Martha Wells: All Systems Red. The Murderbot Diaries

Spannungsreiche Action mit Tiefgang

Link zum Systems Red Cover

Martha Wells hat mit Murderbot einen Charakter geschaffen, der von seiner Ambivalenz lebt: Er ist einerseits eine Art Superheld, mit entsprechenden übermenschlichen Fähigkeiten, und andererseits ein Leidender mit einer ausgeprägten sozialen Phobie und einer Neigung zu Depressionen. 

Das macht Murderbot, der zu einem großen Teil Maschine ist, so menschlich: Seine Ängste und Befürchtungen sind uns ebenso vertraut wie seine Kompensationsstrategie. Er lenkt sich nämlich ab, indem er sich in Serien vertieft, wobei seine durch Maschinenteile ermöglichte Fähigkeit zum Multitasking und der Fakt, dass er nicht schlafen muss, es ihm ermöglichen, Unmengen an Serien zu konsumieren. Diese Serien geben ihm Orientierung, sie sind es, die ihn lehren, wie er sich in der Welt bewegen kann.

So hat die Hauptfigur schon in der Grundanlage etwas Komisches, Absurdes: Jemand, der die Wahl hat, zum Massenmörder zu werden und sich statt dessen dafür entscheidet, rund um die Uhr Serien zu sehen – und das zu leben, was er dort sieht.

Martha Wells fesselnde Welt hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Zentral ist dabei die Erzählstimme von Murderbot mit ihrem Zynismus und trockenen Humor, der manchmal trifft wie ein Schlag in die Magengrube. Wells ist eine Meisterin darin, Spannung aufzubauen, so dass ein sehr schneller Text entstanden ist, durch den ich als Leserin fast hindurch gehetzt bin. Die überraschenden Wendungen waren dabei für mich nicht vorhersehbar, so dass es schwierig war, das Buch mal wegzulegen. Genau dieser Aspekt, der eine Stärke des Textes ist, ist auch seine Schwäche: Weil der Text so temporeich ist, sind mir beim ersten Lesen viele Details entgangen, wie beispielsweise kleine Hinweise auf die Welt, in der das Ganze spielt, oder die in der Tiefe ausgearbeiteten Charaktere und deren Beziehungen. Das ist schade, weil es Wells wirklich gelungen ist, das ganze psychologisch gut und nachvollziehbar anzulegen und auch durchzuziehen. Die Einfühlung darin, was das Sklavendasein mit einer Person macht und wie lang der Weg ist, sich daraus zu befreien, ist wirklich gut gelungen und könnte für meinen Geschmack noch etwas mehr Raum haben.

Ein weiterer – wenn auch winziger - negativer Punkt ist, dass das Buch sehr kurz ist (es ist eine Novelle mit 102 Seiten). Am Ende hatte ich so viel Lust darauf, die folgenden Teile zu lesen, dass ich sie mir gleich gekauft habe, was dann für die Länge des Textes doch recht teuer ist. Es gibt außerdem einige kleine Plotlöcher: Da wird beispielsweise eine Rüstung getauscht, die das entsprechende Logo gar nicht haben kann – aber das hat meinen Lesegenuss nicht geschmälert.

Dafür gibt es aber auch noch einige Pluspunkte, wie beispielsweise das Spiel mit (queeren) Identitäten: Murderbot ist nämlich nonbinär, was im Englischen auch sprachlich gut rüberkam. Auch das Cover finde ich dazu sehr passend: Es zeigt eine geschlechts- und gesichtslose Person in einer Rüstung, die in klassischer Manier proträtiert wurde. Es handelt sich also gleichzeitig um ein Porträt und ein Nicht-Porträt - was gezeigt und was verborgen ist, bleibt unklar - eines der zentralen Dilemmata der Hauptperson dieser Serie.

Ein Blick in die deutsche Übersetzung zeigt mir, dass diese den flapsigen Erzählton recht gut getroffen hat. An manchen Stellen bleiben allerdings die Übersetzungsentscheidungen für mich rätselhaft: Warum Killer- statt Murderbot? Das eine ist so wenig deutsch wie das andere, aber die Bedeutung ist verschoben. Und wieso aus dem englischen HubSystem ein HabSystem machen? Die wichtigen Spielereien mit it, he und she funktionieren im Deutschen nicht, weil die Pronomen nach dem grammatikalischen Geschlecht und nicht nach der Frage der Belebtheit vergeben werden. Da wird aus Murderbot also eine Sie (eine Roboteinheit), weil Es im Deutschen keinen Sinn ergibt.  Der Übersetzer (Frank Böhmert) hat das meines Erachtens ganz gut gelöst, trotzdem fällt es in den Feinheiten hinter dem Original zurück. Meine klare Empfehlung ist daher: Wenn ihr es könnt, lest die Murderbot Diaries im englischen Original.