Patricia Eckermann: Elektro Krause. tredition

spannend und flippig

Elektro Krause

 

 

Der Einstieg in diesen Roman hat mich sofort begeistert: In flapsiger Sprache erzählt mir da Ich-Erzählerin Kassy, dass sie als Schwarze Deutsche bei ihrem Heimatland sofort an Nazis denkt. So auch, wenn sie sich an 1989 erinnert, die Zeit, in der die Handlung spielt. Um mal zu zitieren: „Okay, ein paar feige Verpisser, darunter auch der Arsch, der uns das ganze Elend eingebrockt hat, haben sich vor Kriegsende selbst aus dem Leben gekugelt, aber der große Teil der Nazis ist einfach so durchgekommen“. Das empfinde ich als witzig, zugespitzt und sehr eigen. In mir weckt es die Erwartung eines lebensnahen Textes über das Leben als Schwarze Deutsche mit eigenem Blick auf die Nazizeit und das Fortdauern entsprechender Ideologie ins Heute.

 

 

Bis auf das erste und das letzte Kapitel, die eine kleine Rahmenhandlung bilden, die leider für mich nicht überzeugend abgeschlossen wird, spielt der Text 1989. Kassandra (Kassy) Krauses Vater ist von einer unerklärlichen Krankheit befallen und da sie ihm nahesteht und eh die Schnauze voll hat, kündigt sie ihren Job und zieht bei ihm ein. Er wohnt in einem Dorf im Rheinland und betreibt eine Elektrikfirma und da sie Elektrikerin und er nicht arbeitsfähig ist, übernimmt sie kurzerhand seine Aufträge. Der Text erweist sich im Kern schnell als Kriminalgeschichte: Nobby, ihr Vater, kann Geister sehen, eine Gabe, die sie geerbt, aber bislang zurückgewiesen hat. Seine „Krankheit“ ist auf einen Geisterunfall zurückzuführen und Kassy muss die verhasste Gabe nutzen, um den Fall zu lösen und den Vater zu retten. Dabei bekommt sie Hilfe von vier Personen: einem Angestellten des Vaters, dessen Sekretärin und zwei Freund*innen, einer coolen Schrottplatz-Schweißerx und einem türkischstämmigen Freund/Geliebten.

Leider hält der Text nicht wirklich, was ich mir nach dem Einstieg erhoffte. Nach einigen Szenen, in denen Kassy rassistisch angefeindet wird (in einer Massivität, die mir schwer fällt, als Mikroaggression zu labeln, wie Kassy es tut *Fußnote siehe unten) und sie auf ihre eigene Weise damit umgeht, spielt ihr Umgang mit Rassismus keine Rolle mehr. Deutsche Geschichte wird nur sehr oberflächlich verhandelt.
Auf mich wirkt das Buch wie eine Variante von Ghostbusters: Kassy jagt mit ihren Freund*innen verschiedene Geister und bastelt dazu kurios wirkende Maschinen. Der dahinterliegende Weltenbau mit den Dimensionen und deren Geistern und Dämonen überzeugt mich nicht recht, ebensowenig wie die pseudowissenschaftlichen Erklärungen der Phänomene. Trotzdem würde ich dem Buch aufgrund der Erklärungen mit einigem guten Willen das Label Science-Fiction verleihen. Urban Fantasy wäre aber sicher ein ebenso passendes Label.
Besonders enttäuscht war ich, als Kassy die Erinnerungen eines Mitläufers aus der Nazizeit aufnimmt und dies keinerlei Konsequenzen hat, außer der, dass sie eine relevante Information erhält, um eine Geisterwaffe zu verbessern. Was macht es mit ihr, die Erinnerungen dieser Person aufzunehmen, mit einem Denken direkt konfrontiert zu sein, das ihr kein Lebensrecht zugesteht? Wir erfahren nichts darüber.
Achtung, es folgen einige Spoiler! Ähnlich enttäuschend ist für mich die Gestaltung der Beziehung zwischen Kassy und ihrem Vater. Nobby ist phasenweise nicht ansprechbar – und es scheint sie kaum zu tangieren. Ich erfahre ebensowenig, was ihre gute Beziehung zum Vater ausmacht, wie warum es ihr scheinbar so wenig zu schaffen macht, dass er nicht mehr erreichbar ist. Besonders ärgerlich für mich ist, dass der Beziehungs-Handlungsstrang am Ende in der Luft hängen bleibt: Kassy löst den Fall, ihr Vater wird wieder gesund. Aber warum genau er eigentlich erkrankte, wie er diese Krankheit erlebte und wie und ob die beiden nun wieder miteinander in Kontakt kommen, bleibt offen. Dabei war ich sehr neugierig darauf, zu erfahren, wie die Vorfälle ihre Beziehung zueinander verändern und wie Kassy danach zu ihren Geister-Fähigkeiten steht. Auch der Showdown ist für meinen Geschmack etwas zu schnell abgehandelt, eine Figur, die kapitellang als Gegnerin aufgebaut wird, wird quasi nebenbei erledigt.

Fazit:
Trotz dieser Schwächen habe ich den Text gern gelesen. Er ist flott geschrieben, hat so gut wie keine Längen und kommt angenehm phrasenarm daher. Es gelingt der Autorin immer wieder, Figuren mit kleinen, charakteristischen Details gekonnt darzustellen, etwas, was ich sehr genossen habe. Etwas vermisst habe ich den Vibe von 1989, die zu der Zeit passende Sprache und die entsprechenden Moden in Einrichtung und Kleidung. Es kommt zwar ein Walkman vor und auch ein wenig damalige Musik, die Ansprache „cooler Dude“ kaufe ich aber für die Zeit ebensowenig wie das dargestellte offen genderqueere und polyamore Leben von Kassys Freund*innen. Trotzdem ist der Autorin eine unterhaltsame und spannende Geschichte gelungen, der ich eine große Leserschaft wünsche!

Unterhaltung: 3 von 3
Sprache/Stil: 2,5 von 3
Spannung: 2,5 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2 von 3
Originalität: 2 von 3
Tiefe der Thematik: 1,5 von 3
Weltenbau: 1,5 von 3
Gesamt: 15 von 21

* Fußnote (nachgetragen am 7.01.24): Mikroaggression habe ich bislang fälschlicherweise in Anlehnung an mir bekannte sozialpsychologische Theorien als unterschwellige Verletzungen interpretiert. Derartige Verletzungen sind den Personen, die sich aufgrund von Vorurteilen verletzend äußern, oft gar nicht bewusst. In dieser Bedeutung passt der Terminus nicht zu der im Buch beschriebenen Situation, die offen rassistisch ist. Ein Fachartikel zu Rassismus im Psychotherapeutenjournal vom Dezember 2023 hat mich aber jetzt darauf gebracht, dass es offenbar in der Rassismusforschung eine andere Verwendung der Begrifflichkeit gibt: Mikroaggression bezeichnet dort den Rassismus, der von Einzelpersonen ausgeht ( auf zwischenmenschlicher Ebene), während Makroaggression systematische, institutionalisierte Diskriminierung (also auf struktureller Ebene) beschreibt. Das passt dann sehr wohl zu der Stelle im Buch. Und ich habe wieder Lesestoff, um mich weiterzubilden.