Christoph Grimm (Hg.). Alien Contagium: Erstkontakt-Geschichten. Eridanus Verlag

Viele verschiedene Erstkontakte

Alien Contagium

 

 

 

Diese Anthologie entstand nach einer Ausschreibung zum Thema Erstkontakt. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, dass angesichts der Unzahl an Planeten und Sternen die Existenz außerirdischen Lebens wahrscheinlich sei – dass aber aufgrund der großen Distanzen eine Begegnung mit Außerirdischen enorm unwahrscheinlich ist. Die Texte schildern diese sehr unwahrscheinlichen Begegnungen. Ich werde im Folgenden nur die Geschichten besprechen, die mir gefallen haben.

 

 

Maximilian Wust: Objekt Eins

In lakonischer Sprache wird die Geschichte eines Flugobjekts erzählt, das Fragen aufwirft, aber keine beantwortet und dann zerstört wird. Der Text hat wenig Handlung, er erzählt vor allem von Ratlosigkeit, dies aber meines Erachtens gekonnt. Der Text hat eine nette Pointe am Schluss.

Frank Lauenroth: Der Digger und der Lukudur

Ich liebe den ersten Satz dieses Textes: „Zach war leicht übergewichtig und schwer gelangweilt“. Dieser Sprachwitz zieht sich vor allem durch den Anfang des Textes, das habe ich wirklich genossen. Inhaltlich ergab der Text für mich nur zum Teil Sinn. Er schildert den Erstkontakt zwischen einer Spezies, die sich Crelate nennt, und einer anderen, die Distributianer genannt wird. Zwei Distributianer sitzen im Knast und ein Crelate taucht auf; sie unterhalten sich, wobei niemand so recht zu wissen scheint, worüber. Es entsteht eine schräge Komik, wie man sie aus Unterhaltungen kennt, bei denen das Gefühl zurückbleibt, aneinander vorbeizureden. Das habe ich einerseits gern gelesen, andererseits hätte ich doch gern etwas mehr verstanden, vor allem vom Weltenbau.

Erin Lenaris: Der Stein der Weisen

Eine Frau betreibt eine Bar mit Science-Fiction-Motiven, das „Star-Deck“. Und sie hat im Laufe der Zeit zwei Beziehungen zu Männern, die behaupten, eine Erstbegegnung gehabt zu haben und dann verschwinden. Ich mochte die geschilderte Atmosphäre der abgehängten Region, das Heruntergekommene und auch die gelungen aufgebaute Spannung. Leider hat der Text deutliche Längen und das Ende ist enttäuschend, denn es erklärt nichts.

Helen Obermeier: Der blassblaue Punkt

Zwei junge Menschen reisen durch das All, um die Quelle außerirdischer Signale zu finden. Sie brauchen Hilfe von Aliens, denn die Menschen können sich nicht mehr lange selbst erhalten. Die Stärke dieses Textes liegt in der assoziativen, traumwandlerischen Sprache, in der es viel Schönheit gibt. Auch der Inhalt sprach mich an: Es geht um Freundschaft, Liebe und Hoffnung. Ein sehr berührender Text, der zu meinen beiden Favoriten in dieser Anthologie gehört.

Renée Engel: Noble Food

Zwei Männer fliegen zusammen zu einem fremden Mond, um Nobeldelikatessen einzusammeln. Aber was sie einsammeln, erweist sich als lebensbedrohlich.
Ich mochte diesen Text sowohl sprachlich, er fließt leicht dahin und hat einen schönen Humor, als auch inhaltlich: Engel ist es gelungen, durchweg Spannung aufzubauen und mich durch eine geschickte Konstruktion des Plots auf eine falsche Fährte zu locken, die dann stimmig und überraschend aufgelöst wird. An diesem Text hatte ich viel Vergnügen, mein zweitliebster in dieser Anthologie.

Christoph Grimm: Die Summe aller Teile

Akua, ein Mensch, lebt in einer Simulation, die offenbar erzeugt wurde, um Außerirdischen beim Verständnis von Menschen zu helfen. Akua hat über Jahrzehnte hinweg Kinder erzogen. Leider hat dies nicht dazu beigetragen, dass die Außerirdischen die Handlungen der Menschen besser nachvollziehen können.
Der Text schildert ein Gespräch zwischen Akua und der außerirdischen Lebensform Copy, die ein jüngeres Ebenbild Akuas ist. Grimm ist es gelungen, die Verblüffung und das Unverständnis beider Seiten gut darzustellen. Die Pointe am Ende erschließt sich mir aber nur teilweise (ich glaube, weil ich die zentralen Aussage zu vage finde, um ihr zuzustimmen). Trotzdem mochte ich diesen Text, vor allem in der Art, wie er mich zum Nachdenken darüber, wie eine Verständigung bei grundlegender Verschiedenartigkeit möglich sein kann, angeregt hat.

Fazit:
Am Anfang dieser Anthologie dachte ich, dass das meine Lieblingsantho für 2022 wird: Unterhaltsame Texte mit überraschenden Wendungen, stilistisch sicher und handwerklich solide, dazu noch eine abwechslungsreiche Zusammenstellung – das hat mich sehr abgeholt. In Verlauf des Buches (ich habe es ganz ordentlich von vorn nach hinten gelesen) ließen die Texte meiner Meinung nach doch stark nach und es gab sogar einige, bei denen ich keinen Erstkontakt finden konnte. In zwei Texten konnte ich das Thema gar nicht entdecken, in einigen weiteren wurde Erstkontakt nicht als „erste Begegnung zwischen zwei Spezies“ interpretiert, sondern es war nur die erste Begegnung für die handelnden Individuen. Mich hat das enttäuscht, weil es meinem Verständnis von „Erstkontakt“ widerspricht.
Insgesamt haben mir von den 23 Texten zwei sehr gut gefallen, vier fand ich gut und fünf ziemlich gut. 12 trafen meinen Geschmack gar nicht, zum Teil lag das an den Splatter-Horror-Anteilen, die mich immer abhängen, zum Teil an stilistischen Fragen oder an mir allzu bekannten Inhalten. Hinzu kommt, dass ich mich bei einigen Texten fragte, warum das insgesamt gute Lektorat hier versagt hat. Besonders fiel mir auf, dass mein Liebling, das Plusquamperfekt, oft gemieden wurde, was zu Zeitformenfehlern führt, die leicht hätten ausgebügelt werden können. Ich ziehe also ein durchwachsenes Fazit. Es gibt noch Luft nach oben, aber da es einige Texte gab, die ich wirklich gern gelesen habe, hat sich der Kauf dieser Anthologie für mich gelohnt.

kategoriale Einschätzung:
Aufmachung 2,5 von 3
Unterhaltung 2 von 3
Textauswahl 1,5 von 3
Originalität 1,5 von 3
Diversität 1,5 von 3
Tiefe 1,5 von 3
Gesamtfazit: 10,5 von 18 möglichen Punkten