Friedemann Brenneis (Hg.): Magic Future Money. Aprycot

durchwachsen, mit lesenswerten Perlen

Cover Magic Future MoneyEine Kurzgeschichtensammlung rund um das Geld der Zukunft – das klingt spannend, dachte ich. Nach den ersten beiden Geschichten war ich begeistert von dieser Anthologie. Leider lässt die Qualität der Texte danach rapide nach, manche haben sogar massive Fehler (erratisch wechselnde Zeitformen beispielsweise), die in mir die Frage aufwerfen, ob die Texte lektoriert wurden. Manche der Texte scheinen nur aufgenommen worden zu sein, weil sie möglichst absurde Ideen von Zahlungsmitteln der Zukunft präsentieren – gute Geschichten erzählen sie aber nicht. Da wird mit Leben gezahlt, mit Atomen, mit Energie, mit Glas, mit virtuellen Währungen, die automatisch mehr oder weniger werden, oder mit Zeit. Das mag thematisch spannend sein, von einer Kurzgeschichtensammlung erwarte ich aber vor allem Unterhaltung und Anregung.

Trotz dieser Einschränkungen ist die Sammlung lesenswert und enthält einige Kurzgeschichten-Perlen. Neben dem gedruckten Buch mit goldenem Cover ist sie seit einiger Zeit auch als e-book kostenlos erhältlich: https://magicfuturemoney.de/buch/#ebook

Vor jedem Text (nicht alle sind wirklich Geschichten) gibt es eine Schwarz-Weiß-Illustration. Diese sind von verschiedenen Künstler:innen in sehr verschiedenen Stilen gestaltet worden und bieten manchmal einen sehr eigenen Blickwinkel auf die Texte, so dass es sich lohnt, nach dem Lesen noch einmal zurückzublättern.

Carsten Schmitt: Die Frau in Zimmer 9

Die lakonische Sprache dieses Textes mit ihren eigenwilligen lyrischen Anklängen nimmt mich sofort für sich ein. Der Protagonist, ein Arzt, hat sich verspekuliert und arbeitet nun für die russische Mafia. Ich habe diesen Text wirklich sehr genossen – nur das Ende fand ich enttäuschend. Es ist meines Erachtens weder folgerichtig noch nachvollziehbar.

Dennis Deter: Sol

Eine Erinnerungsverkäuferin hat eine unüblich große Erinnerungslücke und geht ihr nach. In diesem dichten Text ist es gelungen, nicht nur sprachlich präzise und emotional berührend, sondern auch auf inhaltlicher Ebene viele Themen anzusprechen: Was macht uns aus? Was ist ein Mensch? Welchen Wert haben Erinnerungen und was ist das Furchtbarste, was wir uns vorstellen können? Und was würde passieren, wenn uns etwas noch Furchtbareres geschähe? Auf jeden Fall lesenswert!

Christian H. Jonka: Unendlich reich!

Ein cis-hetereo-Paar hat super gut dotierte Jobs und eine so große Wohnung, dass es besser ist, anzurufen, als sich auf die Suche nach dem Partner zu machen. Aber die Frau will Meerblick und so wollen sie in das teuerste Appartement ziehen, das es gibt. Aber sie werden ausgetrickst – und das vom Staat.

Diese Geschichte konnte mich nicht recht ansprechen. Mich interessierten die Protagonist:innen nicht, sie wirkten auf mich stereotyp, wie pubertäre Fantasien davon, was man tun würde, wenn man viel Geld hätte. Und auch die Story ergibt für mich keinen Sinn: Der Weltenbau, der ein derartiges Handeln zulässt, müsste dann doch erklärt werden – so bleibt es bei einer (nicht leicht zu glaubenden) Behauptung.

Sylvia Barron: Eine Handvoll Glas

In einem asiatischen Stadtstaat, in dem alles und alle von einer einzigen Firma kontrolliert werden, geht eine Kurierperson ihrem Job nach. Kleine Interaktionen werden beschrieben, wie anstrengend es ist, wenn man der Überwachung entkommen will und nicht mitmacht. Zum Schluss gibt es eine Überraschung, was das zugestellte Produkt angeht.

Ein kurzweiliger Text, unterhaltsam und sprachlich ansprechend. Ich fand es allerdings schade, dass die Handlung nach China verlegt wurde, als wäre „das Böse“ immer anderswo und nicht hier.

Franziska Roth: 64qm, 2ZKB, Erstbezug

Eine Maklerin sucht einen Mieter für eine Wohnung. Aber es soll nicht mit Geld, sondern mit Erinnerungen bezahlt werden. Zu diesem Thema habe ich diesjahr schon viel gelesen, so dass hier nichts Überraschendes mehr dazukam. Die Geschichte ist solide geschrieben, allerdings verstehe ich manche Sachen nicht und die Handelnden bleiben für meinen Geschmack zu blass. Eine gute Geschichte, aber um mich glücklich zu machen, fehlt noch etwas.

Tom Kanitz: L1BRA

Auf einem Raumschiff leben die Nachkommen der Menschen, die Erde ist zerstört. Die Währung sind Atome von der Erde, so dass man seinen eigenen Körper verkaufen kann. Ich fand den Weltenbau unverständlich, die Sprache sperrig. Hinzu kommen Horroranteile – nicht mein Text.

Gregg Irol: #BackToZero

Die Idee, die Grundlage dieses Textes ist, hat mich angesprochen: Alle Kontostände sind über Nacht auf null gesetzt. Das, was der Autor daraus macht, hat mich allerdings weder sprachlich (infodump pur) noch inhaltlich angesprochen: ein Ex-Banker lebt nun freiwillig unter der Brücke und freut sich an Cryptowährung. Weder der Protagonist noch die Story waren für mich glaubwürdig.

Dennis Klose: Sundressed

Minutiös wird der Alltag einer Jogalehrerin beschrieben. Ich fand das langweilig und sprachlich hölzern, eine Aufzählung unwichtiger Dinge, die nur dazu da ist zu zeigen, wie ihre Währung mit sozialen Medien verknüpft ist und diese ihren Alltag dominieren. Bis die eigentliche Story dann beginnt, war ich schon abgedriftet.

Franziska Seipenbusch: Wertpapier

Wertpapier ist eine unterhaltsame Story um einen desillusionierten Lehrer, der aufblüht, als er in einem Kellerraum alte Bücher findet. Warum gerade Goethes Faust ihn so anspricht und was ihn aufblühen lässt, wird leider ebensowenig klar, wie warum er keine engen Beziehungen zu seinen Bezugspersonen hat. Insgesamt wird zu viel behauptet und nicht gezeigt und auch das Ende war für meinen Geschmack zu bemüht überraschend und nicht folgerichtig. Trotzdem habe ich das gern gelesen.

Soenke Scharnhorst: Die Lebenszeit-Händlerin

Eine Lebenszeit-Händlerin trifft eine Frau, die eine verbotene Währung mit sich führt. Es entspinnt sich eine Kriminalstory, die ich leider nur teilweise verstanden habe. Auch die Protagonist:innen bleiben mir fern, ich fiebere mit niemandem mit. Zwischendurch steppt der Erklärbär und ich erfahre die Grundlagen des heutigen Finanzsystems – Scharnhorst hat das gut erklärt, aber warum die Geschichte das an der Stelle braucht, bleibt für mich leider unklar.

Lilias Munro: Shoppingtrip

In einer postapopokalyptischen Welt geht ein Geschwisterpaar einkaufen. Natürlich samt Knarre. Lang und breit wird erklärt, wie es zum Klimawandel kam, wobei ich nichts Neues erfahre. Und die Eltern der beiden Einkaufenden wissen nicht, dass der Handelsplatz gefährlich geworden ist und die Tochter schon einmal jemanden erschießen musste (seit wann fallen fehlende Patronen nicht auf, wenn alles knapp ist?). Und seit wann erkrankt man, wenn man bei großer Hitze schwitzend in den Schatten geht? Nach einer platten Flirterei und einem so offensichtlich unglaubwürdigen Diebstahl, dass ich es peinlich fand, bin ich ausgestiegen.

Jojo Rodgen: Ein guter Deal

Zwischen ein paar spielenden Kindern landet ein Raumschiff, das einen Laden enthält. Die Kinder wollen sich gern etwas kaufen, aber wie können sie bezahlen? Diese kurzweilige Geschichte habe ich sehr genossen. Sie enthält keine großen Überraschungen oder Erkenntnise, ist aber witzig und unterhaltsam.

Tobias Panthel: Geld ist Nicht-Geld

Jemand trifft sich mit einer befreundeten Person, die als multipel gelabelt wird. Die beiden haben ein für mich nicht nachvollziehbares Gespräch. Die vielen Neopronomen, die auch noch kursiv hervorgehoben sind, sind leider ein Beispiel dafür, wie ein Text mithilfe dieser schwer lesbar werden kann. Diesen Text konnte ich nicht zuende lesen, weil ich ihn als Sich-Lustigmachen über eine Person, die Neopronomen verwendet, empfunden habe, was ich sehr schmerzlich fand.

Juliette S. Francis: Xtra Watt

In einer zukünftigen Welt muss sich jede Person ihren Lebensunterhalt in Energie verdienen. Das scheint erst einmal gerecht und ich freute mich über die Utopie, dann wird der Text aber schnell dystopisch, ohne dass für mich nachvollziehbar wird, warum. Auch stilistisch lässt der Text leider ab der Mitte stark nach. Das Ende jedoch mochte ich wieder, da lohnte sich das Weiterlesen.

Erik Sosnowski: Die letzte Währung

Eine Textcollage, die sich mir inhaltlich nicht erschloss und die aufgrund der vielen Fehler schwer zu lesen war. Als dann ein sexueller Übergriff auf eine Frau mit „dann vergriff er sich im Ton und körperlich“ bagatellisiert wird, bin ich ausgestiegen.

Laura Lorentz: Keinen Cent, bitte!

Ein Obdachloser ringt um sein Überleben und findet dabei fast so etwas wie einen Freund. Auch wenn ich die vagen Zuspitzungen nicht mochte (jemand verliert aufgrund der Corona-Pandemie Arbeit und Wohnung, ohne dass klar wird, wie genau), habe ich diesen Text ganz gern gelesen. Meines Erachtens hätte ihm aber eine Kürzung der zahlreichen Redundanzen gutgetan.

Maike Braun: Transpecunia

Dieser Text ist keine Geschichte, sondern ein kurzes Theaterstück in Reimform. Nachdem es sich mir auf zwei Seiten nicht erschloss, habe ich aufgegeben.

Lucia Bräu: Flüssiger Reichtum

Was beginnt wie eine Actionstory, ist schnell anstrengend zu lesen. Mir machte die holprige Sprache ebenso Mühe wie die Beschreibung von Nebensächlichkeiten in einer eigentlich rasanten Geschichte, so dass ich schnell anfing, sie nur noch zu überfliegen. Leider ergibt die Geschichte auch inhaltlich keinen Sinn: Da haben Verfolger Schusswaffen, setzen sie aber nicht ein, und zum Schluss merkt man, dass sie niemanden verfolgen müssen, weil sie das Ziel bereits kennen.

Gioia Großmann: Zeitbürger

Ein Spaziergang von Enkelkind mit Opa, sehr einfühlsam erzählt. Der Rest des Textes ist aber leider nur „Opa erklärt die Welt“, ein gut geschriebener Infodump, der aber trotzdem bald langweilig wird, weil er keinerlei Handlung beinhaltet. Das Ende spielt dann wieder in einer anderen Welt, alles ist wieder beim Alten.

Christoph Sperle: Zve

Ein Fabrikarbeiter wird in einer Währung bezahlt, die nach sechs Tagen jeglichen Wert verliert. Da bekommt er plötzlich einen Währungschip, dessen Wert nicht fällt, sondern steigt. Die Geschichte beschreibt zunächst gut, wie er seinen Schatz hütet und darüber fast paranoid wird. Dann jedoch gleitet sie in Infodump zur Bitcoin, was einfach nur langweilig ist. Am Ende wirft er seinen Reichtum in den Fluss, weil er ungerecht ist – ein unglaubwürdiges und für mich ärgerliches Ende, hätte er doch die Macht, wenigstens seine Freunde durchzubringen.

Marc Schumacher: Inselnovellen. Oder das Kartoffelgeld

Stilistisch hat mich dieser Text sofort für sich eingenommen: Es ist die (fiktive) Flaschenpost eines Lehrers, der auf einer einsamen Insel lebt und sich umbringen will. Leider hält der Text nicht ansatzweise, was er verspricht: Ich erfahre weder, warum er so lebensmüde ist, noch erfahre ich, wie die Dorfgemeinschaft auf der Insel funktioniert. Was ich erfahre, ist eine Klischeegeschichte von Versorgungsschiffen, die nicht mehr kommen und Menschen, die hungern. Schumacher bleibt hier nicht nah an seinem Protagonisten dran, sondern geht in die Distanz und so wird die Erzählung über die Menschen, die sich gegenseitig umbringen und aufessen samt illustrativer Vergewaltigung (als „sich vergehen“ bagatellisiert) zum platten Klischee, das nicht einmal ansatzweise etwas Neues bieten kann. Das enthaltene Kartoffelgeld ist für mich nicht einmal innerhalb der Erzählung nachvollziehbar: Warum sollte das eine Lebensmittel, das man anbauen kann, zum Zahlungsmittel werden, anstatt gegessen zu werden?

Georg Buchrucker: Karl, der Bang-Bus

Ein KFZ-Mechaniker hat einen Pornobus als Kunden, der ihm auch helfen kann, sein Problem zu lösen. Das ist an sich eine ganz gute Idee, aber wie genau das jetzt alles zusammenhängt, wird mir nicht ganz klar. Die riesigen Infodumpblöcke zum aktuellen Geldsystem haben mich aus dem Text geworfen und bauen kein für mich nachvollziehbares Finanzsystem auf. Keine ganz schlechte Geschichte, aber auch nicht wirklich mein Geschmack.

Heidi Pohlmann: Aller guten Dinge sind vier …

Dieser Text hatte es zunächst schwer bei mir: Er beginnt mit einem rassistischen Klischee („primitive Stammesgesellschaften“) und kommt dann schnell zu Sexismus (reine Männerwelt, Frauen sind nur da, um sie gegen Geld zu vögeln). Dabei ist der Text sprachlich ziemlich ansprechend. Es wird eine Welt gezeigt, in der Männer unter sich leben, wobei mir nicht klar wird, warum. Und scheinbar gibt es ein soziales Belohnungssystem, das Kredit gibt, wenn man sich angepasst verhält und Kredit nimmt, wenn man nicht freundlich genug ist. Das finde ich ein spannendes Konzept. Allerdings verstehe ich gar nicht, wieso die Sache scheinbar gar keinen Lerneffekt auf den Protagonisten hat und der weiter seine toxische Männlichkeit leben kann. Insgesamt blieb bei mir das Gefühl, den Text nur zu einem kleinen Teil verstanden zu haben. Am Ende las ich ihn ans Kritik an der gezeigten toxischen Männlichkeit, die mich noch lange beschäftigt hat.

Fabian Henry: Apartment No. 1010

Ein Geldeintreiber kommt in ein Messi-Appartement und da die Bewohnerin kein Geld hat, muss sie mit ihrem Unterschenkel zahlen. Eine gut geschriebene, hoffnungslose Geschichte, eher ein Slice of life ohne Überraschung.

Pia Seidel: Die Abstimmung

Obwohl der Text gut geschrieben ist, hat er mich gelangweilt. Es handelt sich um eine Slice of day-Geschichte, die vom Alltag einer Botschafterin erzählt, aber es passiert nichts, was irgendwie interessant wäre. Besonders genervt hat mich, dass bis zum letzten Satz verborgen bleibt, worüber eigentlich abgestimmt wird – ein Versuch, Spannung zu erzeugen, der für mich nicht funktioniert hat. Die Auflösung ist dann auch keine wirkliche Überraschung.

Leonhard Calm: Grün wie die Hoffnung

Jemand pendelt zwischen einer virtuellen und einer realen Welt und anfangs versteht man nicht, warum und was das für Welten sind. Aber dann wird es langsam klarer, es breitet sich eine berührende und letztlich sehr einfache Geschichte aus, wie sie auch in unserer Welt spielen könnte. Manchmal hätte ich mir einen etwas klareren Weltenbau gewünscht. Ein sehr berührender Text.

Georg Dietrich: Die Kryptofonie

Ein ehemaliger Dirigent ist alt und depressiv. Sein Pfleger findet schließlich etwas, das ihn glücklich macht – und umbringt. Ich mochte die Art, wie die Interaktion zwischen den beiden beschrieben war, auch wenn sie etwas klischeehaft rüberkam. Das beschriebene Rechenzentrum allerdings schien mir unglaubwürdig: Rechenzentren sind zumindest heute laut. Und man kann nicht einfach hinein gehen. Eine unterhaltsame Geschichte, die nur ganz am Rande mit Geld zu tun hat, wobei der geldbezogene Weltenbau sich mir nicht erschlossen hat.

Christian Baumelt: Gefühlte Lebenszeit

Eine Person entdeckt bei einem Trödler eine Gitarre und verliebt sich in sie. Diese schön geschilderte Szene kann ich sofort nachvollziehen. Leider hat der folgende Text kaum noch Handlung und besteht aus dem Nachdenken darüber, ob Lebenszeit als Währung gut oder schlecht ist. Das konnte mich nicht mehr einfangen. Ich hätte es viel besser gefunden, auch diese Fragen in Szenen zu gießen.

Alexa Pukall: Geschenkt

In einer Welt muss man für alles bezahlen und einige Leute beschenken sich heimlich. Ich mochte die Idee, allerdings fand ich den Text schwer zu verstehen, weil einige falsche Fährten drin waren.

Michael Edelbrock: Weltenretterin

Ein Kind hat eine lebensbedrohliche Krankheit, die Eltern verschweigen es ihr. Und dann stirbt sie, Klischee, Klischee, happy auf einer exotischen Weltreise. Dass die Story nach Asien verlegt wird und von Smog handelt, macht es nicht besser, denn auch das bedient leider ein Klischee. Ich fand die Sprache hölzern und die Geschichte inhaltlich zu sehr im Altbekannten verhaftet.