokus nahelegt, nicht gerecht. Ein Malus ist meines Erachtens auch, dass Behinderung und Traumata als zentrale Themen auf klischeehafte und entwertende Weise behandelt werden. Wer leichte Unterhaltung mit viel Action sucht, ist hier trotzdem gut bedient.

Unterhaltung: 2,5 von 3
Sprache/Stil: 1,5 von 3
Spannung: 3 von 3
Charaktere/Beziehungen: 1,5 von 3
Originalität: 1,5 von 3
Tiefe der Thematik: 1 von 3
Weltenbau: 1,5 von 3
Gesamt: 12,5 von 21