Zara Zerbe: Phytopia Plus. Verbrecher Verlag

gutes Debüt mit schwachem Ende

Phytopia Cover Web

 

In einem zukünftigen Hamburg, das ich zeitlich nicht genau einordnen kann, arbeitet Aylin als Aushilfe in einer Gärtnerei. Dort können Menschen ihr Bewusstsein auf Pflanzen speichern lassen und Aylin sorgt dafür, dass es diesen Gewächsen gut geht. Nebenbei pflegt sie hingebungsvoll ihre Zimmerpflanzen.
Ich mag diese Ursprungsidee sehr, vor allem, weil Aylin als ausgesprochener Pflanzennerd dargestellt wird, worin ich mich sehr wiederfinde. Sie ist arm und kümmert sich um ihren Großvater, der ihre einzige, noch in Hamburg verbliebene Familie ist. Und hier zeigt sich für mich dann auch eine sich leider durchziehende Schwäche des Textes: Die Beziehung zwischen Aylin und dem Großvater, die wichtigste in diesem Text, bleibt blass. Die beiden sprechen scheinbar nie über irgendetwas von Belang und warum Aylin möchte, dass ihr Großvater in einer Pflanze gespeichert wird, bleibt wenig nachvollziehbar. Ebenso wie, was sie mit dieser Speicherung verbindet.


Ich hätte gern gesehen, wie der Großvater und Aylin gemeinsam ihre Pflanzenliebe ausleben, was sie verbindet, auch wie ihr Großvater anders spricht als sie (meine Großeltern jedenfalls sprachen sehr anders als ich), aber nichts davon zeigt sich im Text. Der plätschert lange sanft vor sich hin, während wir Aylin durch ihren Alltag folgen. Die Spannung entstand für mich zunächst vor allem durch Einschübe aus der Sicht der Pflanzen, eine Idee, die ich ziemlich grandios finde. Denn natürlich warte ich darauf, dass Aylin und die Pflanzen irgendeine Art finden, einander zu begegnen.
Der Text entwickelt sich anhand dieser Frage (Pflanzenkommunikation) weiter, entwickelt aber außerdem Spannung auf verschiedenen weiteren Ebenen. Leider entsteht Spannung fast immer dadurch, dass Aylin nie über Dinge spricht, die sie bewegen. Sie beobachtet etwas und ignoriert es, was mich beim Lesen in Sorge um sie versetzt hat und ein wesentliches Spannungselement darstellt.
Aylin müsste also furchtbar einsam sein, aber das wird nicht gezeigt. Stattdessen leidet sie unter Grübelschleifen, die gut dargestellt werden, das ist meines Erachtens eine Stärke des Textes. Hieran, so nahm ich an, könnte sich eine Charakterentwicklung anschließen, uns gezeigt werden, wie Aylin mit ihrer zunehmenden Paranoia umgeht.
Aylin erscheint zunächst als recht naive Figur. Ich habe das ihrem Alter zugeschrieben, das irgendwo bei Mitte zwanzig liegen muss, allerdings hat mich diese Naivität dann doch genervt, denn sie wird nicht durch einen Hintergrund, der sie erklärt, begründet. Aylin bleibt dadurch eine recht blasse Figur, der man gern folgt, weil sie sympathisch ist, der aber die Tiefe fehlt. Sie traut sich nie, etwas zu fordern, gerät dadurch auch nie wirklich in Konflikte, und wenn sie schwierige Dinge beobachtet, geht sie ihnen nie nach. So entsteht ein scheinbar recht vorhersehbarer Plot – bis zu einem gewissen Punkt.

Der Weltenbau im Buch ist grandios angelegt: Das Hamburg der Zukunft besteht aus mehreren Parallelwelten und die Neugier auf diese Welten hat mich gern weiterlesen lassen. Warum ist Hamburg so zwischen arm und reich gespalten? Wie funktioniert das Leben in den armen Vierteln? Warum wollen Menschen sich auf einer Pflanze speichern lassen, die nirgendwo mehr leben kann, weil der Klimawandel so weit fortgeschritten ist? Wie ist das mit dem Gemüse und den Tomaten und warum sind Zimmerpflanzen so beliebt, dass sie auf dem Schwarzmarkt hoch gehandelt werden? Was macht diese Pflanzenfirma wirklich und woher weiß sie so viel über Aylin? Zerbe deutet hier jede Menge interessanter Fragen mit teilweise gesellschaftskritischem Potenzial an. Leider wird keine einzige davon im Text beantwortet. Es gibt zwar jede Menge infodumpige Dialoge zur Bewusstseinsspeicherung und auch eine Fernsehsendung zur Weltlage, diese bleiben aber stets vage und dadurch wenig nachvollziehbar.

Der Text bekommt zunehmend Spannungselemente: Pflanzen sterben, andere werden gestohlen, es gibt rätselhafte Einbrüche in ein Gewächshaus und Aylin hat mehr und mehr Angst, mit ihren illegalen Pflanzengeschäften aufzufliegen. Ist die Sache mit der Pflanzenspeicherung reiner Betrug oder gelingt ihr ein Kontakt? Was macht die Firma wirklich mit Menschen und Pflanzen? Und was ist das titelgebende Phytopia Plus wirklich? Das Lesetempo steigert sich, denn ich will wissen, wie alles zusammenhängt. Wie, so fragte ich mich auf den letzten Seiten, werden all diese offenen Fäden in so kurzer Restlesezeit verknüpft oder aufgelöst?
Die Antwort lautet leider: gar nicht. Der Text gibt einige Halbantworten, aber das Ende bleibt ein so riesiger Schwachpunkt, dass er mir das Vergnügen an dem unterhaltsamen Text leider ziemlich nimmt.

Fazit: „Phytopia Plus“ ist ein leicht lesbarer, sprachlich flüssiger und großenteils unterhaltsamer Roman, von dem ich anfangs glaubte, dass er richtig grandios ist. Leider fehlt ihm dazu die Tiefe bei den Figuren, deren Beziehungen und im Weltenbau. Größter Schwachpunkt ist aber das unbefriedigende Ende. Trotzdem halte ich die Autorin für eine, die man sich merken sollte: Wenn sie so startet, kommt da hoffentlich noch Besseres!

Unterhaltung: 2 von 3
Sprache/Stil: 1,5 von 3
Spannung: 2 von 3
Charaktere/Beziehungen: 1,5 von 3
Originalität: 2 von 3
Tiefe der Thematik: 1,5 von 3
Weltenbau: 1,5 von 3
Gesamt: 12 von 21