Marie Grasshoff: Neon Birds. Lübbe Verlag

Spannend aber ohne Tiefe

978 3 404 20000 9 Grasshoff Neon Birds kleiner

 

 

„Supersoldaten kämpfen gegen Zombie-Cyborgs“ so beschreibt Grasshoff die Grundidee des Buches in der Danksagung. Hätte ich das vorher gewusst, ich hätte die Finger davon gelassen. Denn der Halbsatz beschreibt das Buch gut. Es ist wie einer der Actionfilme, die überall verfügbar sind: Spannung, Spannung, Spannung aber flache Charaktere und ein Plotloch am nächsten.

 

 

 

   

Ich kam zu diesem Buch über die Empfehlung einer Autorenkollegin, die meinte, mein „Geflecht“ erinnere sie daran. Dann las ich die Leseprobe und dachte, das liest sich anders als ich, aber es klingt interessant. Leider weckte die Leseprobe in mir Erwartungen, die das Buch nicht erfüllt. So nahm ich an, es gehe um die Kontaktaufnahme mit dem „Feind“, da schon in der Leseprobe die angeblich stummen „Zombie-Cyborgs“ sprechen. Ich erwartete ein Spiel mit Feindbildern. Stattdessen - so viel kann ich schon verraten - bleiben die Bösen das ganze Buch hindurch böse.

Grasshoff wirft die Leser:innen schon nach wenigen Seiten in den ersten Kampf. Was das für eine Welt ist, muss man sich langsam zusammenpuzzeln. Zunächst reiht sich Kampfszene an Kampfszene, wobei recht schnell klar wird, dass eine Art mutierte Supermenschen (die Zombie-Cyborgs eben, im Buch Moja genannt) gegen „normale“ Menschen kämpfen – aber völlig im Dunkel bleibt, warum. Nach und nach wird deutlich, dass ein künstlich erschaffenes Virus, dass aus Nanobots besteht, einen Teil der Menschen befallen und einer Schwarmintelligenz einverleibt hat. Was für mich aber unklar bleibt: Warum sollte eine derartige Schwarm-KI haufenweise nicht befallene Menschen brutal niedermetzeln? Und warum gibt es lange keinen Hinweis darauf, dass jemand mal versucht hat, mit ihr zu kommunizieren?

Das Buch ist aus der Sicht von vier Protagonist:innen erzählt, die anfangs in je einer Szene vorgestellt werden. Drei sind Männer und Angehörige des Militärs, einer davon ist der fast nur noch aus Maschinenteilen bestehende Supersoldat Okijen. Nur eine, Andra, ist eine Frau und die einzige Zivilistin – die am Ende ihres Einführungskapitels gleich mal in den Armen Okijens zusammensackt und sich dann in der Folge von ihm trösten lässt. Leider lässt dieses klischeehafte Bild der schwachen Frau im gesamten Buch nicht nach: Zwischen Okijen und Andra bahnt sich eine Liebe an – und mehr darf Andra auch nicht einbringen. Sie ist zwar zu Beginn eine toughe Kämpferin, trägt aber danach nie wieder wirklich etwas bei, sondern wird zum Anhängsel von Okijen, das hinter ihm herstolpert und bei ihrem Versuch, das Ganze zu verstehen, Einordnungshilfe für die Lesenden leistet.

In ihren Erstauftritten beeindrucken die Männer durch ihre Unsympathischkeit (gibt es dieses Wort?) – in den folgenden Szenen holen sie aber auf. Zwei davon holen im Kampf auf. Logo. Sie sind ja beim Militär. Der dritte, Luke, kommt sehr lange nicht mehr vor und darf erst später sympathisch werden.

Neben den klischeehaften Geschlechterrollen und -bildern (nur Luke fällt etwas raus) liegt für mich ein weiteres großes Manko in der mangelnden Nachvollziehbarkeit einiger Handlungen der Protagonist:innen. Andra zieht, nachdem sie im Krankenhaus zusammengeflickt wurde und alle Personen verloren hat, die sie je kannte, bei Okijen ein – und obwohl es aus ihrer Sicht geschildert wird, versteht man nicht, wieso. Sie entwickelt schnell eine Zuneigung für den Soldaten, wobei die Schilderung der Beziehung der beiden Sexismus und Exotismus (Andra stammt aus einem abgelegenen Dorf und kämpft mit Pfeil und Bogen) auf sehr unschöne Weise vereint. Der erste längere Dialog zwischen beiden gerät zum reinen Impfodump und die folgende Gefühlsszene ist zum Fremdschämen - ich habe das Wort „sachte“ noch nie so oft und in so unpassenden Zusammenhängen gelesen – Okijen bekommt es sogar hin, sich sacht an eine Badewanne zu lehnen.

Okijen wiederum hat Andra gebeten, bei sich einzuziehen, weil er das Geheimnis um ihre gegen Moja wirksamen Pfeile lüften will – und vergisst das scheinbar schon nach der ersten Unterhaltung, denn das Thema kommt nie wieder auf.

Insgesamt zeigt sich, dass Grasshoff zwar Kämpfe sehr gut beschreiben kann, dass aber Beziehungsszenen stark dahinter zurückbleiben. Die Begegnungen zwischen Okijen und Andra bleiben hölzern, klischeehaft und seltsam flach – wobei Fremdscham die Emotion bleib, die ich beim Lesen am meisten hatte. Es gelingt Grasshoff in diesen Szenen nicht, wirklich an ihre Charaktere heranzurücken, was wirklich schade ist, denn so fehlt es ihnen an Tiefe und Vielschichtigkeit, obwohl sie eigentlich gut angelegt sind. Auch das Alter der Personen erscheint unglaubwürdig: Ein ausgedienter Soldat, der 21 Jahre alt ist? Ein 16jähriger Kadett und ein 20jähriger Captain – das wirkt selbst in dieser fremden Welt nicht nachvollziehbar, zumal die Erklärungen (das Ausnahmetalent der Protas und das Sterben älterer Soldaten bei einem Kampf vor 15 Jahren) äußerst fadenscheinig wirken.

In den Folgekapiteln, in denen es um Intrigen und Kämpfe geht, holt das Buch auf. Wenn sie nicht gerade versucht, eine vorsichtige Annäherung zwischen Okijen und Andra zu beschreiben, schafft es Grasshoff, die Spannung über lange Strecken zu halten. Das Buch ist ein echter Pageturner und liest sich sprachlich über weite Strecken gut weg. Leider gibt es immer wieder Fremdkörper und Hindernisse, deren dramaturgische und sprachliche Funktion mir bis zum Schluss unklar blieben. Da sind zum einen die englischen Kapitelüberschriften, die auf mich zu gewollt hip wirkten – ich habe irgendwann aufgehört, sie zu lesen, weil sie zu viel über das kommende Kapitel verrieten. Da sind zum anderen die Einschübe angeblicher Militärakten, die keinerlei Zusatzinformationen enthalten – und wenn doch, ist diese so vage, dass ich damit nichts anfangen konnte. Außerdem gibt es einige eingestreute Anglizismen und peinlich wirkende Wortneuschöpfungen, wie „Phone“, „Lichtschraubenzieher“ und (für mich als Fachfrau besonders komisch) die „tiefenpsychologische Rückkopplung“, die Luke hat, nachdem man ihm im Verhör eine „Wahrheitsdroge“ verpasst hat. Luke hat ein großes Geheimnis, dass den Leser:innen langsam offenbart wird – und mit diesem verbunden immer wieder Flashbacks, die in blumiger, fast schwülstig anmutender Sprache beschrieben sind. Auch diese wirken auf mich wie unangenehme Fremdkörper im Text.

Irgendwann empfand ich die durchgehende Spannung als Qual: Ich wollte gern wissen, wie es weitergeht. Aber ich ärgerte mich zunehmend über den nicht konsistenten Weltenbau, über Perspektivfehler (da kann man plötzlich die Gedanken von Personen lesen, die gerade nicht Perspektivträger:innen sind) und auch über nicht nachvollziehbare Emotionen: da grinst jemand schelmisch seine Angebetete an – obwohl er grad droht, erschossen zu werden oder die Gruppe rettet sich vor Verfolgern in einen Fahrstuhl – und wundert sich dann, dass die Fahrstuhltür aufgeht und sie von den Gegnern erwartet werden.

Ein weiterer gravierender Mangel war für mich die mangelnde Motivation des Antagonisten. Die Schwarmintelligenz bekommt zwar irgendwann eine eigene Perspektive – aber diese beleuchtet die Motivation so platt, dass sie für mich eher einen Mangel als eine Errungenschaft darstellt.

Zu allem Übel - ich hatte es bei einem als Trilogie angelegten Buch schon befürchtet - bleibt das Ende enttäuschend offen. Die drei Männer treffen für mich nicht nachvollziehbare Entscheidungen - und Andra hat nichts mehr zu entscheiden und sinkt weinend zusammen. Ich beendete das Buch mit einem schalen Gefühl: Alle Spannungsbögen wurden offengelassen, wohl um Spannung für das nächste Buch zu lassen, obwohl es gut möglich gewesen wäre, das ein oder andere abzuschließen.

Mein Fazit: Wer Spannung und ein hohes Lesetempo sucht und sich nicht sehr für vielschichtige Charaktere interessiert, ist hier gut bedient. Wer aber mehr mag, sollte lieber etwas anderes lesen.

Extra-Fazit: Wenn mein bisheriges Exposé den Eindruck erweckte, mein Text ähnele diesem, dann muss ich es schleunigst umarbeiten.