Maja Ilisch: Unten. Dressler
bedrückend und doch leicht
“Unten” ist das erste Kinderbuch der deutschen Fantasy- und Science-Fiction Autorin Maja Ilisch. Hauptfigur ist die ungefähr zwölfjährige Nevo. Sie lebt mit ihrer Mutter in einem Haus in einer kleinen Wohnung und wie alle anderen um sie herum kennt sie nur ihre Etage und wenige Etagen darüber und darunter – den Block Zinnober. Das Leben aller ist von der Hausordnung bestimmt, ein strenges Regelset, das alles verbietet, was Spaß macht und lebendig ist.
Als Nevo mit ihrer Freundin Juma fangen spielt, was natürlich verboten ist, werden sie erwischt und verstecken sich. Dabei fällt Juma in den Wäscheschacht – und bleibt verschwunden. Niemanden von den Erwachsenen scheint das zu verwundern, aber Nevo gibt sich nicht zufrieden: Sie begibt sich auf die Suche nach Nevo, nach unten, und erkundet dabei das Haus.
Ilisch zeichnet in eindringlicher Sprache eine bedrückende Welt. Oft erinnerte sie mich an ein Computerspiel oder eine Simulation, aber viele Fragen darüber, was das für eine Welt ist und warum sie so funktioniert, werden nie geklärt. Trotz ihrer Detailtreue bleibt diese Welt somit ein Rätsel. Ich mochte es, wie Ilisch es hinbekommt, in kindgerechter Weise Phrasen zu nutzen und mit diesen zu spielen, und gleichzeitig auch immer wieder komplexe Sätze zu bauen, die Nevos Welt bildhaft werden lassen. Ein Beispiel: “Es wäre die Gelegenheit gewesen, die Zwillinge in die Pfanne zu hauen, aber das ging nach hinten los, diese Pfanne haute zurück.” Der Text ist sehr nahe an seiner Hauptfigur und ich habe Nevo schnell liebgewonnen, auch in ihrer manchmal naiv anmutenden Weisheit, wie beispielsweise hier: “...trotzdem war es richtig gewesen zu weinen. Weil man über manche Sachen einfach weinen musste.” Stellenweise ist das Buch poetisch, dann wieder witzig; ein feiner Humor, der mit Bekanntem spielt und es verfremdet.
Während Nevos Reise durch die Etagen des Hauses ändert sich die Stimmung des Textes teilweise dramatisch, ohne je den roten Faden zu verlieren. So war ich an die DDR und die Stasi erinnert, die Stimmung, in der ich aufpasste muss, was ich sage, an Alice im Wunderland oder auch an dystopische Szenarien wie in der Welt des Videospiels “Fall Out 4”. Auch ethische Probleme werden aufgegriffen, Fragen danach, wer wen warum fürchtet und wer sich von wem abschottet. Nevo ist eine Heldin, die ihre Angst immer wieder überwindet und offen auf alle zugeht. Während ihrer Reise durch die verschiedenen Stockwerke erlebt Nevo verschiedene Welten, manche düster und manche heiter, auch wenn das Setting insgesamt eher dystopisch daherkommt.
Besonders berührt haben mich die Begegnungen und Beziehungen, anfangs die zwischen Nevo und ihrer Mutter, dann die zu ihrer Freundin Juma und zu Mat, den sie ungefähr auf der Hälfte der Reise kennenlernt und der sie dann begleitet.
Zum Ende möchte ich nicht zu viel verraten, nur dass es ein optimistisches Ende ist, das gleichzeitig Raum für eine Fortsetzung lässt. Ich hoffe sehr auf diese Fortsetzung, denn “Unten” ist nicht nur ein Buch für Kinder. Ja, für Erwachsene hätte man es an mancher Stelle raffen und etwas weniger erklären können, aber ich bin mir sicher, nicht nur ich habe Spaß an dieser bedrückenden, absurden, detailgetreu gezeichneten und an vielen Stellen rätselhaften Welt. Meine „Testjugendliche“ las auf jeden Fall gern mit.
Unterhaltung: 2,5 von 3
Sprache/Stil: 2 von 3
Spannung: 3 von 3
Charaktere/Beziehungen: 3 von 3
Originalität: 2,5 von 3
Tiefe der Thematik: 2,5 von 3
Weltenbau: 2,5 von 3
Gesamt: 18 von 21