Judith und Christian Vogt: Laylayland. Plan9

düster und rasant

LaylaylandIch habe schon den ersten Teil „Wasteland“ sehr genossen und war daher sehr gespannt auf den zweiten Teil dieses Hope-Punk-Romans: „Laylayland“. Der Roman beginnt mit einer Zusammenfassung des ersten Teils, so dass man ihn auch lesen kann, wenn man „Wasteland“ nicht kennt. Diese Zusammenfassung wird in der Ich-Form geliefert und spricht die Lesenden direkt an, wobei zunächst unklar ist, wer dieses Ich ist. In der Folge erzählen dann die beiden Hauptfiguren Zeeto und Laylay abwechselnd, unterbrochen von Kapiteln von Root 2.0, einer Person, die sich selbst als Cyborg bezeichnet und das Pronomen ser verwendet. Dazwischen gibt es immer wieder Briefe, deren Sinn und Absender*in ich erst recht spät im Buch verstanden habe.

Mir fiel der Einstieg in das Buch aus drei Gründen nicht leicht: Erstens hatte ich zunächst Schwierigkeiten mit der Erzählstimme von Root 2.0, zweites war die Welt so düster und Zeeto und Laylay so vielen negativen Erfahrungen ausgesetzt, dass ich mich nur schwer darauf einlassen konnte. Und drittens mochte ich die Sache mit den Werwölfen nicht: Laylay ist ein Werwolf, eine sogenannte Ferales, eine gezüchtete Menschenunterart, die gegen das im Wasteland häufige Virus weitgehend immun ist. Werwölfe sind stärker als Menschen und heilen sehr schnell – sie können so auch schwere Verletzungen fast ohne medizinische Hilfe überleben. Laylay ist also eine Art Superheldin – was das für sie und ihre Identität bedeutet, wird im Buch ansatzweise beleuchtet, hätte aber meiner Meinung nach noch etwas mehr Tiefe vertragen können.

Kurz zum Weltenbau: Beide Bände spielen in einer postapokalyptischen Welt im 21. Jahrhundert auf dem Gebiet des heutigen Europa. Der größte Teil der Menschheit ist gestorben, fast alle ehemals städtischen Gebiete sind unbewohnbar geworden. In den vormals unbewohnten Gebieten leben nun drei Gruppen von Leuten: welche, die einander unterstützende Gruppen bilden (hopers), welche, die hierarchische Gangs bilden und mit Gewalt herrschen (toxxers) und welche, die sich zwischen beiden mehr oder weniger frei durch die Landschaft bewegen.

Auch im ersten Teil war die Welt düster, es gab aber den Handgebunden-Markt, eine utopische Hoper-Kommune, als Lichtblick und Gegengewicht. In „Laylayland“ sind der todkranke Zeeto (er hat sich mit der Wastelandseuche angesteckt, die ein Covid-Virus ist) und Laylay zusammen mit ihrem Ziehbaby Mtoto unterwegs. Lichtblicke gibt es so gut wie nicht, einzig die Beziehung der beiden zueinander, wie sie sich umeinander und Mtoto kümmern, kann der sterbenden und lebensfeindlichen Welt etwas entgegensetzen.
Die beiden suchen ein Heilmittel für die Seuche, um die Leute, die sie lieben und die im Markt zurückgeblieben sind, zu retten. Leider geraten sie in Gefangenschaft und werden versklavt – und das, was schon düster war, wird fast unerträglich düster. Was mich weiter trieb, waren die Spannung und die gut gezeichneten Charaktere. Wie auch in „Wasteland“ gibt es einen sehr diversen Cast, der unaufdringlich und passend umgesetzt ist. Das Buch entwickelt sich sehr bald zum Pageturner, den ich kaum aus der Hand legen konnte. Interessanterweise wird zumindest die von mir in meiner Rezension zum ersten Band kritisierte technische Unmöglichkeit des noch brennbaren Benzins (und in diesem Band auch Kerosins) erklärt. Trotzdem bleiben einige nicht stimmige technische Einzelheiten übrig, die mich aber nicht weiter gestört haben.

Ich will zum Ende des Buches nicht viel verraten. Es ist ein ziemliches Happy-End, das mich mit der Düsternis vorher etwas versöhnt hat und es ist auch folgerichtig.
Aber auf die Sprache möchte ich gern noch etwas eingehen, denn die ist meines Erachtens grandios! Wie auch „Wasteland“ ist „Laylayland“ entgendert geschrieben. Die Vögte haben es meines Erachtens meisterhaft hinbekommen, eine Sprache zu schaffen, die dem gerecht wird und ein Lesevergnügen bietet. Ihr Schimpfwort „Fakke“ ist inzwischen auch von einigen anderen Schreibenden aufgegriffen worden, aber bei den Vögten bleibt es nicht ein einzelnes Einsprengsel, sondern steht für eine neu geschaffene Sprache, die eine Mischung aus Deutsch, Englisch und Türkisch ist, die mich überzeugt und mich an Klassiker wie „Clockwork Orange“ oder „1984“ erinnert, weil sie dem Weltenbau gerecht wird und dazu genutzt wird, diesen zu zeigen und zu vertiefen.
Sehr gelungen finde ich auch, wie die Vögte ihren Charakteren kleine Weisheiten in den Mund legen, wie hier Laylay: „Weißt du, was ich glaube? Dass Liebe nichts Leeres ist, was alle interpretieren können, wie sie wollen. Du hast sicher was für uns empfunden, aber du solltest dem einen anderen Namen geben, wenn du meinem Vater Angst für zwei Jahrzehnte damit eingeflößt hast!“
Das Autor*innenduo Vogt findet auch immer wieder eigenwillige und sehr bildhafte Vergleiche: „Wir verlassen den Industriekomplex auf einer von Wurzeln aufgesprengten Fahrbahn, über sie sich eng verschlungene Zweige beugen. Die Düsternis dahinter verschluckt uns drei, so wie ich die drei Tabletten runterspüle.“ Ich mag die atmosphärische Dichte dieses Textes – und die durchgehende Protanähe. Allerdings wurde meines Erachtens versäumt, die Sprechstimmen von Laylay und Zeeto unterschiedlich zu machen. Beide lesen sich sehr gleich – was schön ist, da es sich gut liest. Aber auch ein wenig unglaubwürdig, denn die beiden sind schon verschieden.
Root 2.0s Sprechstimme war für mich durchweg anstrengender zu lesen. Hier hätte ich auch gern etwas mehr zum Hintergrund dieser Person erfahren, die für mich blass bleibt. In Roots Perspektive machen die Vögte mit „Cyborg“ und „KI“ zwei weitere Themen auf, die nicht wirklich beleuchtet werden. Die Themen fügen sich gut in die rasante Geschichte und den Weltenbau ein, trotzdem ist meines Erachtens hier die Chance auf Tiefe etwas vertan, um aus einem richtig guten Roman einen total toll, voll deep richtig guten Text zu machen. Aber, das sollte klar geworden sein: Das ist für mich Meckern auf sehr hohem Niveau.

Unterhaltung: 3 von 3 Punkten
Sprache/Stil: 3 von 3
Spannung: 3 von 3
Charaktere/Beziehungen: 2,5 von 3
Originalität: 1,5 von 3
Tiefe der Thematik: 1,5 von 3
Weltenbau: 2,5 von 3
Macht 17 von 21 möglichen Punkten.