Heidrun Jänchen: Simon Goldsteins Geburtstagsparty. Wurdack Verlag

spannend und eigenwillig

Goldsteins Geburtstagsparty Cover

 

Mit diesem Buch verband mich beim Lesen schnell eine Hassliebe und ich weiß immer noch nicht genau, ob es eins meiner Lieblinge wird. Ich liebe Jänchens Schreibstil: präzise, mit einem feinsinnigen Humor und an manchen Stellen auf angenehme Weise eigensinnig. Ich mochte einen der Protagonisten und die Art, wie es Jänchen gelungen ist, eine beklemmende Welt zu schildern, die mich schnell gefangen nahm. Das Buch ist auch sehr spannend. Aber es hat auch Schwachpunkte, die mir das Lesen immer wieder schwer gemacht haben, vor allem im Plot und im Weltenbau.

 

 

Der Einstieg in „Simon Goldsteins Geburtstagsparty“ fiel mir leicht, denn er beginnt mit John, meinem Lieblingsprotagonisten. Allerdings versteht man anfangs nicht, was John da tut und warum. Dann wechselt der Text zu einem anderen Perspektivträger und in langweilige, unverständliche Schilderungen der politischen Hintergründe der Buchwelt, die ungefähr 30 Jahre in der Zukunft spielt. Und dann gibt es wieder einen Perspektivwechsel, es wird aber zunehmend spannend. So muss man sich als Lesende:r nach und nach zusammenpuzzeln, was das für eine Welt ist und was passiert. Dabei laufen vier Perspektivstränge zunächst unverbunden nebeneinander her: John, dessen Job es ist, als Terrorist Bomben zu legen und der jedes Mal, wenn er jemanden umbringen muss, kotzen muss. John erinnert mich in seiner Gefangenheit in sich selbst an Martha Wells' Murderbot, erst ganz zum Schluss war ich mir sicher, dass er trotz seiner Effektivität als Killermaschine ein Mensch ist und eben kein Roboter oder Cyborg. Dann ist da Frank, ein Programmierer, Fiana, eine Journalistin und Jeremia, ein kleiner Junge, der zur Prostitution gezwungen und schließlich ermordet wird.

Jänchen schildert eine bedrückende Welt, in der zahlreiche Geheimdienste alles und jede:n überwachen und offizielle Nachrichten erzeugt oder vertuscht werden, je nachdem welche einflussreiche Partei was möchte. Hauptinhalt des Buches ist dieser Umgang mit Nachrichten, wobei mir die dahinterliegenden Machtlinien unverständlich blieben. Das führte dazu, dass der Plot für mich teilweise krpytisch blieb, was der Spannung aber keinen Abbruch tat.

Jänchen macht nebenbei eine Menge politische Felder auf: da werden Migrant:innenunterkünfte angezündet und Jobs wegorganisiert, da wird der Klimawandel und Umweltverschmutzung benannt, soziale Spaltung, Armut … keines dieser Felder spielt aber im Roman wirklich eine Rolle, so dass ich irgendwann das Einbringen dieser Themen als künstlich empfand.

Das Buch zerfällt meines Erachtens in zwei Teile: Da ist einerseits die Frage, wie Fiana den auf sie verübten Anschlag überleben soll und dann, im zweiten Teil, der titelgebene Hoax um Simon Goldstein, eine bewusst gestreute falsche Nachricht, die die Welt retten soll. Interessant daran war für mich die Erfahrung, dass die Weltrettungsgeschichte mich nicht wirklich interessierte. Ich wartete nur darauf, dass die Protagonist:innen sterben – und fand dann das Ende wenig folgerichtig und enttäuschend. Vor allem nehme ich es Jänchen übel, dass Jeremias grausame Geschichte nur sehr lose mit dem Rest der Handlung verknüpft ist. So ist mir auch im Nachdenken über das Buch völlig unklar geblieben, was diese düstere Geschichte von dem Jungen, der nie eine wirkliche Chance hat, zum Gesamtbuch beiträgt. Dieser Teil der Geschichte erscheint als reine Reproduktion rassistischer Klischees: Jeremiah ist der einzige nicht-Weiße Perspektivträger im Buch und auch der einzige, der stirbt. Natürlich wird er Opfer von Zwangsprostituion und natürlich hat er AIDS. Als gegen Ende des Buches offenbart wird, dass dieser Teil der Geschichte in Nigeria spielt, war ich enttäuscht. Die Autorin hat sich offenbar nicht die Mühe gemacht, auch nur ansatzweise zu recherchieren und entsprechende Ortsmarker oder kulturelle Marker einzubringen. Ihr Nigeria wirkte auf mich eher wie Südamerika. Und natürlich kommt der ganze Kontintent Afrika nur als Herd von Infektionskrankheiten, Krieg und Hilfseinsätzen vor – da hätte ich Jänchen mehr zugetraut.

Enttäuschend fand ich auch Jänchens Geschlechterbilder. Die Autorin bezeichnet sich selbst als Physiker und setzt die Verwendung des generischen Maskulinums, selbst wenn ausdrücklich eine einzelne Frau gemeint ist, auch im Buch fort. Warum dies allerdings nur im Bereich der Naturwissenschaften verwendet wird und Fiana eine Journalistin ist, leuchtet mir nicht ein. Enttäuschend ist auch, dass Fiana als einzige handelnde Frau blass bleibt und Jänchens Welt eine durch und durch männerdominierte ist. Frauen werden als hysterisch oder unfähig lächerlich gemacht und Fiana bleibt die einzige Ausnahme.

Trotz dieser Kritikpunkte hat mich der Text auch sehr berührt, vor allem aufgrund der Hauptfigur, die mir schnell nahegekommen ist, auch wenn ich manche der biografischen Hintergründe etwas überzeichnet fand. Jänchen ist meines Erachtens als deutsche Science-Fiction-Autorin eine vielversprechende Stimme, von der ich gern mehr lesen würde. Leider ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich und aktuell sind von ihr nur Kurzgeschichten zu lesen.