Queer*Welten 1 bis 3. Ach je Verlag.

Eine Bereicherung für die Fantastikwelt

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Queer*Welten ist ein seit 2020 vierteljährlich im Ach Je Verlag erscheinendes Heft, das sich um queere Fantasy dreht. Es enthält Fachartikel, Veranstaltungshinweise, Rezensionen und Kurzgeschichten und gerade ist die vierte Ausgabe erschienen.

 

 

Bei den drei mir vorliegenden Heften fallen als erstes die Cover ins Auge: Besonders die von Heft zwei und drei wirken auf mich nicht rundgelutscht professionell, wie die der meisten Magazine, die im Handel angeboten werden, sondern eher handgemacht individuell. Die Hefte liegen gut in der Hand, mit glänzenden Umschlagseiten und dickem, etwas gelblichem Innenpapier. Jedem Text ist eine Inhaltswarnung vorangestellt.

01-2020

Heft eins enthält neben dem Vorwort vier literarische Texte, den erstes Teil eines Essays über Orks und den sogenannten Queertalsbericht – Hinweise auf Veröffentlichungen und Veranstaltungen, wobei dank Corona die Veröffentlichungen überwiegen.

"Nebelflor" von Annette Juretzki, der erste literarische Text, nahm mich durch seine lyrische und märchenhaft anmutende Sprache für sich ein. Der fantastische Text ist in der zweiten Person Singular geschrieben – was mich nicht wirklich überzeugte. Ich fühlte mich, als würde mir die Identifikation mit einer Figur übergeholfen, die ich bis zum Textende nur ansatzweise verstand. Handelt es sich um einen Geist oder eine Göttin? Es war mir bis zum Schluss ebensowenig klar wie die Handlung.

"Die fortgesetzten Abenteuer des Spaceschiffes Plastilon" von Jasper Nicolaisen ist ein lyrischer Text – eine Art Ballade. Trotz mehrfacher Versuche meinerseits konnte dieser Text mich nicht als Leserin gewinnen. Auf mich wirkte er zu bemüht komisch, dann wieder naiv und auch zu wenig dicht.

Dahingegen hat mich "Feuer" von Lena Richter mich begeistert. Die Geschichte um eine Amazone und deren Begegnung mit einem Jugendlichen, macht eine für mich spannende Welt auf, in die ich gern eintauche und von der ich gern mehr erfahren würde. Zentraler Inhalt ist, dass eine übermächtig erscheinende Eigenschaft von einem Fluch zu einem Geschenk wird. Es geht also um Selbstannahme und darum, dass Mythen und Stereotype es oft schwer machen, die Wahrheit zu sehen.

Den Ende des literarischen Reigens macht „Heldenfresserin“ von Anna Zabini, ein Text über alternative Lesarten griechischer Mythen, den ich als sehr anregend empfand, trotzdem aber – wohl aufgrund mangelnden Vorwissens – nur teilweise verstand.

Dann folgt der Essay über „Orks, Briten und dem Mythos der „Kriegerrassen““ von James Mendez Hodes. Die Frage der „Rassen“ in Fantasytexten und -spielen beschäftigt mich schon seit einer Weile. Wie erwartet, bietet der Text einigen neuen Input zum Thema: Mendez Hodes geht dem Ursprung der Orks bei Tolkien nach und stellt überzeugend dar, wie sie als anti-asiatische Stereotype geschaffen wurden und zu seiner Zeit populäre Rassismen fortschreibt. Leider ist der Text aufgrund seines teilweise beißenden Zynismus für mich sprachlich schwer lesbar – ich hatte einige Mühe damit, zu verstehen, was ernst gemeint ist und was ironisch. Auch hatte ich Mühe, die Bebilderung zu verstehen, die ich nur teilweise auf den Text beziehen konnte.

Das Heft schließt mit drei Rezensionen ab, die ich alle gelungen finde, weil sie mir helfen zu wissen, welches der drei Bücher mir Freude bereiten könnte.

02-2020

Heft zwei enthält ebenfalls vier literarische Texte, einer davon ein ein-seitiger Comic. „Was der Krieg frisst“ von Rafaela Creydt ist ein mystisch anmutender Text aus der Sicht einer Kriegsgöttin? Leitenden Kriegerin? Kriegsschamanin? Sie darf kurz tanzen sinkt aber dann wieder in den Krieg. Der wortgewaltige Text erschloss sich mir zu großen Teilen nur assoziativ und die enthaltene massive Gewalt war mir stellenweise zu stark, auch wenn ich ihren Sinn verstehen konnte.

Sarah Burrinis Comic „Traditionen“ setzt sich mit rassistischen Karnevalstraditionen auseinander – und wie so oft bei mir und Comics, erschließt er sich mir nur zum Teil. (Bin ich die einzige, die bei Comics oft auf dem Schlauch steht?)

Die „Held*innengeschichte“ von Askin-Hayat Dogan nimmt bissig und witzig den Mangel an nichtmännlichen Held:innen in Interhaltungsmedien jeglicher Couleur aufs Korn, gefolgt von „Sagittarius A*“ von Elena L. Knödler, einer Science Fiction Geschichte über die Menschheit am Untergang. Ich mochte die gezeichnete Welt, die Vielzahl an Neopronomen und auch die Protagonistin, allerdings blieb das unbefriedigende Gefühl, nicht zu verstehen, was mir da eigentlich erzählt wird.

Den größten Teil des Heftes – immerhin 25 Seiten – nimmt der zweite Teil des Ork-Essays ein, den ich mit wesentlich mehr Genuss gelesen habe als den ersten. Mendez Hodes beschreibt Parallelen zwischen Fantasy-Rassensystemen (besonders bei D&D) und Rassismen in den USA: Wie „Vorzeigeminderheiten“ geschaffen werden und andere, denen das Menschsein abgesprochen wird, wie feste Attribute die rassistische Illusion nähren, es gäbe so etwas wie „Kriegerrassen“. Spannend war für mich auch die Beschreibung der Versuche, sich als POC Rollenspiele anzueignen und die Grenzen des Spielbaren zu weiten. Der Artikel endet mit Hinweisen darauf, wie Texte und Spiele verbessert werden können.

Der Queertalsbericht beendet das Heft nicht nur mit sieben Rezensionen (diesmal auch von einem Musikalbum), sondern auch mit einem Hinweis auf die #BlackLivesMatter-Bewegung und Anregungen, wie wir uns zu Rassismus und Weißsein einzulesen können.

03-2020

Das dritte Heft unterscheidet sich von den anderen durch eine andere Bindung. Es wirkt wie ein Buch, nicht wie ein Heft, ist aber mit um die 60 Seiten nicht dicker als die ersten beiden, auch wenn es zunächst so wirkt. Auch hier gibt es wieder vier literarische Texte und ein Essay, mit der Besonderheit, dass der zweite Text eine Collage ist, an der mehrere Autor:innen mitwirken: Patricia Eckermann, Judith C. Vogt, Susanne Pavlovic, Lena Richter, Sarah Stoffers und Iris Villiam. „Präventive Devastation“ ist ein SciFi-Text von Anne Neuschwander, in dem die Protagonistin Sara in einem Raum gefangengehalten wird, während der Rest der Menschheit präventiv ausgelöscht wird. Sara ist eine herrlich unorthodoxe und unflätige Prota, die wütet und schreit – bis sie schließlich einen – natürlich queerfreundlichen - Weg findet, die Menschheit zu retten. Neuschwander bekommt es dabei hin humorvoll über eine verweifelte Protagonistin zu schreiben, was ich wirklich genossen habe.

Die folgende Held*innen-Collage besteht aus sechs sehr verschiedenen Teilen. Da gibt es ein Essay über die Wichtigkeit Schwarzer Held*innen, die auch, wenn sie nur Nebenfiguren in Filmen und Serien sind, zu Identifikationsfiguren werden können. Da gibt es ein teenagerhaft holprig wirkendes Briefgedicht an einen Helden, ein Essay über die Verächtlichmachung weiblicher Hauptfiguren in Fantasyfilmen, -spielen und -Büchern, einen mystisch-kryptischen literarischen Text über Gött:innen und Held:innen, ein Essay über Wunschheld:innen (wie schön wäre es, wenn sie nicht allein kämpfen müssten und gewaltlose Lösungen fänden) und zum Schluss die grauselige Geschichte einer Frau, die gern Heldin sein möchte, aber immer das Opfer bleibt. Insgesamt entsteht ein sehr vielfältiges und anregendes Mosaik, das einige Denkanregungen bereithält.

Über Daniela Schreiters Comic „Eine alte Liebe“ kann ich leider nicht wirklich Schlaues schreiben. Immerhin habe ich das Gefühl, es verstanden zu haben. Oliver Kotnys Text "That Escalated Quickly" über schwule Zwerge dagegen kam mir mit Hinblick auf meine eigenen Rollenspielerfahrungen und den mitunter abweisenden Reaktionen von Mitspielenden auf queere Charaktere durchaus bekannt vor und hat mir ein Schmunzeln entlockt.

Den Schluss bildet Frank Reiss' leider etwas redundanter Essay „Lasst uns die Phantastik zerstören“. Er stellt heraus, dass alle von einer bunteren Fantastik profitieren. Es handelt sich nicht, wie wohl oft behauptet, um eine Zerstörung von Phantastik durch Queerness, sondern um eine Bereicherung.

Der Queertalsbericht des Heftes enthält neben den üblichen Rezensionen Hinweise auf Podcasts und virtuelle Ausstellungen.

Fazit: Nach der ersten Queer*Welten war ich mir nicht so sicher, ob mich dieses Format überzeugt. Aber spätestens ab der zweiten Ausgabe bin ich im Boot: Ich mochte die Mischung aus Input und Unterhaltung und wünsche den Heften eine weite Verbreitung (nicht nur in queeren Kreisen) und ein langes Leben! Denn was Reiss für die Fantastik sagt, gilt auch für Queer*Welten: Sie sind eine Bereicherung für die Fantastik-Landschaft.