Martha Wells: Tagebuch eines Killerbots. Heyne

 Überlegungen zur deutschen Übersetzung

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Ich hatte es ja schon angekündigt: Martha Wells' Murderbot Diaries haben mich auf Englisch so begeistert, dass ich gern schauen wollte, wie die Übersetzung ist. Nun liegt sie vor mir: Was im Englischen eine Serie von vier Novellen ist, wird im Deutschen als einzelner Roman verkauft, ein 573-Seiten-Wälzer mit vier Kapiteln. Auch das Cover ist verändert: Das Bild einer generischen Gestalt in futuristischer Rüstung auf einer Art Raumstation, darüber ein Raumschiff. Ich mag das. Was ich nicht mag, ist der knallig rote Hintergrund, der auf mich etwas trashig wirkt. Und trashig finde ich das Buch nicht, auch wenn es – rein von der Sprache her – mit Trashelementen spielt.

 

 

Im folgenden Text geht es mir vor allem um Übersetzungsfragen. Für inhaltliche Überlegungen verweise ich auf meine Rezensionen der englischen Novellen: All Systems RedArtificial ConditionFugitive Telemetry.

Frank Böhmert hat Wells' Text aus dem amerikanischen Englisch übersetzt. Besonders neugierig war ich darauf, wie es ihm gelungen ist, die flapsig-sarkastische Sprache der Hauptfigur einzufangen und darauf, wie er das bei Wells so meisterhaft gelungene Spiel mit Geschlechtern (oder eben nicht-Geschlechtern) umgesetzt hat. Daneben gab es natürlich allerlei einzelne Wörter oder Lieblingsstellen, nach denen ich schauen wollte. Aber eins nach dem anderen.

Der Sprachduktus ist meines Erachtens gut getroffen. Auch im Deutschen wirkt Killerbot zynisch, hat einen trockenen und oft etwas gemeinen Humor, wirkt aber gleichzeitig verletzlich, sehr ängstlich und damit sympathisch. Ich empfinde Killerbot im Deutschen als etwas „prolliger“ als im Englischen, kann aber schwer einschätzen, ob das an der Übersetzung oder an meiner mangelnden Sprachkenntnis liegt. An manchen Stellen ist es Böhmert gelungen, sehr treffende Wörter zu finden, die im Englischen kein Äquivalent haben (Stiefeln und Eiern fallen mir hier als Fortbewegungswörter ein, die ich treffend und witzig fand). Was mich allerdings nicht überzeugt, ist die Übersetzung einiger spezieller SciFi-Begriffe. Warum wird das HubSystem zu einem HabSystem (das ist keine Übersetzung und ergibt zudem keinen Sinn) und warum wird die Abschaltung der Einheit bei katastrophalem Fehlversagen halb übersetzt mit „Einheit off“? Den Begriff SecUnit hat Böhmert gar nicht übersetzt, ebenso wie viele andere. Aus „Murderbot“ ist „Killerbot“ geworden, was ich nicht wirklich gelungen finde: Es ist keine Übersetzung, sondern die Ersetzung eines Anglizismus durch einen anderen mit etwas anderer Bedeutung. Schon beim Lesen des englischen Textes habe ich mich gefragt, wie ich Murderbot übersetzen würde. „Mordroboter“ ist zwar einigermaßen deutsch und inhaltlich korrekt übersetzt, klingt aber scheiße (wie Murderbot wohl sagen würde), „Mordmaschine“ klingt besser, hat aber inhaltlich eine etwas andere Konnotation. Da hätte ich wohl für die Beibehaltung von Murderbot plädiert. Die alternative Bezeichnung SecUnit wird von Böhmert einfach übernommen und fügt sich meines Erachtens auch gut in den deutschen Text ein.

Gestolpert bin ich über die Beibehaltung von „Feed“ im Text, das äquivalent zu Funk ohne Artikel benutzt wird, was mich auf den ersten Seiten immer wieder ins Stocken gebracht hat. Stolpern ließ mich auch die Übersetzung von rogue als freidrehend. Trotzdem schmälern diese meines Erachtens eigenwilligen Entscheidungen des Übersetzenden den Lesefluss nicht.

Leider finde ich, dass das auf die Genderfragen nicht zutrifft. Bei Wells gibt es außer den Pronomen he und she (er und sie), noch it (es, im Englischen vor allem für unbelebte Dinge und Tiere verwendet), they (als unbestimmtes Einzahlpronom) und ter (ein in Wells Welt bestimmtes, in unserer Welt nicht bekanntes, Geschlecht). Es gibt also eine Vielfalt von Geschlechtern und zwei Varianten, das Geschlecht von beschriebenen Personen offenzulassen. Daneben verhandelt Wells anhand der Pronomenwahl die Frage, ob Killerbot nun eine Person ist oder nicht, was sich auch an der Verwendung des Pronoms it festmacht, das Wells für alle möglichen Roboter und KIs verwendet.

Was passiert damit bei der Übersetzung? Böhmert macht aus Killerbot eine Einheit (sie), aus der ComfortUnit, der Killerbot begegnet, einen Sexbot (er) und aus Fifo, dem Schiff, ein Es. Immerhin verteilt Böhmert die Pronomen nicht klischeehaft und an den Stellen, an denen Killerbot als Mensch auftritt, ist es manchmal ein Er und manchmal eine Sie. Trotzdem finde ich seine Lösung äußerst unbefriedigend, weil sie den Text binärer machen, als er angelegt ist. They als geschlechtsunbestimmtes Pronom wurde einfach gestrichen.

Für den erzählenden Charakter Killerbot ist Geschlecht nach wie vor keine relevante Kategorie (Killerbot hat keins) und das bleibt im Text auch erhalten: Menschen sind oft einfach nur Menschen. Trotzdem finde ich es schade, dass von den drei nonbinären oder unbestimmten Pronomen bei Wells in der Übersetzung nur eins erhalten geblieben ist: Ter. Ter ist mit tie übersetzt worden, was für meinen Geschmack zu nah am Sie ist, vor allem in den Beugungsformen tihre und tihr. Außerdem schreibt Wells im Englischen „the tercera“ was bei Böhmert zu „der tercera Mensch“ wird, eine sperrige und wenig schöne Konstruktion, die Böhmert nur hätte anders lösen können, wenn er ein neutrales Pronom verwendet hätte. Was er leider nicht getan hat.

Was ist mit meinen Lieblingsstellen geschehen? Manche begeistern mich in der Übersetzung genauso wie im Original, mache sind deutlich abgeschwächt – und dann habe ich einige neue Lieblingsstellen gefunden, die ich im Deutschen stärker finde als im Original (oder einfach besser verstehe). Auch hier zeigt sich wieder, dass bei einer Übersetzung doch eine Veränderung des Tenors passiert. Das zeigt sich für mich auch an der einen Stelle, an der ein Name (ein Akronym) übersetzt wird. Der „asshole research transport“ ART wird im Deutschem zum „fiesen Forschungsschiff“ Fifo. Aus dem bedrohlichen, riesigen Schiff mit eigener KI wird so ein eher niedliche Riese. Manche Stellen lasen sich nur durch diesen Namenswechsel für mich ganz anders – einfach weil ein ART etwas anderes ist als ein Fifo – und in der Langvariante ein fieses Schiff eben auch etwas etwas anderes als ein Arschloch-Schiff.

Zuletzt frage ich mich, warum das Buch im Deutschen als Roman herausgegeben wurde und nicht als einzelne Novellen oder Novellensammlung. Ich finde diese Lösung etwas unbefriedigend, denn meines Erachtens entsteht durch das Aneinanderkleben von vier Novellen kein Roman. Bei den einzelnen Novellen störten mich die eingeschobenen Erklärungen zu dem, was in vorigen Teilen passiert ist, nicht. In den Romankapiteln wirken sie merkwürdig, gehen Autor:innen ja normalerweise schon davon aus, dass sich Lesende in Kapitel zwei noch erinnern, was in Kapitel eins passiert ist. Dass jemand Kapitel drei als eigenständigen Text liest, ist auch enorm unwahrscheinlich.

Auch die Spannungsbögen sind anders: Bei einem Roman erwarte ich einen großen Bogen von der ersten bis zur letzten Seite – und daneben kleinere kapitelweise Bögen. Beim Tagebuch eines Killerbots kann man die Entwicklung des Bots als großen Spannungsbogen lesen – das entspricht von der Anlage her tatsächlich aber eher einer Serie als einem Roman. Daher überzeugt mich die Herausgabe der Texte als Roman nicht, einfach weil es meines Erachtens zwar ein super Text ist (und das durchaus auch im Deutschen) aber eben kein Roman.

Und dann gibt es noch ein für mich nicht nachvollziehbares Ärgernis: Die Übersetzung der Titel. Aus „All System Red“ wurde „Systemausfall“. Gut, gekauft. Aber wie wird aus „Artificial Condition“ „Auf Paranoia programmiert“? Ganz und gar verwirrend ist, dass im Deutschen der dritte Teil fast so heißt, wie im Englischen der vierte: Aus „Rogue Protokoll“ wurde „Exit-Szenario“ (Teil drei) und aus „Exit Strategy“ „Schneller Abgang“ (Teil vier). Aber da bei einem Roman die Kapiteltitel zumindest für mich nicht so immens wichtig sind, ist das vielleicht auch keinen Aufreger wert.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen: Frank Böhmert ist eine Übersetzung gelungen, die viel vom Originaltext einfängt und ein spannendes und leicht lesbares Lesevergnügen bietet. Leider ist das bei den Pronomen nicht zufriedenstellend gelungen. Daher würde ich allen, denen es möglich ist, empfehlen, die Texte im Original zu lesen.