René Moreau, Heinz Wipperfürth und Hans Jürgen Kugler (Hrsg.): Exodus 44. Science-Fiction-Storys & Phantastische Grafik

solide Geschichten und hochwertige Illustrationen

Exodus 44Die „Exodus“ ist eine der tradierten Zeitschriften für Science-Fiction: Sie erschien in dreizehn Ausgaben bis 1980, machte dann 23 Jahre Pause und erscheint seit 2003 wieder halbjährlich. Auf rund 115 Seiten bietet die Zeitschrift nicht nur Kurzgeschichten Raum, sondern auch vielen hochwertig gedruckten Grafiken, einem Essay und Gedichten oder Micro-Fiction. Ich lese die Exodus seit gut zwei Jahren und habe hier auch schon etliche halbfertige Rezensionen liegen. Nie traute ich mich, sie in die Welt hinauszulassen bzw. hinke ich mit dem Lesen der Exodus stets so hinterher, dass immer schon die nächste Ausgabe erschienen ist, bis ich meine Rezension fertig habe. So ist es auch diesmal: Das Heft 44 erschien im April 2022 und inzwischen liegt hier Heft 45 auf dem Lesestapel.
Zuerst hatte ich den Fehler begangen, die Exodus als pdf zu kaufen. Ich kann es nicht empfehlen: Gerade die aufwändigen Grafiken – jede Geschichte ist großformatig illustriert – kommen so nicht wirklich zur Geltung, und das gedruckte Heft ist auch haptisch eine Freude. Heft 44 vereint, wie eigentlich alle Hefte, Texte bekannter Autor*innen mit Texten von Newcomern oder Unbekannten. Um ihm wirklich gerecht zu werden, möchte ich über alle enthaltenen Texte schreiben, um dann mein Fazit gut begründen zu können.

Barbara Ostrop: Der Wind der neuen Zeit

Der Text treibt Klischees von Partnerschaft und tradierten Geschlechterrollen auf die Spitze: Sie ist Influencerin und Er so durchschnittlich, dass sie ihn und seine KI verwenden kann, um Marktforschung zu betreiben. Wirkliches Interesse aneinander gibt es nicht. Nun hat Sie die Aufgabe, Ihn dazu zu bringen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen, was auch funktioniert. Aber das Produkt tut nicht, was es soll.
Ich fand den Text gut geschrieben, die technischen Details waren aber für meinen Geschmack etwas zu ausgebreitet, so dass sich deutliche Längen ergaben. Auch wird ein Wunsch der Frau benannt, der nicht konkretisiert wird, was die Protagonistin etwas blass macht. Insgesamt fand ich den Text unterhaltsam.

Norbert Stöbe: Beetles

Kleine elektronische Käfer sind in dieser Geschichte ein begehrtes Kinderspielzeug und verbreiten sich rasant. Den Einstieg des Textes über ein Kind, das einen Käfer bekommt, finde ich sehr gelungen. Ich habe die Fantasie, dass der Käfer Daten sammelt, was ein ungutes Gefühl verursacht. Leider steigt die Geschichte nach der Eingangssequenz aus dem szenischen Erzählen aus: Stöbe wechselt zu einer raffenden Passage voller Infodump und erzählt in satirischer Manier davon, wie die Käfer verdächtigt und beseitigt werden, woraufhin die ganze Welt zusammenbricht. Das habe ich ihn ähnlicher Form leider schon sehr oft gelesen. Das Ende des Textes ist dann wieder szenisch, leider wird hier aber erklärt, was ich gern selbst erschlossen hätte. Nach dem Anfang hätte das für mich eine richtig gute Geschichte werden können, aber durch den Mittelteil ist das für mich nicht gelungen.

Thomas Kolbe: Auf Sendung

In einer Radiosendung rufen Leute an und benennen ihre Probleme, für die ihnen ein Professor Lösungen nennt, die keine sind. Alle geschilderten Probleme sind zugespitzt und ethisch bedenklich, die Lösungen ebenso. Der Professor und der Moderator sind gleichermaßen unempathisch und unsympathisch, denn sie sind an den Problemen der Anrufenden nicht interessiert. Das hätte mich anwidern können, aber das Ganze ist so flüssig geschrieben, dass ich gern gefolgt bin.
Dann ruft jemand an, der meint, eine Bedrohung gebaut zu haben. Spätestens hier frage ich mich, in welcher Zeit das spielen soll; das Geschilderte wirkt gar nicht zukünftig, sondern eher wie vor vierzig Jahren. Richtig geärgert hat mich die Pointe: Sie ist nicht nur abgedroschen und klischeehaft, sondern auch noch zutiefst saneistisch, denn sie kolportiert die zu bekannten Witze auf Kosten psychotisch erkrankter Menschen und stellt Psychiatrie in einem entwertenden Licht dar.

Hans Jürgen Kugler: Flucht aus dem Fluidum

Ein Schiff landet woanders als geplant, und die ausschließlich männliche Crew überbietet sich damit, sich gegenseitig mit Informationen zuzutexten, die niemand hören will und die nicht hilfreich sind. Sie sind für mich leider auch langweilig zu lesen. Ich möchte die Auflösung hier nicht verraten. Daher nur vage: Ich ahnte recht früh, worum es geht, weil die Lösung alles andere als neu ist, und viel mehr, als ich von vornherein ahnte, wird im Text auch nicht verraten. Das macht das Ganze ziemlich enttäuschend.
Dazu kommt, dass er Text nicht ernst gemeint ist: Die Figuren sind gewollt komische Pappkameraden, der Humor nicht das, was ich lustig finde. Sprachlich ist der Text solide, mit ein oder zwei Phrasen, aber ohne Besonderheiten.

Christoph Grimm: Perfect Match

In dieser kleinen Kriminalgeschichte rund um einen Seitensprung werden während eines Dates Daten gestohlen und wir sehen den Detektiven dabei zu, wie sie den Fall lösen. Die Geschichte ist flüssig geschrieben, relativ langsam, aber leider ohne sprachliche Perlen, die ich bei dem Erzähltempo gern gehabt hätte. Die erste Plotwendung hatte ich schon vorausgesehen, die zweite nicht. Allerdings wirkt das Ende auf mich auch etwas aufgesetzt. Ich mag den Text trotzdem, weil er ein menschliches und sehr heutiges Thema aufgreift.

Volker Dornemann: Micro-SF: „Der erste Baum“ und „Twinkle, twinkle“

Wie so oft bei Dornemanns Micro-SF kann ich mich nicht wirklich dafür erwärmen. Beide Texte erzählen für mich keine Geschichte. Man könnte sie als Gedichte lesen, aber dazu fehlt ihnen für meinen Geschmack die Verdichtung und die Sprachrhythmik. „Der erste Baum“ schildert eine Begebenheit und stellt eine Behauptung auf, der Text wirkt eher wie der Plot einer noch auszuarbeitenden Geschichte. „Twinkle, twinkle“ schildert einen einzelnen Eindruck und wirkt auf mich wie ein Fragment.

Aiki Mira: Die Grenze der Welt

In beeindruckend dichter Sprache erzählt Aiki Mira von Kat, einer einsamen Person, die sich nur in Maschinen zu Hause fühlt. Kat hat auf dem Mond gekämpft und kann auf der Erde ohne technische Hilfe nicht mehr überleben. Sie sucht nach einer Maschine, mit der sie verschmelzen kann, und findet sie in einem Baugerät: „Im Innern rollt sich ihr zarter Fleischkörper zusammen und schließt die Augen.“
Die folgende Begegnung mit einem Jungen ist einfühlsam und berührend beschrieben, wobei ich die kommende Wendung schon früh ahnte. Der Text steckt voller Symbolik, die hier ohne zu spoilern nicht verraten werden kann. Das Textende ist fantastisch, traumartig, nicht fassbar, ergibt aber auf übertragener Ebene Sinn. Das ist mein Favoritentext in dieser Ausgabe, weil er mich berührt und sprachlich und atmosphärisch stimmig ist: Einsamkeit und Sehnsucht sind sehr treffend gefasst.

Ulf Fildebrandt: Marys Zimmer

Der Text um einen Arzt, der seinen ersten Job im All beginnt, ist in für mich anstrengend zu lesender, umständlicher Sprache geschrieben. Wir sehen dem Arzt dabei zu, wie er über die Raumstation geht und zahlreiche Einzelheiten wahrnimmt, für die ich nicht wirklich Interesse aufbringen konnte. Ich habe den Text nicht zu Ende lesen wollen und kann daher nichts Fundiertes dazu schreiben.

Roland Grohs: Talion

Eine Welt, die „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wörtlich auslegt und ein Mensch, der das umsetzen muss. Zunächst dachte ich, es sei ihm zuwider, das Ende legt etwas anderes nahe. Der Text ist stimmungsvoll gezeichnet (bedrückend in diesem Fall) und sprachlich schön: „Einen Moment war die Welt im Wanken. Sie schien zu stottern wie ein alter Motor.“ Inhaltlich gibt es für meinen Geschmack ein wenig zu viel Vagheit, so dass sich mir der gezeigte Weltenbau nicht wirklich erschließt. Wie kommt es, dass eine offensichtlich hochtechnisierte Welt an einem mittelalterlich anmutenden Rechtssystem festhält? Ich habe diesen Text trotzdem genossen, auch in seiner gelungen geschilderten Ekelhaftigkeit.

Die wunderbaren Welten des Thomas Thiemeyer

Die mittleren Seiten der Nova sind seit Ausgabe 16 (2004) jeweils einer*m Grafiker*in gewidmet. Hier werden beeindruckende Gemälde von Thomas Thiemeyer gezeigt, ausgetüftelte fantastische Welten, die in der Lichtführung und Gestaltung teilweise an Bilder der Romantik erinnern. Dazu gibt es Informationen zum Werdegang des Künstlers: Seit Ausgabe 17 wird jeweils extra ein Essay beauftragt, das in diesem Fall von Udo Klotz stammt, dem ich hiermit für die Hintergrundinformationen danke, die nicht alle auf der Exodus-Webseite zu finden sind.

Peter Schattschneider: 42 Milliarden Jahre

In „42 Milliarden Jahre“ wird ein Computer gebaut, um die Frage nach der Entstehung des Lebens zu beantworten. Natürlich gibt es dabei Rückgriffe auf Douglas Adams (42!), der das Thema bereits ausführlich behandelt hat. Außerdem gibt es Bezüge zu Texten von Franz Kafka und jede Menge wissenschaftliche Sprache, der Autor ist Physiker und hat viel von seinem Wissen hier einfließen lassen. Mich hat der Text, anders als das Original von Adams, gelangweilt: Ich fand die Witze nicht witzig und die Figuren zu überzeichnet komisch. Auch ärgert es mich, dass die Rolle der einzigen Frau darin besteht, die gewünschten Proben nicht zu finden und „nette Titten“ zu haben. Das Ende der Geschichte ist überraschend und reißt das Ganze ein bisschen raus, aber nicht genug, dass mir dieser Text gefallen hätte.

Radoslaw Rochallyi: „Die Beständigkeit der Erinnerung“

In der Sparte „Experimentelle Lyrik“ gibt es ein witziges Bild mit einer mathematischen Formel, in die Text eingearbeitet ist. Es erschließt sich mir nicht logisch, ist aber anregend und macht mich schmunzeln. Vor allem mag ich es, dass hier ein Raum für unkonventionelle literarisch-künstlerische Formen geschaffen wurde.

Moritz Greenman: Sehen

Dieser an vielen Stellen nur assoziativ verständliche Text arbeitet mit vielen Vergleichen. Es wird aus zwei Perspektiven die Geschichte eines Mannes erzählt, der eine Tochter bekommt, die eine bestimmte Aufgabe erfüllen soll: Sie soll Alien-Artefakte nutzen, um mit Außerirdischen zu kommunizieren. Um diese Aufgabe besser zu erfüllen, ist die Tochter blind.
Aus der Sicht der Tochter erfahren wir, wie sie diese Aufgabe erfüllt. Der Mann sieht irgendwann ein, dass er einen Fehler gemacht hat und kein guter Vater war, aber wir spüren keine Trauer darüber. Das Kind, später eine Frau, bleibt ein Opfer, eine Person, über die verfügt wird und die nicht anders kann, als ihren Zweck zu erfüllen.
Obwohl der Text sprachlich gut ist, finde ich, dass es dem Autor nicht gelungen ist, die Protagonist*innen lebendig zu machen. Gefühle werden benannt, sind für mich aber wenig spürbar, dazu gibt es zahlreiche Redundanzen und Längen. Das Ende der Geschichte bleibt folgerichtig offen, wir erfahren nicht, ob die Tochter wirklich die perfekte Person ist, um stellvertretend für die Menschen zu kommunizieren.

Angelika Brox und Yvonne Tunnat: Minerva

Die Geschichte schildert die Interaktion eines Kindes mit einer KI. Ich habe schon recht früh vermutet, worum es geht, und das wurde dann auch bestätigt, es soll hier aber nicht verraten werden, um nicht zu spoilern. Brox und Tunnat greifen ein meines Erachtens wichtiges Thema auf. Inhaltlich leuchtet mir nicht ein, warum das Kind alles mit der KI ausmacht, die Eltern reagieren nicht und werden auch nicht dazu aufgefordert, obwohl das Thema sie zutiefst betrifft. Auch empfand ich einige der beschriebenen Empfindungen der KI unfreiwillig komisch, es liest sich an manchen Stellen, als hätten die Autorinnen sich nicht entscheiden können, ob das ernst oder Satire sein solle und ob die KI nun wirklich empfindet oder nicht. In dieser Vagheit liegt aber gleichzeitig eine Stärke des Textes, fragt man sich doch die ganze Zeit, ob das Kind nun ein wirkliches Gegenüber hat – oder eben nicht.
Die Entscheidung, den Text nicht aus der Sicht eines Menschen zu schildern, ist eine in der SF häufige Entscheidung. Hier sorgt sie durch die emotionale Unbestimmtheit der KI für eine Distanz, von der ich nicht sicher bin, ob sie dem Text guttut. Der große Vorteil ist, dass trotz personaler Perspektive keine Wertung stattfindet. Die beschriebene Interaktion zwischen Kind und KI finde ich überzeugend und schön geschildert. Sprachlich ist der Text gut lesbar, phrasenarm, ohne die sprachlichen Perlen, die ich in Texten von Yvonne Tunnat oft so genieße.

Uwe Hermann: Die Nachrichtenmacher

Der Text spielt in einer Zukunft, in der es nur noch Nachrichten von morgen gibt. Er ist unterhaltsam geschrieben, die überspitzt gezeichneten Interaktionen der beschriebenen Familie wirken sehr befremdlich: Nirgends gibt es wirklichen Kontakt, alles wirkt schablonenhaft und leer. Die eigentliche Geschichte wird dann flott erzählt und ist unterhaltsam, die Pointe aber für meinen Geschmack übererklärt.

Nicole Hobusch: Typ 4

Dieser Text liest sich wie die sprachlich gute Beschreibung einer Spielsession von „Fall Out 4“: Jemand durchsucht einen verlassenen Supermarkt, findet darin eine Leiche, klaut der die Schuhe und dann tauchen Monster-Roboter auf. Dann ein Kampf, die Person wird aus dem Nichts gerettet, nur um dann trotzdem zu sterben. Dann gibt es einen Perspektivwechsel und uns wird vorgeführt, wie entmenschlicht die Gegner sind, und falls wir das nicht verstanden haben, wird es uns auch noch direkt gesagt.
Der Text ist gut geschrieben, aber die Bestandteile sind für mich zu oft gesehen. Die Aussage ist nicht in der eigentlichen Handlung verwurzelt, sondern muss extra serviert werden.
Bei diesem Text hat mir die Illustration besonders gut gefallen: Sie nimmt das bekannte Thema auf, nimmt aber stilistisch eine atmosphärisch dichte Neuinterpretation vor.

Peter Schattschneider: Science-Fiction und das Ende der Aufklärung

Schattschneider geht in diesem Essay der Frage nach, warum Science-Fiction aktuell bedeutungslos sei. Er schlägt einen großen Bogen zurück ins 18. Jahrhundert und postuliert, dass die Medien, über die Wissen vermittelt wird, bestimmen, welche Nachricht gesendet wird – was ich für eine nicht zulässige Verkürzung halte. Leider ziehen sich derartige Verkürzungen und unlogische Schlüsse durch den für mich aufgrund umständlicher Sprache schwer lesbaren Essay, beispielsweise wenn sich Schattschneider zu der Aussage hinreißen lässt, dass das politisch Inkorrekte zu verbieten selbst inkorrekt sei (was nahelegt, dass es solche Verbote gebe) und dass ein solches (nicht vorhandenes) Verbot „Kulturvandalismus“ sei, den er mit der Zerstörung uralter Kultur- und Kunstschätze vergleicht.
Mir erscheint der gesamte Essay wie die Schimpftirade eines in die Jahre gekommenen Mannes (Schattschneider wurde, wie ein Infokasten verrät, 1950 geboren), dem es nicht gefällt, dass seine Privilegien hinterfragt werden und dass das, was er immer für richtig und selbstverständlich hielt, nun „plötzlich“ nicht mehr gut sein soll. Insofern wundert es auch nicht, dass er sich in seinem Essay ausschließlich auf die Werke Weißer Männer bezieht und die Weigerung, andere Standpunkte als valide anzusehen, sich durch den Essay zieht, wobei Seitenhiebe auf genderneutrale Sprache nicht fehlen dürfen.

Comics: „Mars Technik Museum“ und „Spazz“ von Kostas Koufogiorgos

Beide Comics sprechen mich vom Zeichenstil sehr an, inhaltlich geht es mir mit ihnen wie bei so vielen Comics: Ich verstehe sie nicht. Aber ich bin bekennendex Comic-Dyslektikerx, insofern sagt das gar nichts aus.

Fazit:
Rein haptisch und von der Aufmachung her ist die Exodus ein Schmuckstück. Die Galerie in der Mitte und die durch verschiedene Künstler*innen gestalteten Illustrationen der Texte sind ansprechend und oft auch berührend. Die Texte sind thematisch und stilistisch abwechslungsreich, wobei sie rein handwerklich fast alle auf hohem Niveau sind. Wirklich neue Impulse setzen aber wenige Texte. Von 15 Texten (inklusive zwei Kurztexte) trifft etwa die Hälfte meinen Geschmack, einen Text fand ich sogar überdurchschnittlich gut.
Der Männeranteil unter den Autor*innen dieser Exodus liegt bei 66% (zählt man nach Zahl der Geschichten bei 74%). Daten zur Anzahl von Frauen und nichtbinären Personen, die Science-Fiction-Kurzgeschichten schreiben, sind nicht leicht zu bekommen. Yvonne Tunnat beziffert in ihrer diesjährigen Statistik die Zahl mit ca. 48% (bezogen auf die Zahl veröffentlichter Texte) www.rezensionsnerdista.de, Theresa Hannig hat 2022 sehr viel geringere Zahlen benannt, allerdings vor allem Romane gezählt: https://theresahannig.de/fantastischefrauen/
Gemessen an Yvonne Tunnats Zahlen sind männliche Autoren in dieser Ausgabe leicht überrepräsentiert, allerdings gehe ich davon aus, dass die Texte für eine 2022 erschienene Ausgabe Monate, wenn nicht gar Jahre früher zusammengestellt wurden, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die von mir recherchierten Zahlen nicht gelten. Inhaltlich gibt es eine große Breite an Themen und Rollenbildern, aber in sechs Texten kommen Frauen entweder gar nicht, nur am Rande, in passiven Rollen, als Versagerinnen, oder Personen, über die verfügt wird, vor. Daneben gibt es aber auch eine Kämpferin, und Töchter, die nach ihrer Vergangenheit forschen und sich so ihr Leben aneignen. Andere Geschlechter sind in den Texten nicht repräsentiert. Es fällt auf, dass in mehreren Texten misogyne Inhalte vorkommen, die nicht immer thematisiert werden (sondern nur scheinbar belangloses Setting sind und somit heutigen Alltagssexismus fortschreiben). Besonders sauer stößt mir in diesem Zusammenhang der Essay auf, der reaktionäre Sichtweisen vertritt und zum Verständnis der SF meines Erachtens nicht beiträgt.
Erfreulich finde ich das Vorkommen von Protagonist*innen mit Behinderung: In Aiki Miras Text erlebe ich die Thematisierung als sensibel, in Greenmans Text wird die Blindheit objektifiziert und gleichzeitig problematisiert, wo ich unsicher bin, ob ich das gelungen finde oder nicht. Kolbes Text ist klar saneistisch. Nicht-Weiße Personen kommen in den Texten nicht sichtbar vor. Insgesamt möchte ich den Wunsch nach größerer Diversität und mehr Sensibilität in Bezug auf Sexismus und Ableismus bzw. Saneismus äußern, hier ist sicher noch etwas Luft nach oben. Auch wünsche ich mir mehr wirklich gute Texte und natürlich für mich interessantere Essays. Trotzdem ist die Exodus meines Erachtens eine Leseempfehlung wert!

kategoriale Einschätzung:

Aufmachung 3 von 3
Unterhaltung 2 von 3
Textauswahl 1,5 von 3
Originalität 2 von 3
Diversität 2 von 3
Tiefe 2 von 3
Gesamtfazit: 12,5 von 18 möglichen Punkten