Tino Falke: Die Abenteuer von Pina Parasol. Ohneohren
märchenhafte Held*innengeschichten
Pina Parasol ist Abenteurerin und professionelle Verliererin: Sie lässt Dinge verschwinden und unterstützt so Kleinkriminelle. Dabei reist sie mittels einer fliegenden Zeppelin-Lok in viele Länder und hat für alle Probleme eine Lösung.
Ich kannte nur eine Geschichte von Pina Parasol aus der Anthologie „Das Dampfbein schwingen“ und gebe zu, dass sie mich nicht wirklich begeistert hatte. Trotzdem war ich auf diese Sammlung gespannt. Sie beinhaltet 14 verschiedene Geschichten mit derselben Hauptfigur, die meistens zeitlich sortiert sind. Mitunter werden Dinge mehrfach erklärt oder der Hintergrund eines Textes später gegeben. Vieles bleibt offen.
Obwohl die Geschichten angeblich verschiedene Erzähler*innen oder Quellen haben, lesen sie sich wie aus einem Guss: stets locker erzählt, leben sie von Sprachhumor und Kalauern und lesen sich oft wie Kindergeschichten oder Märchen mit einer Prise Indiana Jones (erfreulicherweise ohne den dort üblichen Sexismus und Rassismus). Stets gehen die Abenteuer gut aus und meistens ist eindeutig klar, wer gut und wer böse ist. Falke bekommt es dabei hin, bekannte Märchen- und Fantasymotive aufzugreifen und neu umzusetzen: Da gibt es schwule Prinzen, nichtbinäre Captains, Könige im Rollstuhl usw. Die Texte spielen mit Exotismus und Entdeckerfreude, ohne dabei paternalistisch und chauvinistisch zu sein. Und gerade das sind Aspekte, die ich an dieser Sammlung feiere!
Ebenso erstaunlich ist, dass zwar reihenweise Kämpfe vorkommen, aber fast nie jemand stirbt. Pina besitzt Waffen und weiß sie zu nutzen, aber wenn es darum geht, einen Bösewicht umzulegen, dann tut sie es nicht. Spannend beim Lesen fand ich meine eigene Enttäuschung darüber, dass so manchmal unbefriedigende Enden entstehen, die Übel eben nicht aus der Welt getilgt werden. Aber: hierin liegt eine Stärke der Texte, gewinnen sie doch an Tiefe. Obwohl Pina Parasol oft einfache Lösungen präsentiert, sind diese stets nur Lösungen für den Moment. „Das Böse“ aus der Welt zu schaffen kann nicht gelingen und was die Grenzen eigenen Handelns angeht, ist Pina kompromisslos: Sie bringt niemanden um, auch nicht in Notwehr.
Dabei nehmen sich sowohl die auftauchenden Probleme als auch Pinas Lösungen nie ernst, meist sind sie schlichtweg unmöglich. Pina springt von Dach zu Dach, eine Maschine schiebt Kontinente zusammen (um Pangäa wieder herzustellen) oder Berge wachsen mal eben in die Höhe – um dann mit dem richtigen Zaubermittel wieder in sich zusammenzufallen. Auf der übertragenen Ebene kommen viele sehr heutige Themen vor. Es geht um Ruhm und Ehrgeiz, um Landgrabbing und Aneignung fremden Eigentums.
Das Ganze ist unterhaltsam, humorvoll und lässt sich auch gut häppchenweise lesen. Ab ca. der Hälfte des Buches entwickelte es für mich auch einen echten Sog. Obwohl jeder Text für sich einen eigenen Spannungsbogen ergibt, wollte ich mehr über Pina und ihre Freunde wissen, was zu einem übergreifenden Bogen führte. Denn Pina erlebt ihre Abenteuer natürlich nicht allein, sondern mithilfe ihrer Wahlfamilie: einer Chemikerin, einem Erfinder und einem (leider erfolglosen) Autor. Anfangs hätte ich mir doch etwas mehr Tiefe und lebendige Figuren gewünscht, aber mit dem Fortschreiten des Buches gewinnen die meisten Figuren an Tiefe. So erfahren Lesende nach und nach mehr über Pina, wie, dass sie ostasiatisch aussieht, ein Findelkind ist und in einem recht drakonischen Waisenhaus aufwuchs. Trotzdem ist Pina stets gut gelaunt und mutig – nur im allerletzten Text erfahren wir etwas über die eigenen Themen, die sie mit sich herumschleppt. Dieser letzte Text hat mich als einziger in dieser Sammlung tief berührt. Einsamkeit, Krankheit oder Ausgeschlossensein treten vorher als Themen im Buch auf, mir ging das aber aufgrund der locker flockigen Beschreibungen nie nahe. Dass sich das in der letzten Geschichte ändert, ist ein grandioses Finale.
Als Schwachpunkte kann ich Beschreibungen von Figuren, die für meinen Geschmack zu gewollt Diversität zeigen, nennen. Sie erzeugten keine Bilder in mir. Erfahrungsgemäß ist das aber individuell sehr verschieden und andere Leser*innen werden sicher angeregt.
Ähnlich ist es vermutlich mit dem Humor: Ich habe besonders am Anfang häufig über die Dialoge gelacht; die Witze wiederholen sich allerdings und da fast alle Leute gleich sprechen (mit einer tollen Ausnahme!) und oft Informationen durch Dialoge vermittelt werden, wirken diese manchmal etwas hölzern oder peinlich. Dies hielt sich aber stets so im Rahmen, dass ich die Texte immer noch genießen konnte.
Wie bei Steampunk immer, stellt sich mir natürlich die Genrefrage. Die Geschichten von Pina Parasol sind ganz klar Fantasy: all die Zeppeline, Ornithopter, Automatons und Maschinen folgen keiner wissenschaftlich anmutenden Erklärung, es gibt in Falkes Welt Magie, Hexen und natürlich auch Zauberer und Alchimisten.
Fazit: „Die Abenteuer von Pina Parasol“ sind unterhaltsame und spannende Geschichten rund um Freundschaft und Optimismus. Sie warten immer mit guten Enden auf und sind von einer erfreulich freundlichen und bunten Welt getragen. Tiefe entsteht dadurch, dass die guten Enden Pina mitunter etwas kosten. Die Geschichten zeigen, dass Diversität und spielerischer Umgang mit Klischees und Ismen in großer Leichtigkeit möglich ist und nicht immer durchgehende Tiefe und Schwere nötig sind. Wer humorvolle Unterhaltung liebt und Freude an Sprachspielereien hat, ist hier gut bedient.
Unterhaltung: 2,5 von 3
Sprache/Stil: 2 von 3
Spannung: 2 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2 von 3
Originalität: 2,5 von 3
Tiefe der Thematik: 1,5 von 3
Weltenbau: 2 von 3
Gesamt: 14,5 von 21