Magret Kindermann (Hg.): dahinter (Anthologie-Trilogie). Bod

kurzweilige Denkanstöße

 Cover Dahinter

Auf diese Anthologie war ich sehr gespannt: Einerseits, weil sie mich thematisch interessierte (Geschichten, in denen eine zweite Ebene entdeckt werden kann), andererseits, weil ich viele der enthaltenen Namen zumindest von Twitter kenne und drittens, weil ich selbst einen Text dafür geschrieben habe (der dann nicht genommen wurde) und gespannt war, warum er nicht passte.

Was ich schonmal verraten kann, ist, dass diese Anthologie meinen Lesegeschmack sehr getroffen hat. Die Geschichten sind für mein Dafürhalten stilistisch ausgereift, die Plots interessant (bis auf einen, den ich nicht verstanden habe) und sie sind leicht und unterhaltsam zu lesen. Dazu kommen sehr ansprechende Illustrationen, die auch auf dem Reader gut dargestellt werden – wobei sich hier die Printausgabe sicher lohnen würde. Nur eine Sache an dieser Anthologie hat mich verwirrt: Ich habe bei keinem einzigen Text die zweite Ebene entdecken können.

Vorwort

Das Vorwort der Herausgeberin ist leicht zu lesen und beeindruckt mit der Analogie eines Bildes von Vermeer, in dem nach Jahrhunderten entdeckt wurde, dass sich unter einer Fläche etwas verbarg, das übermalt worden war. Als die Restaurator*innen es freilegten, bekam das Bild eine ganz andere Aussage – eine schöne Einstimmung auf die Geschichten. (Wenn, naja … ihr wisst schon. Ich hätte ja geschworen, ich sei berufsbedingt auf das Entdecken zweiter, dritter, vierter ... Ebenen trainiert, aber hier stehe ich auf dem Schlauch, was dem Lesegenuss allerdings keinen Abbruch tat).

Jennifer Pfalzgraf: Die Frau, die vor dem Regen floh

Dieser Text spielt in der Zukunft. In einem Café treffen sich eine Frau und ein Mann, die wohl einmal ein Paar waren und es vielleicht auch gern wieder wären. Ich mochte die Sprache dieses Textes, die Art wie intensive Bilder gefunden werden, eine Atmosphäre geschaffen wird. Gestolpert bin ich über merkwürdige Anglizismen („Fischtank“). Das Ende ist traurig, aber irgendwie nachvollziehbar.

Nora Burgard-Arp: Er sagte „Komm mit“

Ein Paar ist lange zusammen, die Rollen sind vergeben: Er sagt, was getan werden soll, sie tut es. Die Geschichte gibt eine stimmige und stimmungsvolle Innensicht in die Dynamik des alten Paares und die Welten beider Beteiligter. Und als der Mann stirbt, ist es völlig folgerichtig, dass sie mitgeht.

June Is: Chibo weiß, wo der Babo ist

Noch eine Science-Fiction-Geschichte: Forscher an der Universität haben ein Alien gefunden und halten es in einem geheimen Labor gefangen. Aber das büchst aus und landet bei einem Nerd, der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt. Diese witzige Geschichte lebt vor allem von ihrem Humor. Sie ist nicht an allen Stellen logisch und bedient einige Klischees und für mich schwierige Tropes (der vereinsamte Nerd, der trottelige Forscher, eine reine Männerwelt und nicht zuletzt ein Baby gegen Einsamkeit), trotzdem habe ich sie gern gelesen.

Yvonne Tunnat: Kinderzeit

Ein schon einige Jahre zusammen seiendes Paar reist in seine Heimat und geht dort auf die Kirmes. Was er hinter sich lassen wollte, lauert überall, er taucht darin ein, aber er teilt es nicht mit uns – ebensowenig wie mit seiner Partnerin. Die Geschichte schafft eine sehr dichte Atmosphäre, in der vieles vage bleibt, eine emotionale Dichtheit, die mich sehr bewegt hat. Es gibt eine Begegnung mit seiner Ex – aber das Geheime bleibt geheim, unausgesprochen. Eines meiner Highlights in dieser Antho!

Liv Modes: Wolken über See

Ein Mann entflieht seinem Leben in die Natur, baut sich dort ein Boot, lässt sich in die Mitte des Sees treiben und lässt los. Dieser Text über Suizid beschreibt die Stimmung, auch die Ratlosigkeit der Hinterbliebenen sehr treffend – und erklärt nichts. Er ließ auch mich etwas ratlos zurück.

Tino Falke: NPC

Das ist mein zweites Highlight dieser Antho: Eine Synchronsprecherin für PC-Spiele leiht NPCs ihre Stimme – und bleibt auch in ihrem Leben stets ein NPC. Es wird eindrücklich beschrieben, wie sie immer am Rand bleibt, nie ganz in Kontakt kommt – bis sie schließlich auf andere NPCs trifft. Ein witziger und berührender Text.

S.M. Gruber: Der Lichtmaler

Eine Geschichte aus der Sicht einer Kamera, was ich an sich eine schöne Idee finde. Natürlich nimmt die Kamera nur Ausschnitte wahr, sowohl zeitlich als auch räumlich und für diese findet Gruber schöne Worte. Sprachlich konnte ich den Text genießen, stolperte aber immer wieder über für mich nicht stimmige Bilder. Nicht zuletzt habe ich die Geschichte nicht verstanden, dadurch hat sich der Text mir nicht erschlossen.

 

Anmerkung: Die Anthologie ist Teil einer Anthologie-Trilogie, lässt sich aber super allein lesen. Sie ist unter anderem bei Amazon erhältlich.