Becky Chambers: A Closed and Common Orbit. Hodder & Stoughton / Fischer Tor
berührend und tiefsinnig
Der zweite Band der Wayfarer-Serie ist sehr anders als der erste. Liest sich der erste Band eher langsam und mäandert, so ist dieser zweite Teil stringenter erzählt und folgt von Anfang an einem klaren Plot. Mich hat das Buch von der ersten Seite in seinen Bann gezogen, ein wahrer Pageturner, ohne den ich kaum auf die Toilette gehen konnte.
„A Closed and Common Orbit“ (deutsch: „Zwischen den Sternen“) erzählt mit wenigen Ausnahmen aus zwei Perspektiven in zwei Ebenen. Die eine Ebene folgt Sidra, einer Schiffs-KI, die in einen künstlichen Körper geladen wird, ein Vorgehen, das in der galaktischen Gemeinschaft in höchstem Maße illegal ist. Sidra muss also so tun, als sei sie ein Mensch, sonst wird sie getötet. Sidra lebt bei Pepper, einer menschlichen Tüftlerin, die einen Reparaturshop betreibt und die Sidra hilft, weil sie selbst eine enge Bindung zu einer KI hatte, die eine (genaugenommen die einzige) Elternfigur für sie war. Die zweite Erzählperspektive erzählt Peppers Vergangenheit. Dazwischen gibt es Forenmitschnitte und vereinzelte Mails, wobei es Chambers gelingt, die Forenmitschnitte zu einem humorvollen Fest zu machen, weil die bekannten Forendynamiken so gut eingefangen sind.
Wie auch der erste Wayfarer-Teil besticht dieser durch starke Prota-Nähe und einen bunten und durchdachten Weltenbau. Auch hier gibt es sehr freundliche Menschen und die Welt, in der die Protagonis*innen jetzt leben, ist im Großen und Ganzen freundlich. Trotzdem hat der Text einen sehr düsteren Unterton. Dieser entsteht einerseits, weil Sidras Lebensrecht als KI mit Bewusstsein nicht anerkannt wird, andererseits ist er in der düsteren Vergangenheit von Pepper begründet, die ich schwer hätte aushalten können, wäre nicht von vornherein klar gewesen, dass Pepper überlebt. Als Arbeitsklon in einen strukturierten und grausamen Alltag hineingeboren, kann sie bei einem Unfall fliehen und überlebt nur, weil ein nur noch teilweise funktionierendes Schiff ihr Zuflucht bietet. Peppers Einsamkeit ist eindringlich und eindrücklich beschrieben, ihr von Mangelernährung und Kampf um alltägliche Bedürfnisse geprägter Alltag kommt beim Lesen sehr nahe. Chambers bekommt es hin, hier immer wieder Lichtblicke zu streuen: wie Pepper, die damals noch einen anderen Namen hat, sich ihr Umfeld aneignet, wie sie von einer KI mehr Menschlichkeit erfährt als von irgendeinem Menschen, wie sie, als sie schließlich einem Menschen begegnet, für ihn zur Retterin werden kann, wie, als sie endlich fliehen kann, die Hilfe, die ihr zuteil wird, sie weiter traumatisiert – all das sich Themen rund um Flucht und Armut, die Parallelen in unserer heutigen Welt haben und die Chambers tiefgründig bearbeitet, ohne je moralisierend zu wirken.
Anders als der erste Teil der Tetralogie, hat dieser Teil ganz klar ein Thema, das in die Tiefe behandelt wird: Was bedeutet es, wenn einer Person mit Bewusstsein Rechte verweigert werden? Wie kann eine rechtlose Person ihren Platz in der Gesellschaft finden? Was bedeutet Menschlichkeit? Es geht um (KI-)Ethik und Diskriminierung, um die Frage, was eine Person ausmacht. Dabei sind die parallel erzählten Geschichten von Sidra und Pepper zwei Herangehensweisen an ein ähnliches Thema, denn beide sind in ihrer jeweiligen Welt rechtlose Individuen, deren Sozialisierung kein natürliches Hineinwachsen in ein Bewusstsein des eigenen Wertes zuließen.
Mit Pepper und Sidra hat Chambers zwei queere Protagonist*innen geschaffen, deren Queerness ganz im Sinne von „causal queer“ wenig Rolle spielt. Es ist einfach, wie die beiden sind. Pepper wird in ihrer Vergangenheit als Mädchen bezeichnet, ist aber eigentlich genauso geschlechtslos wie Sidra. Pepper ist klar asexuell, bei Sidra bleibt das offen, erscheint mir aber wahrscheinlich.
Vom Erzählton her ist „A Closed and Common Orbit“ ernster, Chambers' Humor hat weniger Raum als im ersten Teil der Serie. Der Roman besticht mehr durch Eindringlichkeit, wobei die Sprache schlicht und gut lesbar bleibt. Chambers gelingt eine eigene Sprache für jede Protagonistin, so dass eine große Nähe entsteht. Da die einzelnen Erzählstimmen mehr Raum haben als im ersten Buch, ist diese Nähe eindringlicher, es entsteht mehr Spannung. Ich habe in dem Buch so gut wie keine Längen finden können. Wie beim ersten Teil auch gibt es gelegentlich zum Kitsch neigende Stellen, besonders das Ende ist mir stellenweise zu süßlich, aber das hält sich in für mich gut goutierbaren Grenzen. Chambers' gelingt es, die Schwierigkeiten, vor denen ihre Protagonistinnen stehen, überraschend und glaubwürdig zu lösen, selbst die süßlichen Stellen haben ihre Eigenheiten und das macht sie für mich liebenswert. Insgesamt ist „A Closed and Common Orbit“ für mich ein Buch, das ich rundum empfehlen kann und dass ich – man glaubt es kaum – noch mehr genossen habe als Band 1. Wenn irgendjemand ein auf deutsch geschriebenes Buch kennt, das hier mithalten kann: Bitte, weist mich darauf hin!
Unterhaltung: 2,5 von 3 Punkten
Sprache/Stil: 2 von 3
Spannung: 3 von 3
Charaktere/Beziehungen: 3 von 3
Originalität: 2,5 von 3
Tiefe der Thematik: 2,5 von 3
Weltenbau: 3 von 3
macht 18,5 von 21 möglichen Punkten.