Team Nova: Nova 31. p.machinery

erstaunlich konservative SF

Nova 31 Cover

 

Vorwort (Marianne Labisch)

Labisch stößt offenbar neu zum Redaktionsteam der Nova – und bekundet Freude darüber, da es sich um eines der anerkanntesten Magazine der deutschen SF-Szene handele (es ist auf jeden Fall eines, das schon recht lange existiert und einen nennenswerten Leser*innenkreis hat). Hier würden nur gute Geschichten abgedruckt. Sie sei, schreibt Labisch, die einzige Frau im Redaktionsteam, und fordert Frauen auf, Texte zu senden: wenn sie gut seien, würden sie genommen.

Es folgen mehrere Kurzgeschichten, wobei jeder Geschichte ein einordnendes Vorwort vorangestellt ist, das Vergleiche zu anderen Science Fiction Texten zieht und mitunter auch Inhalte vorwegnimmt. Wer die Vorworte geschrieben hat, wird aus meinem e-book nicht klar, ich nehme an, sie sind von Story-Redakteur Michael K. Iwoleit.

Maike Braun: Die Retardierten

Das Vorwort stellt die Geschichte in die Tradition „neuer kritischer Perspektiven“ (gemeint sind die SF-Texte von Autorinnen der 1970er Jahre!), wobei behauptet wird, dass es „beim Thema Frau in Gegenwart und Zukunft“ um „Ausbrechen“ und „Selbstbefreiung“ gehe. Der Verfasser des Vorwortes behauptet, der Begriff Feminismus werde heute als Schmähung verwendet. Iwoleit (?) macht sich in einem Seitenhieb über „Extrempositionen der Genderforschung“ lustig, die von „jungen, privilegierten Sprösslingen der gehobenen Mittelklasse, die selbst noch nie reale Kämpfe auszutragen hatten“ lanciert würden. Dass er damit seine eigene Behauptung widerlegt, indem er die Positionen angeblich so privilegierter Personen öffentlich lächerlich macht, scheint ihm nicht bewusst. Insgesamt finde ich die aufgestellte Behauptung anmaßend: Woher kann er wissen, wer was erfahren und ausgefochten hat? Als traumatherapeutisch arbeitende Person mit Kontakten zur queerfeministischen Szene, könnte ich seine Behauptung leicht widerlegen und zwar in Bezug auf jedes einzelne Wort: Weder entstammen alle oder auch nur der Großteil der Aktivist*innen der Szene der gehobenen Klasse, noch sind alle gleichermaßen privilegiert, noch haben sie keine Kämpfe ausgefochten (wobei ich mich nicht dazu herablassen möchte, auch nur zu fragen, was einen „realen“ Kampf wohl von einem „nicht realen“ unterscheiden möge).

Der Text selbst ist meiner Meinung nach grandios. Wir folgen Eva, Ralfs Frau, die sich einen Mikrochip implantieren lassen hat, der sie zu einer „besseren Frau“ macht: Sie ist geduldiger und einfühlsamer – und offenbar auch nie wirklich wütend. Und sie hat eine eingebaute Stand by-Funktion, die sich aktiviert, wenn ihr langweilig ist. Man ahnt recht schnell, dass mit dem Chip etwas nicht stimmt. Ich will hier das Ende nicht verraten. Braun bekommt es hin, flüssig und spannend zu schreiben und immer gerade so viel zu verraten, dass die Verwirrung nicht zu groß wird. Sie stellt Fragen nach Freiheit und Verantwortung, wirkt dabei aber nie belehrend – und das in einer leicht lesbaren Sprache, der ich gern gefolgt bin.

C. M. Dyrnberg: Fast Forward

Die Hauptperson dieser Geschichte ist ein Mann im Kryoschlaf, auf einem Raumschiff unterwegs in eine ungewisse Zukunft. Immer wieder wird er für 12 Stunden aufgeweckt, denkt über die Frau nach, die ihn verlassen hat, und die altert, während er dies aufgrund des Kryoschlafs nicht tut. Ich mochte den Beginn der Geschichte sehr, den langsamen Sprachfluss, der die Orientierungslosigkeit und Verwirrtheit des Protagonisten gut widerspiegelt, die kühle Atmosphäre des Schiffes, die stimmungsvoll beschrieben wird.

Der Prota wird immer wieder von Helfenden geweckt. Irgendwann wird er von einer Frau geweckt – und hier verliert mich die Geschichte. Achtung, ich werde spoilern: Diese Frau nötigt ihm Sex auf, ohne dass klar ist, ob er das will und warum sie es anbietet. Kurze Zeit später hat die Geschichte eine überraschende Wendung: Der Mann ist gar nicht auf einem Raumschiff und er ist auch nicht im Kryoschlaf. Er hat nur ein Programm gebucht, um seinen Verlustschmerz schneller zu bewältigen. Warum und wie die Bewältigung mithilfe einer Simulation von Kryoschlaf funktionieren soll, bleibt ebenso schleierhaft, wie ob der Sex mit zum gebuchten Programm gehörte oder nicht.

Insgesamt fand ich das Ende der Geschichte unbefriedigend. Ein guter Plottwist ist für mich vorbereitet, nicht etwas, das überraschend dann doch ganz anders ist, ohne dass es dafür vorher irgendeinen Anhaltspunkt gibt. Auch erklärt der Twist die im Text aufgeworfenen Plotfragen nicht. Hier habe ich mich so sehr an der Nase herumgeführt gefühlt, dass ich den Text trotz des wirklich guten Beginns insgesamt nicht mochte. Hinzu kommt, dass das Vorwort die Kurzgeschichte als raumfahrtkritisch einstuft und Lesende so auf die falsche Fährte lockt, denn es geht ja nicht um Raumfahrt, sondern nur um deren Simulation. Einen raumfahrtkritischen Ansatz kann ich daher nicht finden.

J.A. Hagen: Am Scheideweg

Hier verrät das Vorwort schon, dass es sich um eine Zeitreisegeschichte handelt, so dass man früh ahnt, dass der Kapitän im Piloten seinem späteren Ich begegnet. Er soll Bodenschätze finden, findet aber ein Alienschiff. In der rein männlichen Crew gibt es nur eine Frau, die Geliebte des Kapitäns. (Nachtrag: Laut Info des Autors gibt es eine zweite Frau, die ich offenbar übersehen habe.) Aber zu Hause wartet dessen Ehefrau und er lebt natürlich offiziell monogam und meint, sich für eine von beiden entscheiden zu müssen. Daran, was seiner Ehe eigentlich fehlt, verschwendet er keinen Gedanken; die Geschichte legt nahe, dass es um guten Sex geht und die Frauen keine eigene Stimme in der Sache haben. Am Ende geht es auch nur darum, für welche Frau sich der Kapitän entscheidet; die Frage, ob der durch die außerirdische Technik ausgelöste Krieg verhindert wird, löst das zukünftige Ich durch eine Kamikazetat allein.

Die Geschichte ist gut geschrieben, aber inhaltlich zeigt sie ein reaktionäres Geschlechterbild und fügt dem Thema Zeitreisen nichts Neues hinzu, so dass sie mich nicht wirklich begeistern konnte.

Lars Hannig: Ein Shoppingmall-Sonnenuntergang

Auch hier wird wieder ein reaktionäres, geradezu frauenverachtendes Geschlechterbild gezeigt: Ein hoher Manager bringt das Geld für einen dekadenten Lebensstil nach Hause, während seine Frau als Verkäuferin arbeitet. Als sie ihn auf der Geschäftsreise anruft und von einem Problem mit der Haustechnik berichtet, nimmt er sie nicht nur nicht ernst, sondern entwertet sie auch gegenüber einem anderen Mann als technikfremdes Dummchen, was der andere Mann zustimmend goutiert. Als sich später herausstellt, dass sie Recht hatte und der Protagonist sein gesamtes Leben verloren und sie mit in den Abgrund gerissen hat, gibt es keinerlei Bedauern darüber. Chauvinistisch marschiert er einfach weiter voran; an sie und sein bisheriges Leben verschwendet er keinen zweiten Gedanken, sondern genießt einen Sonnenuntergang.

Um die Frauenverachtung perfekt zu machen, gibt es auch eine Szene, in der der Protagonist eine Sexarbeiterin in Anspruch nimmt und diese misshandelt – ohne dass das irgendwelche Konsequenzen hat. Ich muss zugeben, ich bin überrascht darüber, dass ein solcher Text heute noch gedruckt wird und habe eine ganze Weile vergeblich nach einem Hinweis darauf gesucht, dass das ironisch gemeint ist. Wenn es einen solchen Hinweis gibt, ist er zu subtil für mich. Meines Erachtens leidet der Text neben dem schwierigen Inhalt auch darunter, dass der Protagonist sehr klischeehaft und ohne Tiefe gezeichnet ist.

Sprachlich liest sich der Text flüssig, wenn auch sehr generisch und ohne Perlen, allerdings ist eine Rückblende irritierenderweise im Präsens, während der Rest des Textes im Präteritum erzählt ist. Dadurch habe ich lange die Orientierung verloren.

Kleiner Exkurs: Angesichts des Vorworts von Marianne Labisch und des Vorworts zum ersten Text, empfinde ich es fast als Schlag ins Gesicht, dass hier gleich zwei Texte mit misogynen Narrativen hintereinander abgedruckt sind. Mag ja sein, dass das die beste Textauswahl ist, welche deutsche SF zu bieten hat – ich glaube es nicht wirklich. An dieser Stelle fällt mir auf, dass von vier gelesenen Texten vier ein reaktionäres Frauenbild beinhalten, in dem die Frauen nur Diener*innen von Männern sind, wobei immerhin ein Text das kritisch thematisiert – aber auch in diesem ist es der Mann, der die Idee hat, die Frau zu befreien, er also als überlegender Retter und Beschützer auftreten darf.

Karsten Kruschel: Unverbaubarer Blick über die Bucht

Ein hetereosexuelles Paar kauft ein Haus am Meer mit Blick auf einen geheimnisvollen blauen Turm. Diese blauen Türme erscheinen an wenig besiedelten Punkten auf der Erde und wachsen beständig, ohne dass jemand weiß, was es mit ihnen auf sich hat. Der Text erzählt abwechselnd aus drei Perspektiven: da ist einmal das Paar und die Maklerin und dann noch zwei Männer, die mit den Türmen Kontakt haben: der eine soll in Südamerika Stromleitungen reparieren, der andere in Südafrika die Türme mit einem Flugzeug umfliegen und vermessen. Er entscheidet sich stattdessen, Kamikaze hineinfliegen – und landet bei dem anderen Mann. Ihre Perspektive geht dann zusammen weiter.

Ich bin ja bekennender Kruschel-Fan, aber diese Geschichte hat mich nicht überzeugt. Eine irritierende Namensverwechslung am Beginn nimmt vorweg, welche Rolle die beiden Frauen im Text haben: da hat die Ehefrau den Namen der Maklerin und tatsächlich wird die Maklerin die zweite Frau und Mutter der Zwillingssöhne. Und sie bedient ihren Mann und wiegt das Baby. Keiner der Protagonist*innen bekommt Kontur, alle scheinen Abziehbilder mit zugespitzten und trotzdem seltsam vagen Eigenschaften. Die beiden Männer versuchen nach Hause zu kommen, der Ehemann versucht scheinbar gar nichts und die Frau (egal welche, sie scheinen austauschbar) versorgt Kinder und ihn mit Getränken, wobei er immer dicker wird. Am Ende legen sich die Türme um und verbiegen den Horizont – was das Ganze soll, bleibt ebenso rätselhaft wie die Tatsache, dass es die Menschen nicht zu stören scheint. Die im Vorwort angedeuteten Auswirkungen der Türme auf die Menschen kann zumindest ich nicht entdecken.

Der Text ist kruscheltypisch sehr gut geschrieben, mit eindrucksvollen Beschreibungen, einer eigenen Erzählstimme und schönen, sehr eigenwilligen Vergleichen. Mir sind jedoch die Charaktere zu wenig ausgearbeitet und die Story zu dünn, es ist eigentlich eine slice of life-story.

Dirk Alt: Die Chimäre

Der Text beginnt mit dem Besuch zweier Männer in einer Leichenausstellung, in der die beiden Männer deformierte Körper betrachten, die ausgiebig und mit voyeuristisch erscheinendem Blick beschrieben werden. Sehr infodumpig und in einer blumigen, für mich anstrengenden Sprache wird beschrieben, wie die ausgestellten Menschen mit der Fähigkeit, den eigenen Körper nach ihren Vorstellungen zu verändern, an ihren Veränderungen starben. Die Männer betrachten drei Leichen, nur eine davon ist weiblich und war dauerschwanger mit immer mehr Kindern – wieso sollte eine Frau ausgerechnet das wählen, wenn alles möglich ist? Und wenn alles möglich ist, wieso ist dann eine Frau schwanger und nicht ein Mann?

Es folgt eine zweite Perspektive in Kursivschrift: Es ist die Perspektive der Freundin des einen Mannes, Nevin. Auch sie will sich verändern, wobei klischeehafterweise Schönheit ihr Ziel ist. Die geschilderten Veränderungen (eine dritte Brust und dauerhafte sexuelle Verfügbarkeit) wirken eher wie Männerphantasien als wie etwas, was eine Frau wollen würde. Es ist auch deutlich beschrieben, dass sie sich nur am männlichen Blick ausrichtet. Aber umso begehrenswerter sie wird, umso mehr muss sie sich vor übergriffigen Männern retten und so wird sie wehrhaft, bekommt Krallen und Flügel. Die Perspektive der Frau wirkt von Anfang an im psychotischen Sinne verrückt – und sie ist so pathetisch und redundant geschrieben, dass ich sie irgendwann nur noch querlesen konnte.

Die beiden Perspektiven wechseln einander ab. Insgesamt hat der Text deutliche Längen. Die Protas bleiben mir fern, die benannten Hintergründe wirken auf mich übertrieben und holzschnitthaft.

Nevin kann sich nicht von seiner immer verrückter werdenden Frau trennen – und als er es endlich tut, kommt sie und bringt ihn um. Dabei gelingt es dem Autor, sie nicht als aktive Protagonistin handeln zu lassen: Im Gegenteil: Sie ist eine Getriebene, die in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Sicherheit den Tod findet. Die Geschichte endet damit, dass die Leichen von ihr und Nevin in der Leichenausstellung landen, wo sie auch wieder ausführlichst beschrieben werden.

Ich muss sagen, ich habe auch ethisch ein Problem mit diesem Text. Zum einen wird nichtthematisiert, dass hier Leichen ohne ihre Zustimmung ausgestellt werden, zum anderen ist die Art, wie die Leichen beschrieben werden, und die "Aufgeilung" an ihren deformierten Körpern für mich abstoßend und steht in einer unschönen ableistischen und rassistischen Tradition (wobei die beschriebenen Leichen alle als weiß beschrieben werden).

Thomas Grüter: Der Gast

In der Zukunft sind große Teile der Erde unbewohnbar und der interkontinentale Verkehr wird aufgrund von Stürmen durch U-Boote bedient. Diese Geschichte folgt dem Kapitän eines solchen U-Bootes, der geheime Fracht transportieren soll. Dann soll er noch einen unerwarteten Gast mitnehmen.

Der Text ist gut und flüssig geschrieben, inhaltlich handelt es sich aber um eine Aneinanderreihung von Klischees, wie ich sie schon oft gelesen habe: Südamerikanische haben Präsidenten mit der Mafia zu tun (um welches Land es geht, bleibt vage, weil die benannten Länder wahrscheinlich gelogen sind), es gibt eine Bombe, die entschärft werden muss und da ist jemand vom Geheimdienst. Ich fand das nicht wirklich spannend, weil alle Bestandteile so bekannt waren, inklusive der „verschwiegenen Bucht“ in der der rätselhafte Gast abgesetzt wird und wo die einzige im Text vorkommende Frau samt Kind auf den Mafiaboss wartet. Natürlich ist so ein U-Boot auch in 50 Jahren eine reine Männerwelt, auch wenn U-Boote quasi Linienbusse sind. Da sind wir heute in Berlin schon weiter.

Frank Neugebauer: Biofilm 1983

Diese Geschichte wird als nicht wissenschaftlich fundierte Art von Science Fiction eingeführt, eine „wilde Montage“ verschiedener Genreideen und Einfälle, was dem Genre Slipstream zuzuordnen sei. Davon habe ich noch nie gehört und ich kann schon vorweg nehmen, dass ich damit nichts anfangen konnte. Die Geschichte wird abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt, die des Königs Relum und die von Simak. Außerdem spielt ein Freund von Simak eine Rolle. Relum ist ein Mutant und kämpft gegen Menschen, Simak ist ein Mann und geht ins Kino und sieht dort Relum beim Vernichten zu, dazwischen verrichtet er sinnlose und ihm zufällig zugewiesene Arbeiten. Zwischendurch wird deutlich, dass beide Teil einer Diktatur sind, die wie eine Parodie auf die DDR wirkt, dieser Bezug wird auch explizit hergestellt.

Auf mich wirkt die Geschichte wie eine sinnlose Aneinanderreihung von Versatzstücken. Alles bleibt rätselhaft und scheinbar sinnlos: der Weltenbau, die Protagonisten, die Handlung – wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob man hier von Handlung sprechen kann. Es gibt insgesamt drei handelnde Personen, alles Männer. An einer Stelle werden „Frauen, Männer und Intersexuelle“ benannt, Mutanten, auf die der König schaut, reine Arbeitssklaven, die ausgebeutet und schlecht behandelt werden. Für mich hat die Aufzählung der Geschlechter als Mutanten an dieser Stelle ein Geschmäckle, zumal ansonsten fast nur Männer in der Geschichte vorkommen. An einer einzigen anderen Stelle treten Frauen auf: als Prostituierte, die Simak bedienen. Ansonsten ist es eine rein männliche Welt, worauf auch explizit hingewiesen wird, ohne dass das Fehlen von Frauen erklärt wird. Die Geschichte ist rein stilistisch gut geschrieben, ich empfand sie aber als zeitraubenden Unfug, an vielen Stellen mit Slapstick-Charakter. Ich denke, man muss ein Fan dieser Stilrichtung sein, um das genießen zu können.

Iván Molina: Deutsche Einsamkeit

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Spanischen, Molina stammt aus Costa Rica. Es ist der erste Text in dieser Nova-Ausgabe, der aus der Sicht einer Frau geschrieben ist, einer Expertin für KI-Entwicklung. Der Text erzählt für meinen Geschmack zu ausführlich von der Unterhaltung der Protagonistin mit mehreren Abgeordneten der Regierung. Es geht um die sogenannten Empathiemodule von „Anorganischen“ – offenbar humanoide und intelligente künstliche Wesen, deren Programmierung bislang einem Paradigma unterliegt, das es ihnen unmöglich macht, bestimmte Menschen oder Menschengruppen zu bevorzugen. Es gibt, so wird berichtet, Bemühungen, dies zu ändern, „die Deutschen“ haben den Wunsch nach „arischen Anorganischen“.

Der Text macht ein sehr interessantes Thema auf, ich fand es aber spröde und unpersönlich präsentiert. Keine einzige handelnde Person bekommt einen Namen und niemand wird individuell spürbar. Ebenso wie der Weltenbau bleibt auch der gesamte Zweck des erzählten Gesprächs vage. Die Geschichte bricht an einer beliebig wirkenden Stelle ab, ohne einen wirklichen Spannungsbogen aufzumachen, wobei der letzte Satz die meines Erachtens für den Text zentrale Überlegung beinhaltet, in der die Ich-Erzählerin als Person spürbar wird. Ich zitiere ihn hier nicht, da es die eine Stelle ist, an der der Text eine Art Pointe hat – die ich nicht spoilern möchte. Für mich war das die Stelle, an der mich der Text tief berührt hat. Dass es die einzige bleibt, ist vielleicht auch der anderen Erzähltradition des Autors im Vergleich zu meiner deutschen Sozialisation zuzuschreiben.

Michael K. Iwoleit: Briefe an eine imaginäre Frau

Die knapp einhundert Seiten lange Ich-Erzählung mit ihren langen, ausschweifenden Sätzen war in ihrer Sperrigkeit für mich nicht immer leicht zu lesen. In literarischer Sprache mit sehr eigenwilligen und eindrücklichen Bildern werde ich in eine Welt geworfen, in der nicht klar ist, was real und was virtuell ist. Auch über den Erzähler wird zunächst nichts bekannt: kein Name, kein Alter, keine Verortung. Er bezeichnet sich recht früh als Mann und befindet sich an einem (fiktiven?) Ort, an dem offenbar die Reichen und Schönen Urlaub machen und den er, so scheint es, mitgestaltet hat. Dabei wird er in seiner Art zu denken für mich schnell sehr unsympathisch, etwas, was mich zusammen mit den oft unnötig komplizierten Sätzen beim ersten Lesen aus dem Text geworfen hatte. Ich brauchte Muße, um es ein zweites Mal zu versuchen und dem Ich-Erzähler folgen zu wollen, der Frauen als Mädchen bezeichnet und ständig bewertend auf weiblich gelesene Körper schaut, während er Männer völlig ausblendet: „Es war mir zu einer hartnäckigen Angewohnheit geworden, unaufhörlich die körperlichen Reize von Frauen zu begutachten …“. Irgendwie scheint er auf Dienstreise, aber irgendwie auch nicht.

Iwoleits Hauptfigur ist einerseits eine geworfene, wie Treibgut, andererseits eine getriebene: Sie erblickt eine 40jährige Frau, die in ihm Sehnsüchte weckt, weil sie unperfekt wirkt – und er folgt dieser Sehnsucht, wobei er selbst weiß, dass die Art, wie Personen in der virtuell überlagerten Welt aussehen, seinen eigenen Sehnsüchten und gespeicherten Wünschen entspringt. Und an der Stelle wird es auf eine perfide Art interessant: Der Ich-Erzähler scheint sich zumindest vage seines eigenen utilitaristischen und bemächtigenden Blicks auf Frauen bewusst und er fragt sich, ob in der Welt, die er mit erschaffen hat, eigentlich noch eine wirkliche Begegnung möglich sei. Der Text erzählt von seiner Beziehungslosigkeit und seinem Suchen, bleibt aber dabei für meinen Geschmack etwas zu sehr im Schwimmen, was vor allem daran liegt, dass innere Prozesse und vor allem Bewertungen den Großteil des Textes ausmachen. Manche der komplizierten Sätze erschlossen sich mir trotz mehrfachem Lesen nicht, so dass ich es irgendwann aufgegeben habe, mir den Text Wort für Wort zu erlesen, und zu einer eher assoziativen Lesart übergegangen bin. Die schwer lesbaren Sätze wurden dann sehr bald weniger, um in der zweiten Hälfte des Textes wieder häuriger zu werden, dafür erfahren wir mehr und mehr über die Welt: die Art, wie das Virtuelle die Realität überlagert, dass der Protagonist nicht nur männlich ist, sondern auch alt (80!) und dass er vor dem Ende seines biologischen Lebens steht – er will sich in eine virtuelle Welt hochladen lassen.

Hier nun macht der Text einen Sprung und wird zu einer chronologischen biografischen Erzählung, die distanziert und mit einem gewissen Zynismus vorgetragen wird. Wir erfahren von einer fast klischeehaft anmutenden Nerd-Karriere, von einem Sohn, der nicht gesehen wird und an den Erwartungen seines Vaters scheitert. Als Kind mit Körperbehinderung erlebt er sich als immer wieder ausgeschlossen, unfähig, in Kontakt zu kommen. Allerdings spielt seine eigene Körperlichkeit fast nie eine Rolle. Hier fließt der Text wesentlich leichter, die Einsamkeit und Beziehungslosigkeit des Protas, der nur über das Netz Kontakt aufnehmen kann und sich, um Kontrolle ringend, zum Meister der Manipulation und Programmierung entwickelt, wird gut nachvollziehbar. Gleichzeitig wahrt der Text immer eine Distanz – der Prota kann nicht einmal zu sich selbst wirklich Kontakt aufnehmen. Seine Geschichte wird verwoben mit der Geschichte der Computerentwicklung erzählt und bleibt so seltsam abstrakt und fast körperlos. Das rührte mich einerseits an und stieß mich andererseits in seiner Überheblichkeit und seinem tiefen Nihilismus zutiefst ab. Auffällig ist das Fehlen weiblicher Figuren in dieser Biografie: Es gibt den Prota, Computerwelten und seinen Vater – und sonst nichts. Die Mutter, von der wir erfahren, dass sie als Hausfrau ihr eigenes Leben völlig in den Dienst des damals kleinen Prota gestellt hat, ist eine reine Statistin, die nie wieder erwähnt wird, Freundschaften existieren nicht, werden zwar manchmal am Rande erwähnt, bekommen aber nie auch nur einen Namen.

Einen Namen bekommt dann die erste und einzige Liebschaft: Susan verliebt sich in ihn und bemüht sich um ihn – und geht schließlich den Weg über die virtuelle Welt, um ihm wirklich nahe zu kommen. Was als Kontaktversuch gemeint war, wird für ihn zu einem Übergriff, die Andeutung einer Nähe, die er unaushaltbar findet. Das ist die Stelle, die mich im Text am meisten berührt hat, weil ich zu spüren meinte, wie hier eine tiefe Sehnsucht in ihm belebt wird, die er nicht spüren darf. In Folge werden Frauen mehr und mehr zu etwas, was er benutzt, ausnutzt, sich gefügig macht – ein Teil des Textes, der eindringlich beschrieben wird, mich aber in hohem Maße angeekelt hat. Der Protagonist sagt selbst, dass er die Frauen nutzt, weil sie billiger sind als Callgirls – dabei versteckt er sich hinter Behauptungen von Trieben, um seine wahre Sehnsucht nach Nähe zu verbergen, die er nicht zulassen kann. Für mich war es hier wieder eine Herausforderung, den Text zu lesen, die inhärente Entwertung aller anderen Menschen und besonders alles Weiblichen (hier werden explizit auch schwule Männer benannt) ist schwer aushaltbar. Auch hat der Text hier deutliche Längen, ich frage mich erstmals, wieso ich dem eigentlich folge, wo ich doch weiß, wie es ausgeht, weil es am Anfang gesagt worden ist: Der Prota wird sich irgendwann seine Sehnsucht eingestehen, sie aber an eine virtuelle Frau hängen, die, weil nicht real, ihm nicht zu nahe kommen kann.

Ersteinmal muss ich dem Protagonisten in etwas folgen, was er selbst als Versuch, die absolute Kontrolle über Frauen zu erlangen, beschreibt. Der Text mäandert zwischen Intimität und Distanz und löst dabei gekonnt aversive Gefühle in mir aus: Wie beschrieben wird, wie Frauen wieder und wieder und wieder und wieder zu sexuellen Kontakten gebracht werden, die sie eigentlich nicht wollen, und wie der Protagonist dabei immer wieder nur seine eigene Leere und Enttäuschung im Blick hat, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was er mit seinem Gegenüber tut – das ist abstoßend. Die Faszination, die es auslöst, erinnert mich an meine jugendliche Lektüre von „Das Schweigen der Lämmer“ vor gefühlt einhundert Jahren. Daher war ich froh, dass der Protagonist irgendwann beschließt, dem realen Sex zu entsagen, weil er ihn eigentlich nicht aushalten kann – und wunderte mich darüber, dass er offenbar recht lange brauchte, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen (und sie auch nicht durchhält). Fortan begutachtet er weiblich gelesene Körper weiter in virtuellen Welten – und hat natürlich auch dort nur Verachtung für sie übrig. Die hier initiierten sexuellen Kontakte werden nicht näher beschrieben – zum Glück. Natürlich kommt es auch hier zur Ernüchterung, wobei der Protagonist diese stes nicht nur als individuelle Ernüchterung beschreibt, sondern als allgemeines Scheitern einer gewissen Szene – was mir als ausgeprägter Größenwahn erscheint.

Irgendwann kommt er an einen Punkt, an dem er die perfekte Frau programmieren will. Der Protagonist bezieht sich auf einen (fiktiven?) Text, in dem ein Machoheld überirdisch schöne Frauen trifft, die ein anderer Mann erschaffen hat: „Sein Gehirn raste vor Sehnsucht, diese ungreifbare, unwiderstehliche Anmut zu besitzen, die ihm doch niemals gehören, die kein Sinn in ihm jemals erreichen konnte.“ Der Protagonist setzt sich in den Kopf, eine solche Frau zu erschaffen, was er als nun alter Mann, der das erzählt, in Frage stellt. Bemerkenswert ist, dass er weder die Suche nach überirdischer Schönheit in Frage stellt, noch den Wunsch, eine Frau besitzen (!) zu wollen, sondern er fragt sich „was meiner Ansicht nach passieren würde, wenn ich tatsächlich Erfolg hatte und Sehnsüchte in mir weckte, die niemals erfüllt werden konnten“. Es geht also immer noch nur und ausschließlich um ihn, um seine Wünsche, seine Sehnsüchte – und der Gedanke des jetzt 80jährigen endet wieder in der Projektion dieser Sehnsüchte auf eine Frau, die nicht mehr bleibt als eine an ihrer reinen virtuellen Körperlichkeit festgemachte Projektionsfläche: „Der einzige Mensch, der mir hätte den Kopf zurechtrücken können, warst du.“

Nun wird ausführlich beschrieben, wie der Protagonist versucht, einen perfekten weiblichen Körper zu schaffen, seitenlang bin ich mit einem sezierenden männlichen Blick konfrontiert, der einzelne Körper- und Geschlechtsteile erschafft, begutachtet und auswählt. Dabei geschieht das in einer leicht fließenden, überlegen wirkenden lyrischen Sprache, die in mir mehr und mehr Gefühle von Widerlichkeit und Ekel auslöst, während der Protagonist den perfekten Avatar „züchtet“ (er verwendet wirklich dieses Wort und bezieht sich auch explizit auf Eugenik) – der dann aber so perfekt ist, dass er in seiner Unnahbarkeit einschüchtert. Der Protagonist wird hier immer mehr zum Besessenen.

Leider ist das die Stelle, an der mich der Text mehr und mehr verliert. Die erneute Schilderung davon, wie er nun als Universitätsdozent eine 35 Jahre jüngere Frau zu sexuellen Handlungen an sich bringt, widert mich nur noch an, die Ansammlung entwertender Äußerungen über „miesepetrige Kassandras“, „sturzlangweilige Wohnviertel“ und „ergraute, aufgedunsene Ex-Nerds (…) – darunter zwei Frauen mit der Grazie von Crashtest-Dummys“ langweilt mich aufgrund ihrer Häufung, auch wenn die Entwertungen kreativ sind. Dazu kommen entwertende Äußerungen über Isländer und die Gene anderer Personen – der hochnäsige, entwertende Blick des Protagonisten spitzt sich so sehr zu, dass ich ihm nicht mehr folgen mag. Inhaltlich passiert nichts Neues, meines Erachtens hätte der Text an dieser Stelle von einer Straffung sehr profitiert, zumal für mich sehr durchschaubar ist, wie der Prota, mit seinem eigenen Altern und seiner Einsamkeit konfrontiert, die Außenwelt immer mehr abwerten muss. Wie vorher auch sind Frauen das vorrangige Ziel seiner Entwertungen.

Die folgende, in unnötig langen und lyrischen Sätzen geschilderte Präsentation seiner ach so grandiosen genialen Idee konnte mich ebensowenig interessieren wie die langweilige Rede des Protagonisten, in der altbekannte Plattitüden zu virtuellen Welten wiederholt werden. Hier wird nun in technischer Breite und überbordender Ausführlichkeit erklärt, was zu Textbeginn nicht verstanden werden konnte: Wie das virtuelle Überspielen von realen Welten konkret funktioniert und dafür sorgt, dass der Protagonist in seiner Blase leben kann. Dabei ist der gesamte Text vom Zynismus und der maßlosen Enttäuschung des Protagonisten durchdrungen und rief in mir eine ähnliche Langeweile hervor, wie sie der Protagonist in seinem Leben empfand. Wieder gibt es sexuell aufgeladene Kontakte, wieder mit einer sehr viel jüngeren Frau, einer Angestellten, wobei ich wie schon vorher nicht ansatzweise verstehe, was der Prota irgendeiner Frau zu bieten haben könnte. Leider wiederholt sich der Text hier immer wieder in denselben Schleifen, die für meinen Geschmack zu ausführlich dargelegt werden: Der Prota versucht etwas Virtuelles, ist darin genial und scheffelt haufenweise Geld, es langweilt ihn, er geht wieder in die reale Welt und wird dort von reihenweise schönen und sehr viel jüngeren Frauen umschwärmt. Das ganze unterbrochen von ausführlichen und immer wieder ähnlichen Schilderungen exquisiter Inneneinrichtungen und Landschaften und des immensen Reichtums, den der Prota zur Verfügung hat. Aufgrund seines zunehmenden Zynismus und Alters erscheint mir dieser Plot mehr und mehr unglaubwürdig, zumal es scheinbar keinerlei gleichaltrige Beziehungsangebote oder welche von Nichtfrauen zu geben scheint. Dabei entwickelt der Text für mich einen suizidal erscheinenden Sog – und es erstaunte mich, dass er bei diesem Punkt nicht einkommt.

Der Text kommt schließlich bei der virtuellen Frau an – und der absurden Idee „für eine Frau, die ich vermutlich nie wiedersehen würde, die vielleicht nicht existierte, ein Haus zu finden oder zu bauen“. Ach ja, ihr hört mich tief seufzen. Der Mann baut der Frau ein Haus. Wie einfallsreich! Dabei spielen ihre Vorlieben und Wünsche nicht die geringste Rolle – ist sie doch nur eine Projektionsfläche der Frau, nach der sich der Prota sehnt und die offenbar ein Haus gebaut haben will. Der einzigen realen Frau, die sich währenddessen für ihn interessiert, seiner Assistentin Karen, kann er nicht einmal ein Minimum an Interesse entgegenbringen. Dass sie schließlich in einer unglücklichen Ehe landet, weil nur er der richtige Mann für sie gewesen wäre, ist ein narzisstischer i-Punkt, der das Grundthema des Textes gut verdeutlicht.

Es folgt ein ausführlich geschildertes Gespräch mit seiner Tochter Cara, einer natürlich überirdisch schönen künstlichen Existenz, „Angehörige einer intellektuell überlegenen und emotional eingeschränkten Nachfolgespezies der Menschheit“ und der einzigen Person, der er von der imaginierten Frau erzählen kann. Cara, die nur zu einem kleinen Bestandteil sein Erbgut trägt, offenbart er, dass er in seiner Vorstellung mit der imaginierten Frau zusammenlebt (sie hat in dem Haus ein eigenes Zimmer, eigene Kleidung usw.) und Cara verurteilt diesen Wahn nicht. Sie kommt aber zu der für mich absurden Idee, ihm zu raten, nach der Frau zu suchen. Natürlich tut er das, ein neuer Zyklus fängt an – und hier wird mir erstmals klar, dass all diese langweiligen und immer wieder gleichen Schilderungen wirklich an eine Person gerichtet sind – und dass ich diese Person nicht bin, weil die Schilderungen mich langweilen. Die imaginierte Frau muss also eine sein, die sich wirklich für jede noch so nebensächlichste Lebensäußerung des Protagonisten interessiert – kein Wunder, dass sie in der Realität nicht zu finden ist. Zum Abschluss gibt es ein letztes Gespräch mit Cara, in dem diese sich über die Selbstsucht eines Mannes beschwert, mit dem sie eine Beziehung hatte – allerdings ohne die Selbstsucht des Protas zu benennen. Das Ende der Geschichte bleibt offen, wobei an der Unfähigkeit des Protas ein Versagen der Menschheit als solche festgemacht wird. Ob er sich wirklich hochladen lassen wird (was man wahlweise als suizidalen Akt oder als Erlangung der Unsterblichkeit lesen könnte) bleibt offen.

Der Text wird in Rezensionen als Novelle bezeichnet, ist aber meines Erachtens keine – zumindest dann nicht, wenn man den deutschen Begriff Novelle und nicht das Englische Novela heranzieht. Er hat keinen geradlinigen Handlungsverlauf und ist auch nicht streng chronologisch erzählt, eher gibt es eine Rahmenhandlung und dann eben den titelgebenden Brief an eine imaginäre Frau. Mit diesem Aufbau gleicht der Text in seiner Struktur eher einem Roman, dafür hat er aber nicht genug Seiten.

Die zweite Frage ist die des Genres: Hauptinhalt des Textes ist meines Erachtens der Narzissmus des Protagonisten, der letztlich danach sucht, sich selbst lieben zu können und daran scheitert. Also ein ganz und gar hiesiges Thema. Der Science-Fiction-Anteil liegt einerseits in der ausführlichen Beschreibung virtueller Welten, wobei diese nicht so verschieden sind von dem, was jetzt schon existiert: Iwoleit stellt sich hier ausgiebig vor, was es heißen würde, wenn sein Protagonist seine Filterblase wirklich bewohnen könnte. Andererseits wird eine neue Spezies, die Poolmenschen, imaginiert. Das ist für mich neu, allerdings wird es so wenig ausgeführt und Cara unterscheidet sich so wenig von menschlichen Frauen (bis hin zu dem Fakt, dass sie für den Prota bereitwillig putzt), dass ich mich frage, was eigentlich diese Poolmenschen ausmacht.

Insgesamt liegt die Stärke des Textes meines Erachtens in der Intimität und sehr gelungenen Eindringlichkeit der Sprache und der Darstellung einer seltsamen Nähe, die niemals wirklich nah kommen kann. Das erinnert mich auch in seiner Selbstbezogenheit der Protagonisten an Texte von Philip Roth. Allerdings kann mich der Text vor alleim aufgrund der Längen im zweiten Teil in seiner Gesamtheit wenig überzeugen.

Unterhaltung: 1,5 von 3 Punkten

Sprache/Stil: 2 von 3

Spannung: 0,5 von 3

Charaktere/Beziehungen: 1 von 3

Originalität: 1,5 von 3

Tiefe der Thematik: 2 von 3

Weltenbau: 1,5 von 3

Macht 10 von 21 möglichen Punkten.

 

Wolfgang Asholt: Vom Terrorismus zum Wandel durch Annäherung. Houellebecqs Unterwerfung

Es handelt sich um einen literaturwissenschaftlichen Artikel über den mir unbekannten französischen Autoren Houellebecq. Es wird davon ausgegangen, dass man ihn kennt. „Elementarteilchen“ als Werk sagt mir zwar etwas, es wird auch grob etwas zum Inhalt gesagt, aber es ist schwer, das Geschriebene ohne Kenntnis des Textes nachzuvollziehen.

Houellebecq habe sich im Laufe seines Schreibens „von deutlich rassistischen, islamfeindlichen und sexistischen Positionen“ zu „einer gewissen Akzeptanz des Anderen“ gewandelt, wobei Asholt kritisiert, dass es in Frankreich nicht PC sei, sich literaturwissenschaftlich mit Houellebecq auseinanderzusetzen. Was ich gut finde ist, dass Asholt in seinem Artikel deutlich macht, dass Science Fiction politisch ist, wobei er die Frage stellt, ob Houellebecq nur provoziert, weil sich das gut verkauft. Viele seiner Bücher seien Bestseller gewesen. Houellebecq instrumentalisiert „kulturell-religiös-rassische Differenzen“ (sic!) in seinen Romanen durchgehend, wie Asholt schreibt, es handelt sich also um einen offen rassistischen Autoren. Asholt belegt dies sehr eindrücklich mit Zitaten, wobei er den Rassismus fortschreibt, indem er rassistische Begriffe (N-wort u.a.) und Behauptungen wiederholt benutzt und ausführlich Passagen zitiert, ohne sich vom wissenschaftlich überholten Konzept race zu distanzieren. Asholts Position zum Zitierten wird dabei nicht klar, er weist nur wiederholt darauf hin, dass sich Houellebecqs Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland besser verkaufe als in Frankreich. Ebenfalls deutlich wird, dass Houellebecqs Gesinnungswandel angezweifelt werden kann.

Manuel Mackasare: Die Natur übertreffen. Ernst Jüngers Gläserne Bienen (1957) aus futurologischer Perspektive

Mackasare beschäftigt sich in seinem Artikel zunächst mit der Schwierigkeit, qualitative Prognosen zu treffen, also Voraussagen, die sich nicht nur mit steigenden oder sinkenden Zahlenwerten beschäftigen, sondern mit Veränderungen in der Qualität untersuchter Phöänomene. Mackasare bezieht sich dabei ausschließlich auf Beispiele von männlichen Autoren. Er stellt dar, dass in der Wissenschaft derartige Prognosen einen schweren Stand haben, dass sie sich literarisch aber mitunter gut verkaufen.

Dann widmet sich Mackasare Ernst Jünger, er liefert eine kurze Zusammenfassung von „Gläserne Bienen“. In dem Text geht es um Roboter und darum, wie ein Industrieller mehr Macht haben kann als die Regierung. Im Zentrum steht das Bewerbungsgespräch eines gescheiterten Mannes und ehemaligen hochrangigen Militärs und die Frage, wie viele seiner Werte dieser verraten muss, um eine Arbeit bei dem Industriellen zu bekommen, der die Roboter baut.

Dann geht es um Jüngers Biografie, um seine Einordnung als rechter Autor mit Artikeln im Frühwerk, die sich, so Mackasare, „als autoritär, nationalistisch und totalitär“ einordnen lassen. Der 1896 geborene Jünger habe sich während des ersten und zweiten Weltkrieges und auch dazwischen nicht eindeutig positioniert, er habe sowohl mit Hitler selbst als auch mit damaligen Linken verkehrt. Folgerichtigerweise (so meine persönliche Meinung) ist es nicht ganz leicht zu entscheiden, wie mit Jüngers Werk heute umgegangen werden soll. Mackasare schreibt dazu: „Als 'umstrittener Autor' gilt Jünger bis heute unter solchen, die moralisierende Urteile über ein Individuum mit Literaturrezeption verwechseln. In neurechten Kreisen dient er als klar vom Nationalsozialismus getrenntes Leitbild…“. Mackasare kritisiert, dass Jüngers Spätwerk selten beachtet werde und begründet dies damit, dass diese sich „simplen politischen Kategorien“ entzögen. In seiner folgenden Analyse des bereits benannten Spätwerks von Ernst Jünger lässt Mackasare diese politischen Kategorien außen vor, er beschäftigt sich stattdessen damit, dass technische Neuerungen in der Vergangenheit durch religiöse und höfische Etikette an Grenzen stießen, die heute nicht mehr vorhanden seien und postuliert daher, dass eine Entwicklung, wie sie Jünger vorweggenommen habe, möglich sei. Für die Zukunftsforschung sei es daher gut, literarische Zukünfte zu untersuchen und ernst zu nehmen.

Ich gebe zu, ich habe meine Schwierigkeiten mit den verquast wirkenden Äußerungen dieses Essays – und vor allem mit den politischen Implikationen, die Mackasare sich anscheinend nicht traut, offen zu formulieren. Wünscht er sich eine Rehabilitierung von Jünger, da er meint, auch Autoren aus dem rechten Spektrum hätten eine weitreichende Rezeption verdient? Für mich liest sich das so und es entspricht ganz und gar nicht meinem Standpunkt.

Die Nova 31 endet mit den Vitae der abgedruckten Autor*innen und Illustrator*innen (u.a. zwei Frauen), bei Dirk Alt wird seine Tätigkeit als Redakteur der Belletristikbeilage der offen rechten Zeitschrift Sezession ebenso benannt wie seine Mitarbeit in der Redaktion der Nova von 2017 bis 2021. Am Ende steht die Nachlieferung der Vita von Helmut Wenske, die offenbar in der letzten Nova fehlte.

Meine Gedanken zu dieser Nova-Ausgabe

Den hier versammelten Geschichten kann ich gutes schriftstellerisches Handwerk bescheinigen: Alle Texte lasen sich für mich gut, viele haben eine eigene Erzählsprache, phrasenarm und mit vielen guten Formulierungen. Stilistisch erscheinen sie mir alle ausgereift.

Es sind die Inhalte, mit denen ich Schwierigkeiten habe: Ein zu großer Anteil der Texte (9 von 10) zeigen eine deutlich reaktionäre Ausrichtung in Bezug auf Geschlechterbilder, wobei Frauen als verfügbar, Männern unterlegen und intellektuell weniger fähig dargestellt werden und andere Geschlechter nicht vorkommen. Einer der Texte (der einzige von einer Frau verfasste) thematisiert das, die anderen nicht. Natürlich stellt sich die Frage, warum in dieser Ausgabe, die mit dem Bezug auf Feminismus und einem Aufruf an Frauen, Texte einzureichen, beginnt, neun von zehn enthaltenen Texten zumindest dem Namen nach von männlichen Autoren stammen.

Vielleicht wäre mir das nicht so sauer aufgestoßen, wenn es nicht diese Text-Auswahl gegeben hätte. Ein einzelner Text mit klischeehaften Rollenbildern in einer Vielfalt von Texten mit verschiedenen Repräsentationen von Frauen kann ich als Zufall oder als „war den Herausgebenden nicht so wichtig“ abtun. Die Nova 31 ist jedoch für mich die erste Sammlung aktueller Science-Fiction-Texte, die eine derartige Häufung von Mysogenie zeigt, dass ich nicht von einem Versehen ausgehen kann. Im Gegenteil: es wirkt auf mich wie ein Konzept. Der einzige nicht misogyne Text dieser Sammlung beschäftigt sich stattdessen mit „race“, wobei es nicht der einzige Text in dieser Sammlung ist, der rassistische Klischees bedient.

Dass aktuelle progressive Autor*innen keine Texte an die Nova einsenden, wundert mich vor dem Hintergrund dieser Textsammlung nicht. Ich habe auf Anraten einer Schreibkollegin einmal versucht, einen Text einzureichen, allerdings kam es aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen mir und einem Redakteur nicht zu einer Prüfung des Textes, da ich diesen aufgrund der für mich sehr unangenehmen Kommunikation zurückzog. Inzwischen bin ich sehr froh darüber, denn in so einem Umfeld möchte ich nicht gedruckt werden. Dass es generell eine ausreichend gute Auswahl an Texten nicht misogynen und/oder nicht-rassistischen Inhalts gibt, belegen zahlreiche andere Veröffentlichungen derartiger Texte.

Aber zurück zur Nova und den Auswahlfragen: Zu den Texten kommen zwei Essays, die sich mit Autoren aus dem rechten Spektrum beschäftigen und dies mit Argumenten begründen, die mich sehr an „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ als rechtspopulistisch bezeichneter Strömungen erinnern. Außerdem gibt es den merkwürdigen „Zufall“, dass sich auch diese Autoren ausschließlich auf Texte beziehen, die von Männern geschrieben wurden.

Obwohl sich die zuständigen Redakteure auch unlängst im Science-Fiction-Forum wieder so geäußert haben, dass Politik keine Rolle spiele, ist diese Nova-Ausgabe sehr politisch: Sie übt in einem Vorwort Kritik am Queerfeminismus (und stellt sich somit in eine Reihe mit transfeindlichen Akteur*innen) und sie entscheidet sich trotz bekannter Kritik daran wieder dafür, einen Text von Dirk Alt unkommentiert abzudrucken, ohne Essays und Texten mit gegensätzlichen Meinungen einen Raum zu bieten. Außerdem entschied sich die Redaktion ganz offensichtlich dagegen, den in den Texten kolportierten Sexismus und Rassismus in den Vorworten wenigstens zu benennen und sich davon zu distanzieren. Insgesamt ergibt sich für mich eine sehr deutliche politische Aussage, die dazu führt, dass ich die Nova künftig nicht mehr lesen oder rezensieren werde – zumindest so lange nicht, bis mir eine deutliche Änderung des nach außen sichtbaren Konzepts zugetragen wird.