Frank Makowski: Die Frauen von Berbarath. Edition SOLAR-X

 

dystopisch und spannend

 Berbarath CoverMit diesem Text tat ich mich schwer. Ich konnte ihn nicht beiseitelegen, weil er mich gepackt hatte – und doch habe ich mich immer wieder über ihn geärgert. Vor allem, weil Cover und Klappentext in mir Erwartungen geweckt haben, die das Buch nicht erfüllt – was wahrscheinlich zum großen Teil an meinen Wünschen liegt und nicht an der Aufmachung.

Zunächst mal: Der Text ist kein klassischer Roman. Es gibt keinen übergreifenden Spannungsbogen und keine Protagonistinnen, die den gesamten Text über auftauchen. Ich hielt den Text zunächst für eine Sammlung aus vier kürzeren, und einem längeren Text, die jeweils für sich stehen können, und die, bis auf einige kleine Ausnahmen, keinerlei Bezug aufeinander nehmen. Die Handelnden können einander aufgrund der verschiedenen Zeitebenen nicht kennen. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie auf Berbarath spielen, dem Planeten, auf dem die Kolonisten gelandet sind. Ein anderer Vielleser meinte dann, es sei ein Episodenroman wie „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell. Nachlesen hat mich gelehrt, dass ein Episodenroman wieder etwas anderes ist, „Der Wolkenatlas“ wird bei Wikipedia als „literarisches Kaleidoskop“ bezeichnet. Nun, wie auch immer man das nennt - so etwas ist „Die Frauen von Berberath“ auch: Makowski zeigt den Niedergang einer Gesellschaft anhand von Schlaglichtern, die Klammer besteht nicht in einem klassischen Spannungsbogen, sondern ergibt sich aus der Frage, wie sich die Kolonist*innen und deren Gesellschaft entwickelt. Nur wenige Wochen oder gar Tage sieht der Autor den Frauen zu. „Die Entwicklung der Kolonie über 780 Jahre“, wie es im Klappentext verheißen wird, zeigt sich anhand dieser Schlaglichter, die eigentliche Veränderung wird nicht gezeigt.

Meine größte Enttäuschung bezieht sich darauf, dass ich annahm, Heldinnen präsentiert zu bekommen, Frauen, die etwas anpacken und damit erfolgreich sind. Aber alle fünf Texte handeln vom Scheitern. Und zwar – und diese Interpretation mag meiner spezifischen Sichtweise geschuldet sein – ausnahmslos vom Scheitern am Patriarchat. Das für mich schwer Aushaltbare dabei ist, dass patriarchale Strukturen ohne sie zu hinterfragen gesetzt scheinen. Ich lese den Text nicht als patriarchatskritische Unrechtsbeschreibung an den Protagonistinnen, sondern als unhinterfragte Beschreibung von fünf verschiedenen, mehr oder weniger krass patriarchalischen Gesellschaften. Dabei enthält der Text massive Gewaltschilderungen, die für mich zu einem großen Teil nicht ausreichend eingebunden sind.

 

Trotz dieser für mich schwierigen Punkte ist es Makowski gelungen, interessante Geschichten zu erzählen und eine eigene Sprache dafür zu finden. Insbesondere die dritte und die fünfte Geschichte habe ich mit Genuss gelesen und ich denke, dass Leute, die Dystopien mögen und den Protas nicht so sehr auf die Pelle rücken mögen, wie ich es bevorzuge, hier auch fündig werden können.

 

Der Schreibstil mutet etwas lyrisch und altmodisch an. Er hat mich mit seiner Adjektivlastigkeit teilweise genervt und anders als die aktuellen Konventionen, erklärt und behauptet er recht viel, was bereits gezeigt wurde. Aber als ich mich darauf eingelassen hatte, kam ich ganz gut damit klar.

 

In der ersten Geschichte (20 Jahre nach der Ankunft) wird mir Vondra, eine alte Frau vorgestellt, die am Ufer sitzt und Vögel füttert. Das ist gut gezeichnet und ich werde neugierig, auch der langsame Textfluss passt gut zur Szene. Leider gleitet die Sprache schnell ins Phrasenhafte ab („Vondra war wie vom Donner gerührt.“) und für die folgenden Actionszenen ist sie dann doch deutlich zu umständlich. Es wird eine Vielzahl an Personen eingeführt, die alle blass bleiben und sich sehr geschlechterstereotyp verhalten (natürlich weinen die Frauen, die Männer aber nicht). Auffällig ist auch, dass sie enorm abfällig miteinander sprechen. Auch gibt es für meinen Geschmack zu ausgiebige Technikbeschreibungen, die ausufernde Beschreibung von Andockmanövern usw. interessieren mich nicht. Das Raumschiff, mit dem die Menschen auf Berbarath angekommen sind, droht, auf den Planeten zu stürzen. Vondra reist mit einem Team hinauf, um mit der dortigen KI zu sprechen, was sie nicht überlebt. Das Ende ist mir zu plakativ präsentiert und für mich fast unerträglich kitschig, auch wenn es inhaltlich ein enorm spannendes Thema aufmacht (das ich schon ganz zu Anfang geahnt habe und das daher nicht überraschend kommt). Hier hat Makowski meines Erachtens einiges an Potenzial verschenkt.

 

Im zweiten Text (100 Jahre später) geht es auch wieder actionlastig los, allerdings verlangsamen auch hier die vielen Adjektive und Bilder den Text, so dass nicht recht Spannung aufkommt. Liandra ist ihrem Mann zuliebe bei einer Expedition mitgeflogen. Sie wird als hilflos eingeführt, eine Protagonistin, die keine Ahnung hat und nicht dabei sein will. Als das Flugzeug an einer Felswand abstürzt, stirbt der an Bord befindliche Arzt und Liandras Mann ist schwerverletzt. Liandra ist die einzige Frau in der Truppe – und die mit der Sanitätsausbildung. Sie versorgt ihren Mann, aber er ist im Koma und nicht transportfähig.

Jetzt wird deutlich, dass sie doch einen Platz im Team hat – und zwar wegen ihrer Fertigkeiten als Kletterin und Sanitäterin, nicht nur als Frau ihres Mannes. Unlogischerweise kann sie die nötige Entscheidung, sich auf den Weg zu machen, weil das Wasser ausgeht, nicht treffen und auch der Leiter der Gruppe trifft sie nicht – obwohl das Dortbleiben den Tod der gesamten Gruppe bedeutet. Also trifft der Brutalste die Entscheidung – er tötet ihren Mann und kurz darauf den Expeditionsleiter, der das kritisiert. Zurück bleiben Liandra und der Bösewicht und die müssen nun gemeinsam eine Wand hochklettern. Ich will das Ende nicht verraten. Für mich waren die Emotionsschilderungen in diesem Teil wenig gelungen und ich konnte den Text nur überfliegen, weil ich Gewaltschilderungen an Frauen nicht gut lesen kann.

In diesem zweiten Teil nervten mich auch die Inkonsistenzen im Weltenbau. Wenn die Menschen wirklich nur noch wenige Fluggeräte haben und ihr Überleben von dieser einen Mission abhängt, warum dann die Teilnehmenden so schlecht auswählen? Ein Leiter, der nicht entscheiden kann, eine Frau, die nicht mitwill und einen Typen, der bereits vorher als brutal auffiel – das ergibt als Teamzusammenstellung keinen Sinn. Ebensowenig ergibt es Sinn, dass da noch auf Frisuren und Bartstile Wert gelegt wird. Hinzu kommt, dass die Charaktere für mich so unlebendig bleiben, dass ich auch hier wieder nicht auseinander halten konnte, wer wer ist – angefangen bei der Tatsache, wie viele Personen nun eigentlich im Team sind.

 

Ich hätte das Buch an dieser Stelle beiseite gelegt – wäre da nicht die dritte Geschichte gewesen. Sie spielt 290 Jahre nach der Ankunft. Katerine ist Ärztin und lebt mit ihrer Freundin zusammen, wobei beide eine Hassliebe verbindet, die für mich wenig nachvollziehbar wird. Als Lesben sind sie ausgegrenzt. Es gibt nur noch wenig Technik, Katerine sammelt alte Datenspeicher und Lesegeräte und sortiert das Ganze in einem Archiv. In ihrem Festhalten am Alten wurde sie für mich sehr lebendig und sympatisch. Aber alle halten sie für eine Spinnerin, selbst ihre Partnerin. Die nötige Energie halten sie für verschwendet. Für mich bleibt nicht nachvollziehbar, wieso es Katerine nicht gelingt, für ihr Projekt zu werben. Ebenso völlig aus dem Blauen kommt für mich ihr körperlicher Angriff auf ihre Partnerin und ihre anschließende Flucht mit dem Archivmaterial.

Trotz dieser Inkonsistenzen mochte ich Katerina als Protagonistin, ihr Dranbleiben und Einstehen für ein Thema. Am Ende dieses Kapitels gibt es einen namentlichen Bezug zu Vondra.

 

Esmé (470 Jahre nach der Ankunft) lebt in einer mittelalterlich anmutenden Welt. Die Familien sind patriarchalisch strukturiert, ihr Vater hat das Sagen. Er muss die ererbte Farm aufgeben und führt die Familie in ein hoffentlich besseres Leben. Merkwürdigerweise kennen sie keinen Ort, an den sie gehen können und haben auch keine Freunde. Auf dem Weg stirbt die schwangere Mutter und sie landen in einem Dorf, das sie wegschickt. Dann wechselt die Perspektive zu einer Räubertruppe, die mordet und erpresst. Natürlich trifft Esmés Familie auf die Räuber, das Opfernarrativ wird verschärft, alle sterben – außer Esmé. Sie bleibt mit einer schwerverletzten Räuberin im Wald zurück, mit der sie redet. Das Fazit des Gesprächs bleibt für mich wenig nachvollziehbar düster.

 

Sharlains Geschichte war für mich wieder angenehmer zu lesen. Sie nimmt fast die Hälfte des Buches ein und spielt 780 Jahre nach der Ankunft. Dieses Kapitel kann mich ganz gut für sich einfangen. Sharlain ist eine Tassu-Vondragh (den Bezug zu Vondras Namen habe ich erst durch den Hinweis eines anderen Lesenden begriffen), eine Heilerin und Hexe, und lebt eremitisch. Sie weiß sich zu wehren und ist stark. Merkwürdigerweise hat sie ein Aggressionsproblem, wird immer wieder von Wutanfällen gepackt, in denen sie Menschen umbringt. Ich hätte gern gewusst, was sie so wütend macht, aber das erfahren wir nicht (oder ich habe es nicht verstanden).

Sharlain bemerkt einen Raumschiffabsturz und birgt einen Fremden, den sie mitnimmt und aufpäppelt. Langsam lernen die beiden sich verstehen. Ich muss sagen, ich hatte hier viel mit Fremdscham zu tun, so unbeholfen ist das geschildert. Dass sie den Außerirdischen für ihren Gott hält, ist keine neue Geschichte. Dass die beiden dann auch noch im Bett landen müssen, die wunderschöne eigentlich noch pubertäre fast-Frau und der viel ältere Mann – auch bekannt. Auch das Motiv vom überlegenen Retter ist alles andere als neu.

Sharlain verletzt ihr Keuschheitsgelübde und verliert folgerichtig ihren Status – und damit alles, was sie ausmacht. Mit der folgenden Depression kann ihr Liebhaber nicht gut umgehen und ist ihr keinerlei Unterstützung. Das Ende bringt eine Überraschung, die ich hier nicht verraten mag. Wie auch im ersten Kapitel macht diese ein spannendes Thema auf, das aber für meinen Geschmack zu infodumpig in einem Dialog präsentiert und dadurch leider verschenkt wird.

 

Insgesamt stehe ich etwas ratlos vor diesem Buch. Sprachlich hätte der Text von einem sorgfältigen Lektorat meines Erachtens sehr profitiert, er ist an einigen Stellen zu lang und lässt wichtigen Themen an anderen Stellen zu wenig Raum. Zusammengenommen gibt es einen beeindruckenden, wenn auch recht düsteren Weltenbau. Warum es selbst am Beginn keinerlei Demokratie oder Verhandlungen gibt, erschließt sich mir jedoch nicht. Auch dadurch erscheint der Text als Geschichte der Normalisierung (männlicher) Gewalt – was angesichts der Situation der Menschen in einem lebensfeindlichen Umfeld nicht unrealistisch erscheint, mir aber trotzdem auf den Magen schlägt. Immerhin enthält der Text keine Vergewaltigung, was bei diesem Thema als Plus vermerkt werden muss.

Mir persönlich ist der Text zu düster, aber er wirft viele spannende Fragen auf, über die ich auch nach Ende der Lektüre noch einige Zeit nachgedacht habe. Dadurch hat er eine Tiefe, die vielen einschlägigen Texten fehlt. Positiv zu benennen ist auch Makowskis eigene Sprache und die interessanten Charaktere. Ich werde sicher verfolgen, was dieser Autor als nächstes vorlegt.

 

Unterhaltung: 1,5 von 3 Punkten

Sprache/Stil: 1,5 von 3

Spannung: 1,5 von 3

Charaktere/Beziehungen: 1,5 von 3

Originalität: 1,5 von 3

Tiefe der Thematik: 2 von 3

Weltenbau: 2 von 3

macht 11,5 von 21 möglichen Punkten.