June Is: Simas Fluch. Gefangen zwischen den Zeilen. Ohneohren

unterhaltsames Häh?

 june final highres

In einer Welt, in der es Magie gibt, gibt es Bücher, in die man eintauchen kann: zum Vergnügen, aber auch zur Strafe, um „geläutert zu werden“. Die Protagonistin Aislyn ist sehr neugierig und taucht in eines der Gefängnisbücher ein, das sie quasi dazu einlädt – und ein Abenteuer beginnt. Was erst in einer Fantasywelt beginnt, wird mehr und mehr zu Science Fiction, wobei keine der drei Welten, zwischen denen der Text wechselt, genug ausgearbeitet ist, um wirklich dem Titel „Social Science Fiction“ gerecht zu werden. Die magischen Fähigkeiten spielen für die erzählte Geschichte kaum eine Rolle und die Bücher sind eher wie PC-Spiele mit vollem Eintauchen mit allen Sinnen, wie man sie auch aus diversen Science-Fiction-Welten kennt. Gamer werden bekannte Elemente wiedererkennen: Zwischenbildschirme und Inventare beispielsweise.

 

Ich bin schnell und gern in diese anderen Welten eingetaucht. Das Buch wird schnell spannend, hüpft dann allerdings für meinen Geschmack zu schnell von Welt zu Welt, von Zeitebene zu Zeitebene und von Charakter zu Charakter. Die einzige Konstante ist Aislyn, die mir leider nicht wirklich nahe rückt – und ihr Freund Niall, der ihr ins Buch folgt, um sie zu retten. Es ist wie ein Puzzle oder Mosaik: Ich bekomme ein Teil oder Steinchen nach dem anderen und kann es, wie Aislyn auch, lange nicht zusammensetzen. Da ich die Charaktere, in die Aislyn geworfen wird, jeweils nur kurz kenne, verstehe ich weder ihre Motive noch ihre Beschaffenheit. Ich verstehe auch nicht, welche Geschichte das Buch erzählt, in das sie geworfen werden. Ungefähr in der Hälfte des Buches ging das so weit, dass ich nur noch mit Fragezeichen in den Augen weiterlas – ich sah beim besten Willen nicht mehr durch: Wer ist wer und warum tut die Person das und was ist hier eigentlich die Geschichte?

Das Interessante an diesem Buch ist, dass es Is trotzdem gelingt, die Spannung zu erhalten. Immer wenn ich dachte „jetzt sehe ich gar keine Sonne mehr“ kam irgendein Puzzlesteinchen, das etwas ordnete, etwas, woran ich mich aufhängen konnte. Und obwohl ich mit einer Menge nicht passender Puzzlestücke dasaß, war ich immer gespannt, wie es weitergeht. Ab ca. 40% des Buches tauchen dann auch bekannte Schauplätze und Charaktere wieder auf, so dass ich gespannt war, wie die einzelnen Stränge weitergehen und etwas mehr Orientierung hatte. Was mich auch gefreut hat, ist, dass Neopronomen im Text vorkommen und gut lesbar eingebaut sind.

Zum Ende hin verstand ich dann wieder etwas mehr: dass es um Menschlichkeit geht und darum, wie viel ein Mensch wert ist, ein zutiefst philosophisches und ethisches Thema, das June in einer Art Sklavenhaltergesellschaft aufmacht. Interessant finde ich auch die Frage, was es bedeuten würde, wenn es möglich wäre, in Geschichten ganz einzutauchen: Würden diese uns dann verändern und wenn ja, was würde das beispielsweise für die Rehabilitation von Straftäter*innen bedeuten? Ist es dazu wirklich nötig, im Eintauchen körperlich Schaden zu nehmen?

Rein stilistisch ist das Buch leicht lesbar. Is verwendet eine weitgehend floskelfreie Sprache, allerdings habe ich keine jener sprachlichen Perlen und überraschenden Vergleiche gefunden, die ich so liebe. Die Zeitformen, in denen erzählt wird, wechseln vom Präsens zum Präteritum und wieder zurück, mich hat das interessanterweise nicht gestört, obwohl ich nicht verstanden habe, warum die Zeitform an manchen Stellen wechselt und an anderen nicht. Meine Hypothese, dass es immer Präsens ist, wenn Aislyn in einen anderen Charakter schlüpft, kann jedenfalls als widerlegt gelten.

Aber natürlich habe ich auch an diesem Buch etwas zu meckern. Aislyn wird gut eingeführt, bleibt aber dann leider blass. Ich hätte gern mehr darüber erfahren, wie es ihr in den verschiedenen Rollen ergeht, wie es ist, wenn die eigene Persönlichkeit von einer anderen überlagert wird. Das ist das, was mich am Setting des Buches am meisten interessiert: die Auswirkungen der wirklich tiefen Immersion. Für Is scheint dieser Aspekt nebensächlich und wird nur gelegentlich in einem Nebensatz angedeutet. Die zweite für mich spannende, im Buch aber unterbelichtete Frage, ist die nach Niall. Er bleibt noch blasser als Aislyn, ich habe nicht einmal ansatzweise eine Idee, was für ein Wesen er ist und was für eine Person. Niall und Aislyn wissen zwar recht bald voneinander – es denkt aber nur am Buchende mal jemand von beiden darüber nach, welchen Charakter die jeweils andere Person gerade verkörpert. Wie Niall zu Aislyn steht und warum genau er ihr gefolgt ist, bleibt genauso schleierhaft wie die Beziehung zu seinem Bruder, der mal in diesem Buch verloren gegangen ist. Und dann ist da noch das Ende: Es ist irgendwie rund, aber es werden eine ganze Menge Rätsel nicht gelöst, was ich unbefriedigend fand. Noch unbefriedigender war das Gefühl, sie seien gelöst worden, ich hätte es nur nicht verstanden. ;)

Und dann ist da noch die Genrefrage. Die Rahmenhandlung spielt in einer Fantasywelt mit Drachen und Magie, aber das, was als Magie erklärt wird, könnte auch Technik sein, denn die Gamer-Anteile sind Aislyn vertraut. Das Buch selbst spielt vielleicht? Wahrscheinlich? auf der Erde, diese hat leichte Fantasyanteile, es gibt aber auch Szenen, die in der Zukunft spielen und in der zukünftige Technik vorkommt. Ich würde das Buch trotzdem nicht als Science Fiction einordnen, einfach weil weder die Technik noch die gesellschaftlichen Aspekte genug ausgeführt sind.

Enden wir mit einem großen Plus des Buches: Es enthält eine Menge überraschender Wendungen und ist auf erfrischende Art unkonventionell.

Und wie bereits angekündigt hier der Versuch einer Einordnung in Zahlen:

Unterhaltung: 2,5 von 3 Punkten

Sprache/Stil: 2 von 3

Spannung: 2,5 von 3

Charaktere/Beziehungen: 1,5 von 3

Originalität: 3 von 3

Tiefe der Thematik: 2 von 3

Weltenbau: 1,5 von 3

Macht 15 von 21 möglichen Punkten.