Nils Westerboer: Athos 2643. Klett-Cotta

 

tiefsinnig und spannend

Athos Cover

 

 

Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, Science Fiction zu lesen, die im Klett-Cotta-Verlag erschienen ist, den ich bislang nur von Fachlektüre kenne. 2021 hat mich „Dave“ ziemlich begeistert, dieses Jahr schließt sich „Athos 2643“ an. Ein stilistisch gelungener Roman rund um die Beziehung einer KI zu dem Menschen, für den sie zuständig ist – und um Fragen nach Identität und Verantwortung.

 

 

 

Der Text beginnt mit einem Vorwort, das die Frage aufwirft, ob wir Schuld auf uns laden, wenn wir jemanden zu gesundheitsschädlichem Verhalten animieren. Ich habe das Vorwort nach den ersten Kapiteln vergessen – und kann jetzt, nach Lesen des gesamten Textes, nicht erkennen, wie es den Roman bereichert oder auch nur mit diesem zusammenhängt, auch wenn es eine interessante Geschichte erzählt.

Der Roman selbst ist aus der Sicht von Zack erzählt, einer KI mit einem weiblich gelesenen, fast ganz transparenten projizierten Körper, deren Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass es dem Menschen Rüd gutgeht. Rüd ist ein ziemliches Arschloch: Er arbeitet als Inquisitor, was in dieser Welt bedeutet, dass er mithilfe spezieller Fragetechniken KIs dazu bringt, Veränderungen an sich zuzulassen. Rüd behandelt Zack schlecht und nutzt sie aus, ein unsympathisch wirkender, misogyner, lüsterner und depressiver Typ, dem ich trotzdem gern gefolgt bin, vor allem weil ich hoffte, Zack zahle es ihm irgendwie heim. Warum Rüd trotzdem einen guten Status hat und was in dieser Welt diesen guten Status einbringt, bleibt zum großen Teil im Dunklen.

 

Rüd soll einen einfach erscheinenden Job auf einem abgelegenen Mond erledigen – der sich natürlich als sehr viel schwieriger erweist, als es scheint. Auf dem Mond lebt eine kleine Gruppe von Männern: der religiöse Orden der Cönobiten. Die KI, die die lebensfeindliche Umgebung den Bedürfnissen der Menschen anpasst, hat einen Mord zugelassen und Rüd soll sie „reparieren“, damit so etwas nicht wieder vorkommt. Dabei taucht er in das Geflecht der Beziehungen der dort lebenden Männer ein. Der Text gewinnt so viel an Fahrt, dass er zum actiongeladenen Pageturner wird – hier hätte es für meinen Geschmack auch weniger Blut und Gewalt getan. Denn natürlich bleibt es nicht bei dem einen Mord und zum Schluss steht das Leben aller Menschen dort auf dem Spiel. Nebenbei werden noch diverse Themen eingebracht: Da geht es um die Ethik von Tierhaltung, um Werte und Religion und um die Frage, was eine Person ist. Mein Gefühl ist, dass der Autor zu viel wollte, in dem er noch ein und noch ein Thema einbrachte. Zum Ende des Romans sei hier nichts verraten. Für mich war es nicht vorhersehbar, blieb aber etwas unbefriedigend.

 

Als Kritikpunkt ist zu nennen, dass Frauen in dem Roman nur als Sehnsuchtsobjekte von Männern auftauchen – selbst die zitierten „historischen“ Texte stammen sämtlichst von (fiktiven) Männern. Es kommt eine Person vor, bei der unklar bleibt, ob es sich um einen trans Mann oder um eine als Mann verkleidete Frau handelt, im Verlauf des Textes werden verschiedene Dinge dazu behauptet. Ich mochte den Text trotzdem, vor allem aufgrund einiger sehr weiser Textabschnitte, wie beispielsweise dem hier: „Die Lüge ist ein Kredit, ein Aufschub, den man später zu zahlen bereit sein muss.“ Auch die Frage, wie viel eine Partnerschaft wert ist, wenn man sich nicht um die andere Person bemühen muss, halte ich für sehr weise.

 

Stilistisch ist der Roman in einer kühl wirkenden Sprache geschrieben: Zack weiß sehr viel mehr als Rüd und verrät es den Lesenden, dabei werden viele wissenschaftlich anmutende Begriffe verwendet, die sich mir nur teilweise erschlossen haben. Das Glossar am Ende des Buches habe ich (dank E-book auf ältlichem Reader) erst am Ende entdeckt – es hätte sicher das Textverständnis erleichtert, wenn ich es mir vorher erschlossen hätte. Der Sprachstil ist literarisch mit eigenen Formulierungen und den von mir so geliebten Perlen nie gelesener Bilder, trotzdem aber leicht lesbar und nicht so sperrig wie „Dave“.

Ich mochte es, wie sich mir der Weltenbau nach und nach erschlossen hat, wie manches kryptisch blieb. Gleichzeitig hat der Text einen sehr eigenen, tiefsinnigen Humor; Zack ist manchmal bitterböse. Die Stärke des Textes besteht meines Erachtens darin, dass eine Menge wichtiger Themen nebenbei aufgemacht werden, ohne dass es aufdringlich wirkt: Da wird geschlechtliche Identität ebenso behandelt, wie Fragen nach Religion und was erst klischeehaft stereotyp wirkt, ist dann doch ganz anders. Klischees werden aufgegriffen und gebrochen – etwas, was ich sehr mag.

 

Insgesamt habe ich diesen Text sehr genossen. Er liest sich gut, hat plastische Figuren, die nachvollziehbare und plastische Beziehungen zueinander haben, und er hat Tiefe. Das ist für mich also schon zum Anfang dieses Lesejahrgangs ein Highlight und eine klare Leseempfehlung!

 

 

Unterhaltung: 2,5 von 3 Punkten

Sprache/Stil: 3 von 3

Spannung: 2,5 von 3

Charaktere/Beziehungen: 2 von 3

Originalität: 2 von 3

Tiefe der Thematik: 2,5 von 3

Weltenbau: 2,5 von 3

macht 17 von 21 möglichen Punkten.