Lars Schmeink und Ralf. H. Schneider (Hrsg.): Future Work. Die Arbeit von Übermorgen. 15 Kurzgeschichten aus der Zukunft. KIT Scientific Publishing.

hoher Anteil an guten Geschichten

Die Arbeit von bermorgen Cover

 

 

Zusammenarbeiten zwischen Science-Fiction-Schreibenden und Wissenschaftler:innen sind im deutschen Sprachraum eher selten, daher hat dieses Projekt mein Interesse geweckt und ich habe mich mit einer Geschichte beteiligt (die auch im Band enthalten ist). Entstanden ist ein lesenswerter Band, der aber auch einige Schwächen hat.

 

 

Das Büchlein beginnt mit einem Vorwort von Ralf H. Schneider, Oliver Pfirrmann und Claudio Zettel. Sie weisen darauf hin, dass die Wissenschaftler:innen im Projekt Future Work verschiedene mögliche Szenarien entwickelten, die auch in der vorliegenden Anthologie vorkommen. Darüber hinaus erweiterten die Texte den Raum des Denkbaren – eine Anregung nicht nur für Zukunftsforscher:innen.

Nach den Inhaltswarnungen für zehn der fünfzehn Texte, die wer will leicht überblättern kann, folgt ein weiteres Vorwort der Literaturwissenschaftlerin Julia Grillmayr., in dem sie darstellt, dass Arbeit zur Identitätsdefinition des modernen Menschen gehöre. Tatsächlich sorgte diese an sich recht banale Behauptung für einen Aha-Moment bei mir, definiere ich mich doch wesentlich über meine Arbeit(en) und erlebe es regelmäßig, dass Menschen eine Leerstelle erleben, wenn sie über Jahre oder Jahrzehnte hinweg keinen (Arbeits)Platz in dieser Gesellschaft finden. Grillmayr zufolge werden Zukünfte, in denen Menschen nicht mehr arbeiten, in der SF als Utopien oder Dystopien gedacht.

Grillmayr stellt außerdem Fragen nach Ausgrenzung und Profit und benennt die Gestaltbarkeit der Zukunft: SF-Geschichten können dazu anregen zu überlegen, welche Zukunft wir wollen – und welche eben nicht. Dabei ist die Verschränkung von SF und Futurologie (was für ein Wort!) in den USA gängig, im deutschsprachigen Raum aber selten. Grillmayr stellt die wichtige Frage, welche Geschichten von wem erzählt werden und wer die Protagonist:innen sind.

Es folgen die fünfzehn Geschichten, wobei ich nach den ersten Texten beeindruckt von der Qualität war. Diese Freude ließ später etwas nach; das Buch enthält auch einige Texte, die meines Erachtens inhaltlich und vom Schreibstil her deutlich abfallen. Die Geschichten sind vier Szenarien (Automatisierung, Postwachstum, Abwärtsspirale, KI-Technokratie) und einer Restkategorie zugeordnet, denen jeweils ein kurzer einführender Text vorangestellt ist, der wohl eher für Zukunftsforschende interessant ist. Ich habe mich dafür entschieden, immer erst die Geschichten und dann die Einführungen zu lesen, wobei mir meine Ausbildung in qualitativer Forschung zugute kam, um eine Idee zu haben, was es mit dieser Kategorienbildung auf sich hat. Tatsächlich finde ich es sehr spannend, dass in der Zukunftsforschung entwickelte Kategorien möglicher Zukünfte sich auch in den Fantasien von Schreibenden wiederfinden. Was vorstellbar ist, unterliegt eben doch gewissen Gesetzmäßigkeiten, die auch wir Schreibenden nicht oder nur selten durchbrechen.

Theresa Hannig: Hand, Herz und Hose

Diese Einstiegsgeschichte habe ich sehr genossen. Besonders mochte ich die Sprache, die sich locker und leicht liest und trotzdem eine Menge Wortneuschöpfungen enthält, die viel vom Weltenbau erklären. Im Zentrum steht eine Person, die Maschinen deteriert (das Gegenteil von repariert) und ständig Angst hat, entdeckt zu werden. Vom Weltenbau her mochte ich die Idee zu fragen, welche Sorte Jobs nicht automatisiert werden können – allerdings glaube ich angesichts der sich verbreitenden Therapieapps nicht daran, dass Psychotherapie immer ein Menschenjob bleibt (auch wenn ich es mir natürlich wünsche, weil ich an die Kraft der Beziehung glaube).

Die überraschende Wendung der Geschichte mag ich nicht verraten. Leider hat diese mich auf der Plotebene nicht ganz überzeugt, aber da ich die Sprache und die Protagonistin so genossen habe, hat das meine Freude an dem Text kaum getrübt.

Heidrun Jänchen: Die Moralische Instanz:

Auch dieser Text ist einer meiner Favoriten. Hier stimmt für mich nicht nur die Sprache: ruhig, im eher gehobenen Stil, sondern auch der Inhalt: Die Protagonistin hat die Aufgabe, in einer Klinik moralische Entscheidungen zu treffen, in der Geschichte beispielhaft, ob jemand sterben soll oder weiterleben muss, obwohl er nur noch von Maschinen abhängig ist. Während sie mit der Entscheidung ringt und sich schließlich selbst verrät, erfährt sie, dass auch sie selbst abgeschafft wird.

Was mich an diesem Text beeindruckt, ist, wie es Jänchen gelingt, eine spannende Geschichte zu erzählen und gleichzeitig soziale und ethische Fragen aufzuwerfen, die uns auch heute bewegen. So lese ich den Text als vehementes Plädoyer gegen die sich weitende soziale Spaltung.

Jol Rosenberg: Wiederverwertung

Zu diesem Text schweige ich still und hoffe auf Rückmeldungen von anderer Seite.

Franziska Rarey: Der Tag, an dem der Fahrstuhl stecken blieb

Rarey schildert eine Welt, in der Arbeitsplätze so rar geworden sind, dass die meisten Menschen von einer Umschulung in die nächste gezwungen werden. Die Sehnsucht danach, eine Aufgabe zu haben, sich wirklich sinnvoll einbringen zu können, bleibt dabei stets unerfüllt, die Frustration steigt. Die Geschichte über vier Personen, die sich im Fahrstuhl begegnen, wobei eine (mehr oder weniger) überraschende Unterhaltung entsteht, las sich ganz gut weg, hat mich aber nicht tief bewegt, auch weil der Plot für mich zu wenig überraschend ist. Trotzdem bleibt die sinnlich geschilderte Erkenntnis, dass Selbstwirksamkeit (das Gefühl, etwas bewirken zu können) nicht nur ein netter Bonus, sondern eine Grundbedingung für Zufriedenheit ist.

Michael Edelbrock: Mehr aus schwarzem Glas

Edelbrocks Protagonistin hat eine Vision: Sie möchte ein großes Solarzellenfeld aufbauen und damit die Welt verbessern. Aber weil alle anderen Menschen so zufrieden und abgelenkt sind, dass sie sich für nichts mehr einsetzen wollen, bleibt ihr eine KI als einzige Interaktionspartnerin. Eine unterhaltsame Geschichte mit einem bedrückenden Weltenbau, die für meinen Geschmack etwas mehr Plot hätte vertragen können, um wirklich überragend zu sein.

Sonja Hermeneit: JobXchange – ein Leben, dreißig Jobs

In der hier geschilderte Zukunft werden alle Menschen gezwungen, alle paar Jahre den Job zu wechseln. So bekommen sie nicht nur ständig neue Kolleg:innen, sondern es werden auch die sozialen Schichten ständig durchmischt und neues Wissen aus fremden Berufsfeldern eingebracht. Der Text sprach mich sprachlich an, weil er einige schöne Bilder enthält, und hat auf der Plotebene eine überraschende Wendung.

Melanie Vogltanz: Glückssache

Aus zwei wechselnden Perspektiven wird hier eine Welt eröffnet, in der alle Menschen x Jobs haben und es trotzdem zum Überleben kaum reicht. Die Sprache dieses Textes ist ein eigenwilliger und meines Erachtens sehr gekonnter Deutsch-Englisch-Mix – trotzdem war die hohe Zahl harter Schimpfwörter in der einen Perspektive eine Herausforderung für mich. Das Lesen wurde mir außerdem durch die herablassende Haltung der beiden Protas für alle anderen erschwert – es ist vorstellbar, dass so Solidarität wirkungsvoll verhindert wird, trotzdem war der gezeigte Weltenbau für meinen Geschmack zu düster und auch in der durchgehenden Herablassung für Andere nicht glaubwürdig. Der Text bleibt mit seinem düsteren Ende seinem Grundtenor treu.

Annika Zinn: Flow

Das ist einer der Texte, die meines Erachtens deutlich abfallen. Ich finde ihn stilistisch nicht gelungen, er ist voller Infodump und die Erzählsprache wirkt an vielen Stellen holprig und steif. Auch inhaltlich kann ich nicht mitgehen: Die Protagonistin ist eine Journalistin, die auf eine schwimmende Fabrik reist, um dort die Wahrheit über die Arbeitsbedingungen herauszufinden. Dabei wird die Journalistin als mögliche Retterin stilisiert – ohne dass für mich glaubwürdig ist, was sie bewirken soll. Schon heute ist es ja leider so, dass diverse Skandale kaum noch Auswirkungen haben und auch die geschilderten Arbeitsbedingungen sind sehr nahe an der Realität. Gelungen fand ich die Idee der Flow-Helme: Ein System, das unsere Leistungsfähigkeit steigert und scheinbar müheloses Arbeiten ermöglicht. Wir würden es wohl nutzen, auch wenn es uns schadet.

Alex Simona: Westcorp Crunchypops

Auch dieser Text hat mich nicht überzeugt. Einerseits wirkt der Schreibstil auf mich wenig flüssig, andererseits hat der Krimi-Plot einige Löcher: da hockt jemand in einem Haus voller ers durchsuchender Polizist:innen und weiß sicher, dass er nun vier Stunden Zeit hat – wie kann das sein, wenn gerade haufenweise Leute durch das Haus stapfen und das Unterste zuoberst kehren? Besonders peinlich wirkten auf mich aber die splatter-trashigen Ekel-Cyborg-Szenen, die mich an billige Horrorfilme erinnerten. Das mag Geschmackssache sein, aber für mich überzeugten die Beschreibungen auch stilistisch nicht. Allerdings gibt es in diesem Text ein paar wirklich gelungene Dialoge.

Lena Richter: 3,78 Life Points

Die in diesem Text beschriebene Welt mutet ebenfalls dystopisch an: Die Menschen müssen sich mit zig Jobs über Wasser halten und haben ständig Angst davor, sich etwa die eigene Gesundheitsversorgung nicht mehr leisten zu können. Eine so gehetzte Person (die noch nach dem passenden Pronom für sich sucht) begegnet in dieser Story einem Aussteiger – wobei ich ständig hoffte, sie möge ihm folgen. Ich mochte den Plot, ich mochte den Schreibstil – leicht lesbar, knackig und knapp – ich mochte es, dass sich Personen mit Pronomen vorstellen. Schöner Text.

Karlheinz Steinmüller: Sind sie Sklaven? Aus dem Leben in Kybernetien

Steinmüller ist einer der „Helden“ meiner Jugend: Mit den Büchern, die er zusammen mit seiner Frau Angela schrieb (oder diese mit ihm?), bin ich in der DDR aufgewachsen. Insofern war ich sehr neugierig auf seinen Text, auch wenn mir bereits die sperrige Überschrift einen ersten Dämpfer versetzte. Und das bleibt auch so: Der Text wirkt auf mich sperrig, die Sprache verklausuliert, schwer lesbar und der Inhalt letztlich unverständlich.

Eine Partybesucherin denkt über ein KI-Problem nach, während sie durchweg als nervig empfundenen anderen Menschen auf der Party aus dem Weg zu gehen versucht. Der Großteils des Textes besteht aus infodumpig wirkendem Technikgebabbel, was ja Markenzeichen der SF ist, hier aber auf die Spitze getrieben wird, vor allem auch, weil es für mich unverständlich bleibt. So habe ich mich beim Lesen des Textes ähnlich gelangweilt wie die Protagonistin auf ihrer Party.

Malte Aurich: Nach all diesen Jahren

Auf einem Klassentreffen treffen sich vier Männer, von denen einer sich als von einer KI gesteuerter Killer entpuppt und einen anderen umbringt. Bei dieser Geschichte überzeugt mich weder der Plot (auch wenn die Idee, was es bedeuten würde, wenn die Menschen nur noch KI-Marionetten wären, durchaus spannend ist), noch der Weltenbau (Frauen* kommen nicht mal am Rande vor). Auch die Sprache wirkt auf mich trocken, viel Technikblabla, der erklärbärig wirkt.

Tanja Binder: Bad Data

Auch hier geht es um künstliche Intelligenzen und die Frage, ob man ihnen ganz vertrauen kann oder sollte. In einem Staat (ist das ein Staat? Das bleibt unklar) kommt es zu immer mehr Ausfällen wichtiger Infrastruktur – doch die zuständige KI reagiert nicht, sondern verschweigt sie. Die Protagonistin will etwas dagegen tun und lockt ihren Vorgesetzten zu sich um ihm die richtige Entscheidung abzuringen.

Der Text ist spannend, hat aber meines Erachtens mehrere Plotlöcher. So bleibt unklar, was eigentlich die Motivation der Prota ist und wie genau sie zu ihrem Vorgesetzten oder ihrem helfenden Kollegen steht. Stilistisch liest sich der Text zunächst gut, an manchen Stellen wirkt er aber etwas übererklärt. Die zentralen Dialoge wirken auf mich etwas holprig und auch unlogisch, wenn Personen plötzlich Dinge erklärt bekommen, die sie eigentlich wissen müssten. Der Hauptmangel an dieser Geschichte ist für mich aber die aufgrund nicht nachvollziehbarer Motivation blass bleibende Protagonistin – die eigentlich durchaus spannend angelegt ist.

Christian und Judith Vogt: Das Eden Protokoll

Der Einstieg in diese Geschichte fiel mir schwer, ich fand den Beginn infodumpig und sperrig. Es geht um eine Person, die eine Revolution starten will, in dem sie Einfluss auf eine KI nimmt. Dann hüpft der Text plötzlich in eine andere Zeitebene – und wieder zurück, wobei nun eine überraschende Wendung das Ganze in einen neuen Kontext stellt. Ich mochte den Nachdenkstoff, den der Text geliefert hat. Trotzdem hat er mich als Gesamtkonstrukt nicht ganz überzeugt.

Alessandra Reß: Dialog im Baltikum

Auf einer Bahnfahrt kommt es zu einer Begegnung zweier Personen, die nicht recht wissen, wie sie einander begegnen sollen. Ich mochte den Schreibstil, präzise und ruhig, die gute und nahe Beschreibung der Unsicherheit der Protagonistin und die Art, wie sich langsam, nach und nach, abzeichnet, dass in dieser Zukunft alles eine Ware ist. Eine sehr bedrückende Zukunft, die aber sehr schön gezeichnet ist und damit einer meiner Lieblingstexte in dieser Anthologie.

Die Anthologie ist als Printbuch käuflich zu erwerben. Das pdf gibt es kostenlos. Beides gibt es auf der Verlagsseite unter https://www.ksp.kit.edu/site/books/e/10.5445/KSP/1000134596/