Madeline Miller: Circe. Little, Brown and Company

eine süße Qual

Circe cover

 

Griechische Mythologie aus der Sicht der Nymphe Circe, Tochter von Helios und Perse – Menschen, die griechische Sagen lieben, werden daran ihre Freude haben. Ich gebe zu, ich bin keine:r davon und habe mich anfangs ziemlich schwer getan. Circe rückte mir sehr lange nicht wirklich nahe, ich empfand sie als so emotionslos und flach-naiv, dass ich sie nur schwer aushalten konnte. Auch die Sprache war nicht wirklich meins: Miller ergeht sich in ausufernden Beschreibungen der kitschig-überladenen Götterwelt, die zwar sprachlich gelungen sind, mein Interesse aber wenig wecken konnten, weil sie nichts zur Handlung beitragen. Aber nach den ersten Kapiteln hatte das Buch mich am Haken und die Spannung zog mich so sehr hinein, dass es zu einem Pageturner wurde, dessen Ende mich mit der erzählten Geschichte versöhnt hat.

 

 

Circe wird geboren und in die Obhut einer Tante gegeben, die sich nicht wirklich für sie interessiert. Da Circe weder schön, noch verführerisch ist, gilt sie schnell als unverheiratbar und wird zu einer ausgelachten Außenseiterin, die einsam durch die riesigen Hallen des väterlichen Palastes streift und bei der nächstbesten Gelegenheit auf eine abgelegene Insel verbannt wird. Die Grundthemen, die das Buch ausmachen, sind in diesem Satz schon benannt: Es geht um Einsamkeit, Beziehungslosigkeit und Sexismus, der Circe nur wenige Handlungsmöglichkeiten lässt. Am schwierigsten aushaltbar war dabei für mich, dass Circe den Großteil des Buches über keine Idee davon hat, dass sie als Frau einen Wert haben oder ihr Schicksal in die Hand nehmen könnte. Sie nimmt ihre Machtlosigkeit unhinterfragt an und stolpert von ein einer Einsamkeit in die nächste.

Dabei wird die Grausamkeit der (männlichen) gelangweilten griechischen Götter, die sich am Schmerz von Menschen weiden und sich außer für Partys und Sex für wenig interessieren, sehr deutlich.

Das Buch erinnerte mich an meine Versuche, griechische Göttersagen zu lesen: Sie waren mir zu grausam, zu tragisch und zu gewalttätig. Und ich verstand nicht, wer wer war und wie die alle zusammenhingen. Miller hat es nicht nur geschafft, dass ich ein Buch über griechische Göttersagen bis zum Ende durchgehalten habe, sie hat mir auch manche der uralten Geschichten vor dem Hintergrund einer zutiefst patriarchal organisierten Gesellschaft verständlich gemacht. Trotzdem bleibt „Circe“ ein Text, in dem es von Charakteren, die als sadistische Arschlöcher beschrieben werden können, nur so wimmelt. Dabei ist das Buch von einer tiefen Geschlechterspaltung durchzogen, die dem binären System verhaftet bleibt: Die Frauen sind mit wenigen Ausnahmen Opfer der Männer, wobei auch die sterblichen Männer die niederen Göttinnen, die sich nicht wehren können, misshandeln. Die wenigen Frauen, die eine Position für sich erringen, tun dies mit unglaublicher Grausamkeit – ein Weg, den Circe für sich ablehnt.

Es erstaunt also nicht, dass Circes Geschichte hart, grausam und tragisch ist. Im Verlauf des Buches ist mir Circe näher gerückt, allerdings lernt sie unglaublich langsam und bleibt über fast drei Viertel des Textes naiv und sozial isoliert. Wenn es ihr gelingt, Beziehungen zu wagen (und das ausschließlich zu Männern!), wenden sich diese immer gegen sie und es endet damit, dass sie fallengelassen, hintergangen oder ausgenutzt wird – oder alles davon. Der Mangel an weiblicher Solidarität oder auch nur an einem Minimum von Interesse an anderen Frauen, zieht sich durch das Buch wie ein roter Faden und wird leider auch am Ende nicht wirklich durchbrochen. Trotzdem lässt sich die erzählte Geschichte, die sich, da Circe unsterblich ist, über mehrere Jahrhunderte erstreckt, auf verschiedenen Ebenen als Emanzipationsgeschichte lesen: Als Suche einer Frau nach ihrem Platz, den sie erst mit ihrer Selbstermächtigung finden kann. Und als Menschwerdung einer Göttin, die erst Verbundenheit spürt, als sie sich dem Menschlichen annähert.

Erst zum Ende hin gibt es Lichtblicke und Circe darf sich verändern. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mag, dass ihre Mutterschaft dabei eine zentrale Rolle spielt. Die Beschreibung ihrer Überforderung als Mutter eines Schreikindes hat mich sehr berührt, ebenso wie die einfühlsame Beschreibung der wachsenden Liebe zu ihrem Sohn. Aber muss es wirklich Mutterschaft sein, die zum Katalysator und Entwicklungstreiber wird? Und wenn, warum dann ausgerechnet die Mutterliebe zu einem Sohn? Des weiteren frage ich mich, warum Miller Circes Martyrium so viele Seiten gewidmet hat, ihren Wandel aber dann doch recht knapp abhandelt. Wäre ich Probeleserin gewesen, hätte ich das Buch wohl im ersten Teil zugunsten des zweiten gestrafft. Trotz dieser Kritik ist es Miller gelungen, ein folgerichtiges und berührendes Ende für ihre Geschichte zu finden, das nicht nur tragisch ist, sondern auch Hoffnung macht.

Ich habe das Buch im englischen Original gelesen. Auf deutsch ist es im Eisele Verlag erschienen und trägt den Titel „Ich bin Circe“.