Stefan Cernohuby (Hg): Facetten der Zukunft: Science-Fiction made in Austria. ohneohren

abwechslungsreich und sprachlich solide

facetten cover webEin Feuerwerk von Ideen und verschiedenen Erzählstimmen, sprachlich schöne, etwas ausgefallene Texte und viel Protanähe – das war es, was ich mir von dieser Anthologie erhoffte. Konventionelle Sprache reizt mich ebensowenig wie konventionelle Plots mit viel Action und wenig Beziehungsgestaltung. Aufgrund der Vielzahl an Kurzgeschichten, die ich lese (im Jahrgang 2022 waren es nur im Bereich SF bislang über 200), kenne ich viele Ideen und Plots, es ist daher schwer, mich zu überraschen. Auch fiel mir auf, dass ich nicht die einzige schreibende Person zu sein scheine, der es schwer fällt, überzeugende Enden für die eigenen Texte zu finden.
Nun, es ist vielleicht bereits ahnbar: Ich wurde enttäuscht. Trotzdem denke ich, dass andere Lesende hier sicher Spaß haben – vor allem, wenn ihre Lesevorlieben eher den SF-Konventionen á la Perry Rhodan entsprechen.
Von dreizehn Texten gefielen mir nur sechs, zu denen ich hier etwas schreiben werde, allerdings gibt es keinen Text, der mich richtig begeistert hat. Meines Erachtens gelungen ist die Auswahl abwechslungsreicher Texte, es gibt keine thematischen Häufungen. Auch das Cover ist ansprechend, wobei der e-book-Satz für mich gewöhnungsbedürftig war, denn statt Leerzeilen sind durchgehende Linien enthalten, die etwas sperrig wirken.

Hell, Faye Anekdote zur Nivellierung der Arbeitsmoral

Am Anfang mochte ich diesen Text richtig gern: Aus der Sicht einer androidisch erscheinenden Arbeiterin wird erzählt, wie sie ihren vorgetakteten Tag lebt und anfängt, nachzudenken und zu fühlen. Ich mochte die Rhythmik des Textes, das Spiel mit Wiederholungen, die gelungen eingefangene Emotionalität, die eigenwilligen sprachlichen Bilder. So ist mir die Prota richtig nahe gerückt.
Leider verliert der Text dann den Fokus. Es beginnt eine Liebesgeschichte, dann folgt ein riesiger Block in Dialoge verpackten Infodumps über die Welt und dann geht es plötzlich um etwas ganz Anderes, so dass der Text für mich zerfasert. Auch das kitschige Bild des Schmetterlings, der für die Liebe steht, war für mich eine Enttäuschung.

Hofstätter, Caroline Zukunftsinvestitionen

Dieser Text schildert eine überklischeehafte cis-hetero-Partnerschaft, in der die Frau nur Schönheit und ein Kind will, während es dem arbeitenden Mann um Karriere geht. Der Mann macht einen Deal für ein sehr erwünschtes genoptimiertes Kind – ein Thema, das ich durchaus spannend finde: Was würden wir tun, um unserem Kind einen besseren Start zu ermöglichen?
Leider wird das an sich vielschichtige Thema in diesem Text sehr vorhersehbar und oberflächlich verhandelt, bis hin zu den Dialogen, die für mich keine Überraschungen bargen. Das Ende ist zwar überraschend, aber leider unvorbereitet und somit wenig glaubwürdig.

Paradigi, Jane Farm 49

Ich mochte die Erzählstimme dieses Textes, eine schnoddrige Stimme, die zur Prota, einer abgewrackten Terraläuferin, passt. Ihre Arbeit besteht darin, sich auf Langstreckenflüge senden zu lassen, um dann am Ziel Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte einzusammeln. Angesichts der fortgeschrittenen KI-Technik versteht man nicht recht, wieso dieser Job nötig ist, aber das störte mich erst einmal nicht.
Der Plot selbst konnte mich dann nicht wirklich mitnehmen, vor allem, weil die Protanähe verloren geht und mir das ganze eher erzählt als gezeigt wird. Es kommt zu einer Havarie, plötzlich ist die Freundin der Protagonistin verschwunden, dann wieder da und irgendwas stimmt mit ihr nicht. Mir fiel beim Lesen alles Mögliche auf, was dann ebenfalls auffällig bagatellisiert wurde, so dass ich mich mit der Nase darauf gestoßen fühlte, dass hier etwas nicht stimmt. Hier das richtige Maß zu treffen, zumal verschiedene Personen sehr verschieden lesen, ist sicher schwer. Leider enthält der Text einige Infodumps mit historischen Infos, die sehr naheliegende Rückgriffe auf die Jetztzeit enthalten und die für mich den Schwung herausnehmen.
Am Ende des Textes gibt es eine überraschende Wendung, die für mich aber zu wenig erklärt wird, so dass ich nur erraten kann, wie sie zustande kam. Insgesamt bleibt das somit ein Text, den ich nach einem richtig guten Start unbefriedigend fand.

Nora Bendzko: Dein Paradies

Die Idee dieses Textes mochte ich: Eine Anthroidin (diese Wortneuschöpfung ist toll!) lebt vernetzt und denkt als Wir. Der Anschlag auf ein anderes Anthroiden-Kollektiv schmerzt sie. Sie gehen auf die Trauerfeier und die ganze Zeit wartete ich während des Lesens darauf, dass auf diese ebenfalls ein Anschlag verübt wird, was natürlich auch passiert. Aber das Kollektiv stirbt nicht.
Ich hatte trotz des wunderbar diversen Casts und vieler phantasievoller Details Mühe mit diesem Text. Ich empfand ihn als pädagogisch, hatte die Ganze Zeit viel mehr das Gefühl, dass mir etwas erklärt wird, als dass ich eine Geschichte lese. Dazu passt, dass ich etwas gelernt habe (es heißt Imuhagh, nicht Tuareg – die Ausspreche musste ich googeln) und das finde ich durchaus bereichernd. Aber als literarischer Text funktioniert das für mich nicht: Ich konnte nicht eintauchen, das erzählende Wir blieb mir fern, die Perspektive des Wir erlebte ich als immer wieder gebrochen, wodurch sich der Text für mich holprig las (insbesondere die Dialoge). Auch die Entscheidung der dann Vereinzelten am Ende blieb für mich nicht nachvollziehbar und daher beliebig, ebenso wie die Handlungen der zweiten Hauptfigur Dr. Hammadi.
 
Mia Faber: Der Vermicelli-Nebel

Hach, was hab ich mich gefreut: Endlich eine Geschichte mit eigener Sprache und sprachlichen Perlen: „Jedenfalls klebte die seltsame Stille an den Wänden der Station“. Und dann noch stimmungsvoll: der Text belebt eine sehr gut nachfühlbare depressive Stimmung. Inhaltlich ist das alles surreal und fügt sich nicht recht ineinander, ich verstehe nicht, sind wir nun in einer Reihenhaussiedlung oder auf einer Raumstation? Selbst die Vermicelli schienen mal die mir bekannten Fadennudeln und mal Bandnudeln. Dann sortiert sich der Inhalt auf fast magische Weise, eine Welt blättert sich auf und eine eigentlich kurze, sehr traurige Geschichte entsteht. Diese Geschichte mochte ich wirklich gern, auch wenn es für meinen Geschmack etwas zu viele Lücken und Vagheiten gab. Wenn sich das alles noch wirklich sortiert hätte – es wäre für mich grandios gewesen!

Melanie Vogltanz: Chrysalis

Hier mochte ich die Erzählstimme und die geschaffene, dichte Atmosphäre. Eine Frau wacht auf und weiß nichts mehr, sie ist aus ihrem Leben gefallen. Sie wird versorgt, aber ihr wird nichts erklärt. Die Annäherung an eine Schicksalsgenossin wird einfühlsam geschildert, die Suche nach Antworten ist quälend.
Die große Enttäuschung bei diesem Text ist für mich, dass ich auf eine Auflösung warte, die nicht kommt. Es wird zwar eine vage Theorie angeboten, aber sie ist unvollständig und ihr Wahrheitsgehalt bleibt fraglich. Über das Schicksal der Protagonistin sagt sie leider fast nichts aus. Auch der Titel erschließt sich mir nicht.

kategoriale Einschätzung:

Aufmachung 1,5 von 3 (e-book)
Unterhaltung 1,5 von 3
Textauswahl 1,5 von 3
Originalität 1,5 von 3
Diversität 1,5 von 3
Tiefe 1 von 3
Gesamtfazit: 6,5 von 18 möglichen Punkten