Judith C. Vogt und Christian Vogt. Wasteland. Knaur

Spannende postapokalyptische Geschichte

Cover WastelandDieser Roman des bekannten deutschen Sci-Fi- und Fantasy-Paares steht schon seit einer Weile auf meiner Leseliste, vor allem als mögliches Vorbild für eine geschlechts neutrale Sprache, wie ich sie für mein aktuelles Projekt Etomi suche. Insofern war ich froh, als mein Urlaub mir endlich genug Lesezeit bescherte. Und es hat sich gelohnt!

 

 

 

 

 

Wasteland spielt in einer postapokalyptischen Welt auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Nach zahlreichen Kriegen und infolge des Klimawandels sind die meisten Regionen verseucht und unbewohnbar. Gruppen von Menschen schlagen sich allein durch und verwenden dabei friedvolle („Hopers“) oder von Aggression geprägte („Toxxers“) Strategien. Das Setting erinnert dabei stark an die Spielwelt von FallOut, inklusive Banden, Sekten, Ruinenstädten, Mutanten, Bunkern usw. und leider auch inklusive der enthaltenen Unlogik: Welches Speichermedium funktioniert noch, nachdem es 25 Jahre lang feucht gelegen hat? Wie kommt es, dass das Benzin noch brennt und dass davon genug da ist, um sogar einen Schaufelradbagger nur aus Prestigegründen als Fahrzeug zu nutzen? Und nicht zuletzt: Wie gibt es überhaupt noch funktionierende Fahrzeuge (spätestens die Batterien müssten nach der langen Zeit reihenweise schlapp gemacht haben, jemand müsste sie durch Kickstarter ersetzen – was aber natürlich im Weltenbau nicht passiert ist). Interessanterweise trüben diese Fehler im Weltenbau aber in Wasteland die Lesefreude genausowenig wie sie die Spielfreude in den Video-Spielen der Fallout-Reihe beeinträchtigen.

Der Text beginnt mit zwei sich abwechselnden Ich-Perspektiven: die der 21jährigen Laylay und die des 22jährigen Zeeto. Natürlich verlieben sich die beiden ineinander, das ist aber auch das Einzige, was an dem Text heteronormativ scheint. Die Vogts spielen gekonnt mit Genderklischees: Zeeto darf weich und trotzdem tough sein, Laylay glaubwürdig abgebrüht, mit einem weichen Kern. Es ist den Vogts auf beeindruckende Weise gelungen, eine Sprache zu finden, die die mögliche Vielfalt von cis, queeren und trans* Identitäten abbildet, ohne dabei irgendwie kompliziert oder gestelzt zu wirken. Der „Trick“ besteht in einer flapsigen Sprache mit zahlreichen englischen (und türkischen) Einsprengseln und Wortneubildungen (was mir leider für mein Projekt gar nicht weiterhilft, denn meine Protagonistin spricht eher gestochen als flapsig). Ein weiteres wichtiges Mittel ist die Wahl der Ich-Perspektive (auch das hilft mir nicht weiter, aus irgendeinem Grund will mein Text nicht in diese Perspektive).

Der Weltenbau mit Neurodiversität und trans* Identitäten wirkt sehr natürlich, was erfrischend zu lesen ist. Auch das verwendete Neopronom (ser) fügt sich gut in den Text ein. Die Sprache der beiden Erzählstimmen wirkt dabei relativ abgebrüht und hart, wobei Laylay die härtere Sprache hat und Zeetos Sicht von seiner bipolaren Störung beeinflusst ist (die für meinen Geschmack etwas weniger erklärt hätte sein müssen). Die Sicht auf bipolare Störungen als eine Form von Neurodiversität ist für mich insgesamt eine neue und spannende – die vielleicht auch einfach nur in ein neues Wort packt, was ich in der Arbeit mit bipolaren Menschen schon oft erlebt habe: Dass es darum geht, mit den eigenen Besonderheiten leben zu lernen, anstatt sie weghaben zu wollen.

Inhaltlich möchte ich nicht zu viel verraten. Der Text baut enorm schnell Spannung auf und hält diese bis zur letzten Seite – so sehr, dass ich des Öfteren vorgeblättert habe, um dann langsamer und genussvoller lesen zu können. Nach ca. einem Drittel kommt eine dritte Perspektive hinzu, die in der dritten Person erzählt ist und, anders als die anderen, nicht mit dem Namen des Protas versehen ist. Es ist, so wird schnell klar, ein Antagonist, der zumindest für mich relativ blass blieb und leider auch so wenig intelligent erscheint, dass seine Einblicke in die Gangwelt enorm lückenhaft bleiben. Das finde ich etwas schade, hätte ich es doch gut gefunden, wenn die Antagonist:innen mehr als einfach nur böse und völlig durchgeknallt wären. Andererseits erscheint das als Reaktion auf ein Leben nach der Katastrophe durchaus glaubwürdig.

Das Ende des Textes ist für mich etwas enttäuschend, weil für meinen Geschmack zu düster und zu offen. Ein zweiter Teil wäre gut – auch wenn meines Wissens keiner geplant ist. „Wir gewinnen, indem wir alle anderen umbringen“ ist zwar in postapokalyptischen Rollenspielwelten ein gern genommenes Antagonist:innenmotto, mich hat es aber noch nie überzeugt, vor allem, wenn die Personen, die das Motto wählen, so viele andere Möglichkeiten zu haben scheinen wie in „Wasteland“. Und so lässt mich dieser an sich wirklich tolle Roman mit einem etwas schalen Gefühl zurück, vor allem, weil für meinen Geschmack doch zu viele der im aufgeworfenen Fragen offen bleiben, ohne dass dies nötig gewesen wäre.

Trotz des für mich enttäuschenden Endes habe ich Wasteland sehr genossen, vor allem aufgrund der interessanten Charaktere und der gelungenen Sprache. Und nicht zuletzt, weil die Vogts wirklich gekonnt mit Geschlechterklischees spielen. Dass sie dafür an der ein oder anderen Stelle in die Postapokalypse-Klischee-Falle getappt zu sein scheinen, verzeihe ich ihnen da gern.

Nachtrag: Judith Vogt hat mich gerade davon unterrichtet, dass nicht nur ich gern einen zweiten Teil hätte und dass sie daher daran schreibt. Wir dürfen uns also freuen!