C‘t Storys 2021 und 2022

unterhaltsam, aber durchwachsen

ct allgemeinVor geraumer Zeit habe ich hier ausführlich über die Kurzgeschichten im Computermagazin c’t geschrieben. Inzwischen sind über zwei Jahre vergangen, in denen ich jede einzelne c’t-Story gelesen und auch selbst drei Geschichten in der c’t veröffentlicht habe. Ich kann also vermelden, dass die c’t für Autor*innen jeglichen Geschlechts offen ist – so lange in den Texten keine Neopronomen oder Sternchen vorkommen. Und: Die c’t ist einer der wenigen Orte, an denen für veröffentliche Kurzgeschichten ein Honorar gezahlt wird, dass mehr als nur symbolisch ist. Allerdings wird das Honorar trotzdem der investierten Zeit nicht gerecht (zumindest in meinem Fall nicht). Ein Bonus sind auch die Illustrationen zu den Geschichten.

Jahrgang 2021

Ich hatte im Februar 2021 in den von 2017 bis 2020 erschienenen Geschichten Sexismus bemängelt, sowie festgestellt, dass es bei den mir vorliegenden Texten einen deutlichen Männerüberhang gab. Meine eigene kleine Statistik der letzten beiden Jahrgänge besagt , dass von den 2021 veröffentlichen Texten 15 von Männern, 11 von Frauen und zwei von Personen anderen Geschlechts veröffentlicht wurden. Es gab also nur noch einen leichten Männerüberschuss. Auffällig ist, dass einige Autor*innen mehrfach vertreten waren, so Ulf Fildebrand (mit vier Texten, wobei ich einen zweiteiligen Text doppelt gezählt habe) und Barbara Schwarz (mit fünf Texten). Die meisten Texte des Jahrgangs konnten mich, obwohl sie gut geschrieben sind, nicht überzeugen, manche empfand ich als sehr klischeehaft oder recht einfallslos. So gibt es nach wie vor viele Geschlechtsrollenstereotype oder gar sexistische Texte (neun insgesamt) und auch einen, den ich als rassistisch empfand. Immerhin beweist diese Sammlung, dass Sexismus keine reine Männersache ist: Auch die von Frauen geschriebenen Texte bedienen mitunter entwertende Stereotype über Frauen.

Inhaltlich gibt das Magazin vor, dass die Texte mit Computertechnik zu tun haben müssen und fantastisch sein sollen. Meist wird das in Form von Abenteuergeschichten umgesetzt, gelegentlich in humoristischer Form. Aber es gibt auch Märchen und philosphisch dichte Texte, auch wenn das meiste eher leicht-unterhaltsam daherkommt.
Um nicht zu viel zu meckern, werde ich nur meine Highlights im Jahrgang 2021 benennen:

Aiki Mira: Das Universum ohne Eisbärin (Ausgabe 5/21)

Das ist eine sehr berührende Geschichte über eine Welt, in der Erinnerungen ausgelagert werden. Sollten schmerzhafte Erinnerungen gelöscht werden? Wenn ja, was bedeutet das für uns Menschen, unsere Identität und unsere Beziehungen? Mein absolutes Highlight und eine so zarte Illustration, die mich ähnlich berührt wie der Text.

Helge Lange: Clavis Mundi (Ausgabe 23/21)

Die in der Ich-Perspektive erzählte Story berichtet von zwei Nerds, von denen einer glaubt, ein Programm gefunden zu haben, das den Übergang in eine andere Welt erlaubt. Ich liebe die Sprache, die Schilderungen der beiden Protagonisten, die Erzählstimme, die sich nicht ganz ernst nimmt und flapsig-lyrisch daherkommt, wie beispielsweise hier bei der Wohnungsbeschreibung: „Daneben hatten zusammengeknüllte Knäckebrotverpackungen ihren festen Platz am Boden, genau im Goldenen Schnitt zwischen zwei Serverschränken.“ Lange findet auch ein überrraschendes und trotzdem folgerichtiges Ende. Einfach schön!

Zwei weitere Geschichten empfand ich als unterhaltsam, sie haben mich aber nicht wirklich begeistert: Barbara Schwarz: „Cybercrime für Anfänger“ aus Ausgabe 17/21 über einen etwas anderen Kriminalfall fehlt für meinen Geschmack die Tiefe und in Ulf Fildebrandt: „Das Rätsel der Qualia“ aus Ausgabe 12/21 empfand ich die Handlung als nicht ganz schlüssig.

Insgesamt empfand ich 2021 einen durchwachsenen Jahrgang mit einer großen Zahl für mich eher uninteressanten Texten.

Jahrgang 2022

 

2022 verschob sich die Statistik wieder zugunsten der Männer: 19 Texte von Männern, sechs von Frauen und zwei von Personen anderen Geschlechts – da sind die Männer mehr als doppelt so häufig vertreten wie alle anderen Geschlechter. Inhaltlich fiel mir in diesem Jahrgang weniger Sexismus auf und er bot auch wieder einige Highlights mehr, andererseits gab es auch Texte, die ich aufgrund unvermittelter Perspektivwechsel oder sprachlicher Mängel schwer lesbar fand, deren Plot mir nicht nachvollziehbar oder lückenhaft erschien oder die mich schlicht langweilten. Wieder benenne ich nur meine Highlights:

Vlad Hernandez: Die Nacht der Jäger (Übersetzung, Heft 2/22)


Diese von Pia Bundo aus dem Spanischen übersetzte Geschichte spielt im cyberpunkig wirkenden Havanna. Wir folgen zunächst Onyx, einer Schwarzen Frau in einer prekären Situation, deren Umstände wir nicht genau verstehen. Der Text lebt von seiner dichten Sprache und vielen Neologismen, die einerseits atmosphärisch wirken, andererseits aber das Lesen sehr verlangsamen. Onyx arbeitet als Prostituierte, wobei mir nicht so klar ist, was sie eigentlich mit ihrem Kunden vorhat. Das Ende war für mich nicht sehr überraschend und den dann nötigen Perspektivwechsel empfand ich als wenig elegant. Trotzdem besticht der Text durch seine Sprache und Atmosphäre.

Karin Kratt: Leb mal anders (LMA) (Heft 4/22)

Ein Mann verbringt seinen Urlaub in einer virtuellen Welt, weil die reale Welt mehr oder weniger unerfreulich geworden ist; ein immer wieder gern ausgearbeitetes SF-Szenario. Der Text ist flott geschrieben und lässt sich gut lesen, allerdings bleibt der Prota für meinen Geschmack etwas blass und seine Gedanken sind auch nicht wirklich spannend oder neu. Das Ende ist überraschend und gleichzeitig folgerichtig, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich es mir etwas weniger vage gewünscht hätte.

Barbara Schwarz: Ein Date mit Liesa (Heft 6/22)

Jochen liest Kontaktanzeigen und entdeckt eine, die ihn interessiert. Als die Frau ihn abweist, wird es erst richtig interessant für ihn: Mithilfe einer KI tüftelt er herum, wie er sie zu einem Date bekommt. Ich war zunächst wenig angetan von der klischeehaften Schilderung des Mannes und seiner Wünsche, die die Frau nicht ernst nehmen. Aber dann nimmt die Geschichte einen Turn, der sie für mich witzig macht und verdeutlicht, dass die Autorin mit den Klischees spielt. Der Text ist gut geschrieben und leicht lesbar.

Christian Endres: Unfollower (Heft 9/22)

Eine Frau zwingt Leute, Accounts wieder zu folgen, denen sie entfolgt sind. In zynischer und unterhaltsamer Weise wird erzählt, wie sie Leute bedroht, weil das ihr Job ist, und Endres bekommt es hin, dass die Protagonistin mir trotz ihres miesen Jobs sympathisch bleibt. Dabei hat der Text auch Humor, insbesondere die Nicknames der Besuchten finde ich witzig. Als die Prota zum Schluss der Geschichte selbst bedroht wird, ändert sich natürlich etwas – wenn auch leider auf eine nicht ganz glaubwürdige Art. Trotz des meines Erachtens nicht gelungenen Endes ist dieser Text eins meiner Highlights: knackige Sprache, plastische Prota – solche Texte lese ich gern. Hätte dieser Text ein gutes Ende gehabt, er wäre für mich ganz oben in meinen Jahreshighlights.

Christian Endres: Digitales Drachenfeuer (Heft 24/22)

Ein ziemlich abgewrackter Privatdetektiv soll einen Fall aufklären, von dem unklar ist, ob es ein Mord oder Unfall war. Er muss sich in eine virtuelle Welt begeben und den Verbindungen zwischen dieser und der realen Welt nachgehen. Schließlich löst er seinen Fall, nur bringt ihm das nicht so viel wie erhofft.
Der Text lebt von atmosphärischer Dichte und sprachlicher Schönheit, sowohl der Prota als auch die Auftraggeberin sind mit wenigen Details gekonnt gezeichnet. Geliebt habe ich vor allem einige detailreiche Schilderungen, wie: „Ihre sehnigen Hände umkrampfen das Taschentuch, als müsste sie Antworten daraus hervorquetschen“.

Fazit:

Nach wie vor haben die Texte in der c’t eine gute sprachliche Qualität, auch wenn es 2022 einige merkwürdige Ausreißer gab. Insgesamt frage ich mich, ob die Texte im Vergleich zu 2017 bis 20 sprachlich schlechter geworden sind oder ob aufgrund der Vielzahl von mir gelesener Kurzgeschichten in der Zwischenzeit meine Ansprüche so gestiegen sind. Ehrlich gesagt nehme ich letzteres an. Da ich in den letzten zwei Jahren so viele Kurzgeschichten gelesen habe, wird es zunehmend schwerer, mich zu begeistern, eine glatte Schreibe und ein spannender Plot reichen nicht mehr aus.
Da es sich bei der c’t nicht um ein Literaturmagazin oder eine Anthologie handelt, sondern pro Ausgabe nur eine Geschichten zwischen den Fachartikeln zu Computerthemen abgedruckt ist, verzichte ich auf meine übliche kategoriale Einschätzung. Grob gesagt punkten die Texte bei Unterhaltung und Aufmachung und verlieren bei Diversität und Tiefe.