Christian Kellermann: Adam und Ada. Hirnkost

spannend und langatmig

Adam und AdaZwei Zeitebenen werden in diesem Buch abwechselnd erzählt: Die erste spielt um 1920, im Zentrum stehen Hobby und Allan McAllan. Die zweite handelt von Ada McAllan und spielt gut einhundert Jahre später. Während Ada versucht, mithilfe von selbstlernenden neuronalen Netzwerken, die sie ungenauerweise KIs nennt, die genaue Natur von Proteinen zu entschlüsseln, ringt ihr Urgroßvater Allan mit seinem Chefarchitekten Hobby darum, einen Tunnel von Amerika nach Europa zu bauen. Beide Vorhaben wirken auf mich ähnlich wissenschaftlich unhaltbar: Schon aufgrund der Plattentektonik – Amerika und Europa driften jedes Jahr mehrere Zentimeter auseinander – ist ein solcher Tunnel nicht denkbar, ganz abgesehen von den im Buch benannten Problemen des Drucks und der Temperatur. Aber auch die Idee, dass man nur verstehen und berechnen müsste, wie Proteine gefaltet sind, um Unsterblichkeit erlangen und jegliche Krankheit zu heilen, erscheint weit hergeholt. Auch wenn das Verständnis für die Proteinfaltungen sicher einige Mysterien aufklären würde. Nun stören mich derlei Dinge in Science-Fiction-Romanen meistens nicht im Geringsten – hier ist es anders, weil die technische Seite der Unternehmungen im Zentrum des Textes steht. Für mich ist daher ein Text entstanden, der sich wiederholt seitenweise in fiktiver Wissenschaft ergeht, was mich leider gelangweilt hat. Fans solcher Herangehensweisen kommen aber sicher auf ihre Kosten.

Auch wenn das Buch mit Allans Erzählstrang beginnt und endet, ist der Hauptteil des Textes aus Adas Sicht geschrieben. Sie ist ein Workaholic, eine Person, die sich Chips hat installieren lassen, die sie daran erinnern, ihren Körper nicht zu vernachlässigen: Adam, so der Name des Programms, erinnert sie daran, zu essen, Sport zu treiben und sich auszuruhen. Leider erinnert er sie nicht daran, sich um ihre jugendliche Tochter Iris zu kümmern, und so kommt die Beziehung zu dieser immer wieder zu kurz. Für mich war es schwer auszuhalten, wie beziehungslos Ada mit Iris umgeht. Warum Ada so unfähig ist, sich um Anderes als um ihre Arbeit zu kümmern, habe ich leider bis zum Schluss des Romans nicht verstanden. Sie bleibt als Hauptfigur für meine Wahrnehmung zu blass.
Der Plot entwickelt sich recht schnell in Richtung eines Thrillers: Ada wird von ihrer Chefin unter Druck gesetzt, endlich Ergebnisse zu liefern. Aber sie kann nicht, denn ihr fehlen die nötigen Daten. Als ihre Tochter Iris zu einer Verabredung nicht erscheint, gerät Ada in Panik und findet die Tochter fast tot auf. Ada ruft den Notdienst und lässt Iris ins Krankenhaus einliefern, wo der Verdacht geäußert wird, dass Iris sich fast zu Tode gehungert und mit einem Hautbleichmittel vergiftet hat. Dieses, so der Verdacht, sollte die Hautflechte aufhellen, die in Iris’ Gesicht wuchert. Auch Ada hat diese Flechte, und sie spielt im Roman immer wieder eine zentrale Rolle, denn statt nun bei der Tochter zu bleiben, setzt Ada sich in den Kopf, ihre Arbeit zu erledigen und die Proteine zu entschlüsseln, um die Flechte zu heilen und so ihre Tochter zu retten. Dazu fliegt sie in den Folgekapiteln von ihrem schwedischen Wohnort nach Großbritannien und später in die USA, während sie den eigentlich abwesenden Vater von Iris bittet, sich um diese zu kümmern und Iris in eine teure Privatklinik einweist – selbstverständlich ohne das irgendwie mit der Tochter zu besprechen. Ada geht nun einem Hinweis nach, wie sie ihr berufliches Ziel erreichen kann, und es ergibt sich ein Wettlauf gegen mächtige Gegner, wobei es letztlich nur darum geht, sich das tolle Patent und den damit einhergehenden Ruhm zu sichern. Der Wettlauf um Geld wird dabei ganz in klassischer Thrillermanier zum Wettlauf um Leben und Tod.

Auch wenn ich den Text spannend fand, hat mich doch die mangelnde Logik des Plots immer wieder herausgerissen. Da liegen praktischerweise notwendige Dinge sehr überzufällig und unlogisch herum, ein Hochsicherheitstrakt hat an benötigten Stellen Lücken und eine Begleitperson wird im Krankenhaus mal eben so stark sediert, dass sie einen Rollstuhl braucht. Und: Warum, so fragte ich mich, stellt Ada in dieser Situation ihre Arbeit über das Wohl der Tochter? Wie kommt sie auf die abwegige Idee, ihre Tochter sei von Magersucht geheilt, wenn nur die Flechte nicht wäre? Und warum hat sie nur einen ganz leichten Anflug von Schuldgefühl? Mir stößt hier auch das Frauenbild auf, in dem es nur zwei Themen für Ada gibt: ihre Arbeit (dieses Thema doppelt sich mit Allen) und ihr Aussehen (dieses Thema hat Allan „natürlich“ nicht, denn er ist ja ein Mann). So geht Ada, als auch noch das Leben ihres Kollegen, mit dem sie natürlich eine Affäre startet, in Gefahr ist, erst einmal Schuhe kaufen – ein Bild, das auf mich unfreiwillig komisch wirkt, wie auch ihre Sorge um ihr Aussehen an unpassenden Stellen.

Die zweite Plotebene erzählt von Adas Urgroßvater Allan. Er hat sich, wie Ada auch, in den Kopf gesetzt, ein unmögliches Projekt umzusetzen, und baut gegen alle Widerstände am Tunnel. Es wird beschrieben, wie er dabei Frau und Kind völlig aus dem Blick verliert und trotz des Todes tausender vorwiegend Schwarzer Arbeiter nicht von seinem Plan abgeht. Da in der zweiten Plotebene der Ausgang des Projekts schon benannt wird, will hier nicht wirklich Spannung aufkommen. Mir ist daher bis zum Schluss nicht klar geworden, was für eine Funktion diese zweite Ebene in dem Roman eigentlich hat. Wahrscheinlich ist es eine reine Hommage an das über einhundert Jahre ältere Buch. Zur Geschichte selbst trägt sie fast nichts bei. Ada kommt irgendwann in dem noch existierenden Tunnel an und besucht das Grab ihres Urgroßvaters, allerdings wird für mich nicht einmal ansatzweise klar, was sie damit verbindet.
Das Ende des Romans ist für mich auf allen Ebenen unbefriedigend: Die Beziehungsebene zwischen Ada und Iris wird nicht wirklich aufgegriffen, das Ende des Wettlaufs um die Proteine halte ich für unglaubwürdig und es stellt nur eine Momentaufnahme dar. Logisch ist, dass dies auch auf das Ende von Allans Erzählstrang zutrifft: Er fährt zwar nun endlich durch seinen Tunnel, wir wissen aber bereits, dass das Projekt nicht lange Bestand haben wird. Sowohl er als auch Ada haben sich also, so viel ist schon zu Beginn des Textes klar, völlig umsonst aufgeopfert. Diese sinnlose Aufopferung auf Kosten anderer und letztlich der gesamten Gesellschaft ist das, was beide Stränge verbindet; ein spannendes Thema, das aber leider nicht wirklich vertieft wird.

Auch sprachlich konnte mich der Text nicht überzeugen. Er ist zwar leicht lesbar, weist meines Erachtens aber deutliche Längen auf. Häufige Wiederholungen, besonders der technischen Details, machten mir das Lesen mühsam. Hinzu kommt eine phrasenreiche Sprache, die Adjektive oft zu reich und fast schematisch setzt, immer wieder Zeitformenfehler und die Verwendung ähnlicher, aber nicht ganz passender Worte. Ein Beispiel, das alle drei Phänomene kombiniert: “Einige wenige Sekunden nur dröhnte infernalischer Lärm, dann herrschte Totenstille, eine fürchterliche Stille. Dichter Rauch vernebelte die Dunkelheit zusätzlich. Bleischwer durchtränkte er die heiße, dichte Luft im Schacht. Der Knall der Explosion war ohrenbetäubend gewesen, der Schall hat das massive Gestein unter dem Atlantik für einen Moment erbeben lassen, bevor es gespenstig (sic!) ruhig wurde.” Hinzu kommen immer wieder Perspektivfehler, in denen die eigentlich streng personalen Perspektiven unnötig gebrochen werden. Auf mich wirkte der Schreibstil altmodisch, auch aufgrund der vielen bewertenden Adjektive, so wenn beispielsweise beschrieben wird, dass Ada “etwas tollpatschig” gegen eine Scheibe stößt. Die Dialoge wirken durchweg hölzern und mehr oder weniger unbeholfen, wobei keiner einzigen Person ein eigener Sprechstil zugestanden wird. Hier ist eine große Chance der Figurencharakterisierung vertan worden, ebenso wie die Möglichkeit, die sozialen Folgen von Arbeitssucht aufzuzeigen.

Zu nennen sind noch die im Text enthaltenen Themen. Da ist eine Menge Aktuelles dabei: Sexismus, Rassismus, die Entwicklung von künstlichen neuronalen Netzen, Datenschutz und Gentechnik. Der Autor, so wird verraten, ist Experte für Künstliche Intelligenz und er wurde inspiriert von “Der Tunnel” aus dem Jahr 1913 von Bernhard Kellermann. Hier hätte ich gern gewusst, ob die Namensgleichheit zum Autor Zufall und was nun genau so inspirierend ist. Reichte es aus, dass der Roman damals ein Bestseller war?
Insgesamt empfinde ich die Behandlung der benannten Themen als oberflächlich und unbefriedigend. Ja, man kann den Rassismus und Sexismus der 1910er Jahre mit der damaligen Zeit begründen. Wenn man sich allerdings ausdenkt, dass jemand einen unmöglichen Tunnel bauen kann, warum dann ausgerechnet an diesen Dingen festhalten und zeigen, wie Schwarze und Frauen entwertet und aus der Welt der Weißen Männer ausgeschlossen werden? Warum dann im 2020er Strang eine ostasiatisch gelesene profitsüchtige Chefin einbauen, die ein gängiges antiasiatisches Klischee bedient und dann explizit die Idee einer “Herrenrasse” aufgreifen, um so die “Bösen” zu einem Nazi-Abziehbild zu machen und gleichzeitig in Adas Grabbesuch eine jüdische Tradition (das Hinterlassen eines Steines) aufgreifen, ohne sich darauf zu beziehen? Mir erscheinen diese Aspekte nicht nur oberflächlich, sondern auch gedankenlos. Ähnlich gedankenlos, wie dass PoC und Schwarze nur als Opfer und dienende Personen vorkommen – oder als Antagonistin wie die Chefin, eine (wahrscheinlich unbeabsichtigte) Reproduktion von Rassismus.

Zu nennen ist noch die aufwändige Ausstattung des Buches: Festeinband, Lesebändchen und zweifarbiger Druck – wobei ich diesen nur erkannt habe, weil er im Nachwort explizit benannt wird. Die dunkelblau gedruckten historisierenden Kapitel sind der schwarzen Schrift so ähnlich, dass sie mir ansonsten nicht aufgefallen wären. Die drei Hauptteile des Buches sind außerdem durch Illustrationen schön abgesetzt. Schade, dass diese aufwändige Ausstattung einem Text zugute kommt, der mich letztlich auf keiner Ebene überzeugen konnte.

Fazit:
Trotz der gravierenden Schwächen ist es dem Autor gelungen, die Spannung zu halten, auch wenn eine deutliche Kürzung dem Text gut getan hätte. Wer technisches Blabla liebt und auf Figurengestaltung und Beziehungen nicht so viel Wert legt, wird hier sicher trotzdem gut unterhalten.

Unterhaltung: 1,5 von 3
Sprache/Stil: 1 von 3
Spannung: 2 von 3
Charaktere/Beziehungen: 1 von 3
Originalität: 0 von 3
Tiefe der Thematik: 1 von 3
Weltenbau: 0 von 3
Gesamt: 6,5 von 21