Mein Science-Fiction-Jahr 2021

ein Rückblick und Zwischenfazit

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Ich bin Science-Fiction-Fan, so lange ich denken kann. Schon im Vorschulalter klebte ich an der Mattscheibe, wenn es etwas außerhalb der Erde zu entdecken gab. Später lass ich die osteuropäischen Werke aus der Sammlung meines Großvaters. Im letzten Jahr fiel mir auf, dass ich mittlerweile fast nur englischsprachige Bücher lese – und so nahm ich mir vor, das zu ändern. 2021, so mein Vorhaben, lese ich so viele deutschsprachige Neuerscheinungen im Bereich Science Fiction wie ich mir leisten kann – sowohl Kurzgeschichten als auch Romane. Eigentlich war meine Idee, über alles zu bloggen, was ich so lese. Ich träumte von einem Kopfsprung in tolle Texte, der Entdeckung neuer Welten und Charaktere, dem wollüstigen Schwelgen in Sprachkreationen und, so dachte ich, der Entdeckung von Selfpublishern und Kleinverlagen. Meine Vorstellung war, dass das Limit mein Geldbeutel sein würde.

Tja, was soll ich sagen: Es kam etwas anders. Es zeigte sich, dass die Grenzen meiner Frustrationstoleranz sehr viel eher erreicht waren, als das Ende meines Buchbudgets. Was so hochnäsig klingt, fand und finde ich sehr bitter. Plötzlich war mir wieder klar, warum ich so viel englisch lese: weil ich da nicht so leide. Selbst wenn ich den Anspruch herunterschraube auf „gute Unterhaltung“ ist es für mich schwierig, genug zu finden, das meinen Geschmack trifft. Dauernd sehe ich Sexismus, Rassismus, Adultismus, Ableismus, Transfeindlichkeit und reihenweise Klischees über Menschen, die irgendwie nicht der Norm entsprechen. Ich leide unter Plattitüden und abgegriffenen Bildern, besonders wenn sie gehäuft auftreten. Meine Familie kann ein Lied davon singen, wie schrecklich es ist, mit mir einen Film zu sehen oder neben mir zu sitzen, wenn ich lese ...

Erst habe ich meinen Plan durchgezogen, über alles zu bloggen. Aber wem nützt eine Sammlung von Verrissen? Öffentliche Rezensionen nur dann zu schreiben, wenn ich etwas besonders Fundiertes glaube beitragen zu können – oder wenn mir an einem Text oder einer Textsammlung etwas so gefallen hat, dass ich das gern mitteilen möchte – das war meine Lösung. Kolleg*innen zu verreißen, besonders unbekannte, schien mir weder guter Stil noch irgendwem dienlich, denn letztlich ist die Frage, ob ein Text gefällt oder nicht, auch viel vom Geschmack abhängig – und dass meiner sehr eigen ist, ist mir schon in meiner Jugendzeit aufgefallen. Was alle hypten, gab mir oft gar nichts.

2021 habe ich 21 Romane (an)gelesen und mich durch 141 Kurzgeschichten gequält – alles deutschsprachige Ersterscheinungen aus dem Bereich Science Fiction. Ich gebe hiermit zu, dass ich unterwältigt war, was die Qualität der Texte anging: hölzerne Schreibstile, nicht vorhandener Weltenbau, seitenweise Erklärungen, holzschnittartige Charaktere, sinnlose Gewaltorgien, löchrige oder nicht vorhandene Plots und nicht selten eine Aneinanderreihung von Klischees – erstmals hatte ich das Gefühl, zu verstehen, warum die SF in Deutschland einen so schlechten Ruf hat. Ich lernte eine Menge über mich als Leser*in. Ich verstand auch wieder, wie die Idee, das Buch, das ich gern lesen wollte, selbst zu schreiben, entstanden war. (Ihr könnt euch vorstellen, wie oft ich am eigenen Anspruch gescheitert bin.) Oft konnte ich Texte nicht einmal zu Ende lesen, weil ich mich so ärgerte. Da hieß es dann: Familienfrieden erhalten oder Lektüre abbrechen. Meinen ersten Rezensionen ist das noch deutlich anzulesen.

Was ich nun präsentieren möchte, ist eine Liste meiner persönlichen Highlights aus dem Jahr 2021. Fast alles davon habe ich rezensiert (orangene Schrift heißt, es gibt einen Link zu meiner Rezension), manche Rezensionen werde ich noch nachreichen. Ich möchte auch offen meine Hilflosigkeit benennen, angesichts eines so wenig angebotskompatiblen Geschmacks. Wie nun damit umgehen? Für 2022 habe ich mir vorgenommen, mehr nach dem zu suchen, was mir in Texten gefällt. Und ich werde mit Bewertungsschemata experimentieren, damit Leute, die meinen Blog lesen, wissen, wo ich meinen Fokus gesetzt habe. Bei Textsammlungen gehe ich außerdem davon ab, zu jedem Text etwas zu schreiben, lieber widme ich mich dem, was mir gefallen hat. Insgesamt fand ich, dass es 2021 sehr viel mehr gute Kurzgeschichten gab als Romane, ich werde also 2022 wahrscheinlich mehr kurze Texte lesen.

Hier meine ganz persönliche Bestenlisten 2021:

Jols beste Romane:

Janna Ruth: Memories of Summer

J. C. Vogt: Anarchie Deco

Claudia Tieschky: Die silbernen Felder

Raphaela Edelbauer: Dave

Ivan Ertlov: Stargazer. Das letzte Artefakt

Sven Haupt: Stille zwischen den Sternen

Jols beste Kurzgeschichten:

Aiki Mira: Das Universum ohne Eisbärin (c't 5/21)

Janika Rehak: Onkel Nate oder die hohe Kunst, aus dem Fenster zu schauen (Am Anfang war das Bild)

Alessandra Reß: Dialog im Baltikum (FutureWork)

Heidrun Jänchen: Die moralische Instanz (FutureWork)

Helge Lange: Clavis Mundi (c't 23/21)

Teresa Teske: Im Raum steht die Wut (Queer*Welten 4)

Thomas Grüter: meine künstlichen Kinder (Exodus 43)

Leonhard Calm: Grün wie die Hoffnung (Magic Future Money)

Carsten Schmitt: Die Frau in Zimmer 9 (Magic Future Money)

Dennis Deter: Sol (Magic Future Money)

Maike Braun: Ewige Seeanemonen (Exodus 42)