Judith Vogt, Kathrin Dodenhoeft, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan: Queer*Welten 6, 7 und 8. Ach je Verlag

 QueerWelten6 Cover

Die QueerWelten, ein queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Zine, verfolge ich schon seit der ersten Ausgabe. Es hat sich zum Ziel gesetzt, marginalisierte Erfahrungen in Texten sichtbar zu machen. Während ich die ersten Ausgaben in Papierform kaufte, habe ich es bei den hier vorliegenden Ausgaben 6, 7 und 8 mal mit den e-books probiert. Ich kann schon verraten: Es hat mich nicht so begeistert. Ich mag die Haptik der Heftchen im A5-Format lieber als das kühle Leuchten meines Readers. In den Zines blättere ich gern und das geht im e-book einfach nicht so gut.

Bis zur Ausgabe 7 erschienen die QueerWelten vierteljährlich im Ach je-Verlag und das Redaktionsteam bestand aus Judith Vogt, Kathrin Dodenhoeft und Lena Richter. Es war ein recht dünnes Heftchen mit Vorwort, drei Kurzgeschichten, einem Essay und dem Queertalsbericht, der auf Veröffentlichungen und Veranstaltungen hinwies.

Ab Heft 8 änderte sich alles. Nun nicht alles, aber doch viel: Der Ach je-Verlag ist nun ein Imprint von Amrûn, so dass die Queer*Welten weiter erscheinen können. Sie  erscheinen nun halbjährlich, mit mehr Texten und Kurztexten in Formaten und zu Themen, die mit jedem Heft wechseln. Dazu gibt es dann jeweils eine Ausschreibung.

Queer*Welten 6

 

Das Vorwort dieser Queer*Welten-Ausgabe beschreibt das mir sehr bekannte Schwanken zwischen Hoffen – wegen Fortschritten bezüglich der Rechte queerer Personen und vermehrter Akzeptanz – und Verzweifeln – wegen ebenfalls zunehmender reaktionärer oder offen politisch rechter Positionen.

 

Nora Bendzko: Mutter Finsternis

Diese Kurzgeschichte in märchenhaft anmutender schlichter Sprache spielt in einem Fantasy-Setting. Morpho, eine männliche Fee, kämpft gegen den Großen Sturm und Mutter Finsternis, ein Phänomen, das die Feen auszulöschen droht. Aber eigentlich will er nur ein Geschenk für seine Geliebte sammeln. Dabei gibt es die für Fantasy typische Gegenüberstellung von Gut und Böse, wobei für mich sehr vage blieb, warum es den Großen Sturm gibt. Die Andeutung, dass die Feen diesen selbst hervorgerufen hätten, erinnert mich an den Klimawandel.

Der Text ist aufgrund der flüssigen Sprache gut lesbar. Es gibt viele Erklärungen des doch recht generisch erscheinenden, wenn auch queeren, Weltenbaus. Ich kann mir vorstellen, dass der Text klassisches Fantasy-Publikum anspricht. Meinen Geschmack trifft er jedoch nicht.

 

Janus Reihmann: Die gayte Fee

Die Geschichte um einen Jugendlichen, der damit ringt, seinen Schwarm anzusprechen, spielt in der Jetztzeit. Eine Fee taucht auf und ermutigt ihn, so dass er mithilfe ihrer Flirthilfe Erfolg haben kann. Die Geschichte ist in einer naiv wirkenden Sprache erzählt, die gut zu dem jugendlichen Protagonisten passt. Die Unsicherheit des Protas ist gut gezeigt, allerdings wirkt der Text in seiner Gesamtheit für mich zu jugendlich naiv, um mich zu begeistern. Ich kann mir aber vorstellen, dass er für Personen in einer ähnlichen Situation ermutigend wirken kann, denn wer kennt sie nicht, die Unsicherheit, sich einem Menschen zu offenbaren, für den man starke Gefühle hegt.

 

Miou Sascha Hilgenböcker: Schimmer im Staub

Der Bär Orion lebt mit einer Gruppe von Menschen im Umfeld einer Stadt, die unter einer Kuppel abgeschottet ist. Die Gruppe lebt von der „Sammel“, dem Auflesen von Dingen, die andere über die Straßenmauern werfen. Eines Tages fliegt ihnen etwas zu, das Kontakt in die Stadt hinein ermöglicht und sie können diese betreten – aber jemand muss zurückbleiben.

Ein großes Plus dieses Textes finde ich in Hilgenböckers Sprache: „Orion, der immer da war, Orion, der den Weg wies, der so viel verstand, und doch fehlte auf einmal eine gemeinsame Sprache, die über das Hier und Jetzt hinaus aus Fragen Zukunft formen konnte“. Auch wenn ich dem Satz wohl ein paar Punkte gegönnt hätte, um aus ihm mehrere zu machen – er ist einer von den Sätzen, die mich glücklich machen, die ich gern mehrfach lese und mich darüber freue.

Ein weiteres Plus des Textes ist die für mich gelungene Charakterisierung der Protagonist*innen. Schwächen sehe ich in dem großen Figurenensemble, ich habe immer wieder vergessen, wer wer ist. Außerdem sind für mich einige Einzelheiten im Weltenbau nicht nachvollziehbar: Wie kann man über eine vielbefahrene Straße hinweg sprechen, wenn diese eingemauert ist? Warum sieht man sich durch Glaswände nicht? Warum werden die (falschen?) Helfer*innen nicht zu dem befragt, was die Menschen in der Stadt erwartet? Wenn in der Stadt Einheitskleidung getragen wird, warum kann dann andere Kleidung über die Mauern geworfen werden?

Auch ist für mich der Wechsel der Perspektiven und die Art der Zeitsprünge unbefriedigend, hier entstanden Unklarheiten, die meinen Lesegenuss eingeschränkt haben. Trotzdem war das ein Text, der mich zum Nachdenken gebracht und so auch über das Lesen hinaus angeregt hat, auch darüber, was für Risiken Menschen eingehen, um in eine vermeintlich bessere Welt zu gelangen. Und genau für diese Anregungen liebe ich diesen Text.

 

Aiki Mira: Wovon träumen Androiden

Ich gebe es zu: Für diesen Essay habe ich mir die Zeitschrift nachgekauft, denn es war die eine Ausgabe, die in meiner Sammlung – warum auch immer? – fehlte. Mira hat, wie so oft, viele schlaue Gedanken, aber sie sind hier in eine Sprache verpackt, die dafür sorgt, dass ich Vieles zwei Mal lesen musste. Der sehr wissenschaftliche Essay beschäftigt sich mit der Frage des Menschlichen und damit, ob nicht gerade am Grenzbereich des Menschlichen Menschlichkeit gefunden werden kann – eine Frage, der ich in sehr vielen meiner Texte nachgehe. Mira geht Judith Butlers Thesen nach, es geht um die Performativität von Geschlecht, um Identität und Fragen nach Zugehörigkeit. Ich hätte diesem Text aufgrund seiner wichtigen Inhalte gewünscht, dass er ein ausgiebigeres Lektorat hin auf Lesbarkeit genossen hätte. So fürchte ich, dass ich einen Großteil des Inhaltes nicht aufnehmen konnte. Aber immerhin weiß ich, wovon Miras Androiden träumen: von Queer SF, von Texten in denen sie sein können, wer sie sind.

 

Queer*talsbericht

Der Queertalsbericht beschäftigt sich mit zwei Platten (von Sookee und Schrottgrenze), einem Kurzroman (“To Be Taught, If Fortunate“ von Becky Chambers), zwei düsteren Romanen („Berlin – Magische Knochen“ von Sarah Stoffers und „Mutterschoß“ von Elea Brandt) und der Space Opera „Victories Greater Than Death“ von Charlie Jane Anders. Wie immer sind die Rezensionen knapp und auf den Punkt gebracht, so dass ich leicht sagen konnte, welches der Bücher mich anspricht und welches nicht.

 

Queer*Welten 7

 QueerWelten7 Cover

Diese Queer*Weltenausgabe hat mehrere Besonderheiten, die im Vorwort vor dem Vorwort ;) erklärt werden: Sie kommt aufgrund eines Verlagswechsels später heraus und ist die letzte im bisherigen Format.

 

Das „richtige“ Vorwort geht auf die Intiative „Fair lesen“ gegen die Onleihe in Bibliotheken ein, die eine Zerstörung des Buchhandels anprangert, die auch mir wenig nachvollziehbar erschien. Der Buchhandel hat Probleme, ja, aber zu wenig Geld aus Bibliotheksangeboten gehört meines Erachtens nicht dazu. Das Vorwort kritisiert auch den Skoutz-Award für seine transfeindliche Haltung – die zitierten Wortmeldungen lassen mich ganz schön schlucken, behaupten sie doch eine Bevormundung durch eine Nachfrage nach queeren Repräsentationen. Nicht zuletzt bekommt die Frankfurter Buchmesse ihr Fett weg: Von der mangelnden Solidarität und dem fehlenden Schutzraum für BiPoC nach der Teilnahme eines faschistischen Verlages war ja schon an anderen Stellen viel zu lesen. Brav und queer und dekorativ sollen wir sein – diese Forderung ist bekannt. Wie gut, dass es Menschen gibt, die sich ihr nicht unterwerfen wollen.

 

Außerdem gibt es einen Hinweis, dass es nun nicht nur Inhaltshinweise, sondern auch Tags zum Inhalt der Geschichten gibt, so dass Lesende vorher wissen, was sie erwartet.

 

Iva Moor: Medusas Lachen

Wie der Titel schon nahelegt, handelt es sich bei diesem Text um eine Neuerzählung der griechischen Sage von Medusa. Diese wird in eine fiktive Unterhaltung von Medusas Geschwistern Sthena und Euryale verpackt, die darüber sprechen, dass sie wütend sind über die Art, wie Medusas Geschichte erzählt wird. Der Text liest sich in weiten Stücken wie eine lyrische Anklage, die erzählt, was wirklich passiert ist. Moor verwendet dabei eine historisierende Sprache mit vielen intensiven Bildern, wobei die meisten davon altbekannt sind.

Ich gebe zu: Ich mag griechische Mythologie nicht. Mir sind die Geschichten zu blutig und die Motive zu zugespitzt. Der Text erzählt von massiven Übergriffen auf Frauen und auch das halte ich schwer aus. Auch wenn ich den Text trotz meiner geringen Kenntnis des Ursprungsstoffes verstanden habe, habe ich das Gefühl, dass man sich besser auskennen muss, um den Gehalt wirklich aufzunehmen. Die neu erzählte Geschichte von Medusa ist eine, wie man sie tausendfach kennt – und genau darum geht es. Leider hat das den Nachteil, dass sie nur schwer mein Interesse wecken konnte.

 

Lisa Jenny Krieg: Die gläserne Tochter

In einer sehr emotionalen und etwas blumig wirkenden Sprache wird die Flucht einer schwangeren Person beschrieben. Sie hat sich für etwas versklavt, was ich nicht verstehe, und sie fürchtet sich, ohne dass ich weiß, wovor. Die Schilderungen sind für mich sehr intensiv und zu einem großen Teil eklig und abstoßend. Der Text endet mit der Geburt eines Wesens, von dem unklar bleibt, wie die Gebärende es ernähren kann und was es ist.

Für meinen Geschmack bleibt in diesem Text zu viel vom Weltenbau und der eigentlichen Handlung offen, so dass ich die Handlung nicht verstanden habe. Bis auf den Fakt, dass es um die Ausnutzung von Personen mit Gebärmutter als Gebärende geht, kann ich nicht viel sagen. Ein großes Plus ist jedoch die dichte Atmosphäre.

 

Aischa Ella Dismond: MGM & Baby Ray

Auch diese Geschichte habe ich nicht recht verstanden: Marlo, eine professionelle Kämpferin geht in einen Kampf und wird von ihrer Wahlschwester bekniet, es nicht zu tun. Nach dem Kampf taucht Marlos neuster Schwarm auf und die Schwester ist vergessen. Ich gebe zu, ich sehe nicht ganz durch: Partys, Gewalt, Sex, Drugs … zwei Liebende lassen sich treiben und tun in einem düsteren Cyberpunk-Setting irgendwelche Gangdinge, die nicht erklärt werden. Zum Schluss gibt es eine Auflösung, aber auch die habe ich nur zum Teil verstanden. Auch wenn die Protas mir zu blass blieben, ist dieser Text atmosphärisch ansprechend.

 

Liv Kątny: Euer Happy End ist mein Alptraum. Queere und transhumane Ich-Erzähler*innen in phantastischer Literatur

Der Essay beschäftigt sich mit kulturell tradierten Erzählstrukturen und der Frage – nein, eher der Ansage – dass queeres Erzählen diese aufbrechen sollte. Es gehe nicht darum, queere Figuren aus der Außenperspektive zu schildern, sondern ihren Standpunkt einzunehmen, was dann, so verstehe ich es, automatisch neue Erzählstrukturen erfordere. Kątny benennt verschiedene Beispiele solcher Ich-Erzählungen, wobei es mir nicht ganz gelingt zu verstehen, was in diesen so anders ist als in klassischen Erzählstrukturen. Mir fällt auf, wie groß die Rolle ist, die Gewalt, Horror und Marginalisierung in den benannten Beispielen spielen, trotzdem sind da einige Titel dabei, die meine Neugier wecken. Natürlich beruft sich Kątny auch auf die meines Erachtens grandiosen Murderbot Diaries (meine Rezensionen dazu findet ihr hier (Teil 1), und hier (Teil 2) und hier (Teil 6) und hier zur deutschen Übersetzung von Teil eins bis 3) , ein gelungenes Beispiel für queeres Erzählen, das Kategorien von Gender und Mensch versus Nichtmensch in Frage stellt. Gerade das von Kątny benannte Hinterfragen des eigenen Selbstbildes – das Kątny als typisch queer labelt – ist es, was mich in der Murderbot-Serie (meine Rezensionen dazu findet hier und hier) so angesprochen hat (und was in meinen eigenen Romanen auch eine große Rolle spielt). Kątny weist sehr richtig darauf hin, wie viele Fantasy-Erzählungen die heutigen Machtstrukturen unhinterfragt fortschreiben – und damit trotz des Genrenamens einen Mangel an Fantasie aufweisen.

 

Queertalsbericht

Wie immer gibt es hier eine bunte Mischung aus fiktionaler Literatur, die ansprechend rezensiert wird. Eine Besonderheit ist der Hinweis auf ein Sachbuch zum Thema Literaturkanon und Geschlecht und eine Musikrezension.

 

Queer*Welten 8

QueerWelten8 CoverDas ist die erste Ausgabe im neuen Format. Im Vorwort geht es diesmal vor allem um die Frage, ob auch aufgeregt marginalisierte Personen in Geschichten vorkommen sollten – also eben nicht nebenbei und casual queer, sondern durchaus auch wütend und unbequem. Das Redaktionsteam, nun um Heike Knopp-Sullivan bereichert, findet: ja, und hat dazu gleich eine Ausschreibung gestartet.

 

100-Wort-Geschichten

Eine Besonderheit dieser Ausgabe war die Ausschreibung zu 100-Wort-Geschichten zum Thema „aufgeregt marginalisiert“. Davon sind 13 abgedruckt, und zwar nicht am Stück, sondern über die Ausgabe verteilt. Die Texte sind sehr verschieden, es gibt Lyrik und Prosa und es tauchen einige bekannte Autor*innennamen auf. Allerdings kann ich nicht bei allen Texten den Bezug zum Thema erkennen. Meine Favoriten sind Barrierefrei, Blütenregenoffenbarung – über eine Namenswechselzeremonie und Die falsche Frage – Ein Text über Misgendern.

 

Carolin Lüders: Ritorna Vincitor

Dieser Urban-Fantasy-Text spielt in der Jetztwelt. In der gibt es zwei Sorten Hexen, Endohexen, die sich von Gefühlen anderer ernähren (und dabei Depressionen verursachen) und Exohexen, die Magie aus ihren eigenen Erinnerungen ziehen. Mala ist eine Exohexe und möchte die Menschen ihrer Stadt vor parasitären Endohexen bewahren. Sie glaubt, eine Endohexe gefunden zu haben und folgt ihr. Es wird der zarte Beginn einer Liebe geschildert, mit sinnlichen Beschreibungen von Orten und Stimmungen. Da die beiden Hexen aus verfeindeten Lagern sind, klingt ein Romeo und Julia-Motiv an, das mir aber zu wenig ausgeleuchtet wird. Insgesamt ist das eine gut geschriebene und unterhaltsame Geschichte, die mich aber nicht wirklich berührt, vielleicht weil mir das gesamte Setting nicht lebendig genug ist und der Text meines Erachtens deutliche Längen hat.

 

Aiki Mira: Der Zustand der Welt

In dieser Cyberpunk-Geschichte sind anscheinend alle Menschen auf Drogen – ob nun virtuell oder chemisch. Xiang, eine queere Person, soll als Journalist*in auf eine Elite-Party gehen und fühlt sich dort unwohl. Xiang fühlt sich zu Marie hingezogen, einer anderen Partybesucherin, und zu Esme, einem Menschen, der die Party mit veranstaltet.

Ich hatte Mühe, mich in dieser Geschichte zurechtzufinden. Die Sprache war für mich wie eine dieser Partys, in der alles zu laut, zu bunt, zu viel ist. Auch die Handlung, wie Maria und Xiang einen Kind-Roboter retten (?), der auf der Party präsentiert wird, ist mir nur im Ansatz verständlich. Irgendetwas daran gefällt mir (die Stimmung? Die Schrägheit?), aber der Text lässt mich auch sehr ratlos zurück.

 

Sonja Lemke: Hinter den Sternen

Auf einer Raumstation müssen alle eine bestimmte Zahl an Pflichtarbeitsstunden ableisten. Wer das nicht schafft, wird „abgeholt“. Die Geschichte erzählt von Linda, deren Freundin Pia so schwer depressiv wird, dass sie nicht mehr arbeiten kann. Linda möchte mit ihr fliehen. Lindas Angst um Pia ist deutlich geschildert und die Thematisierung von psychischen Erkrankungen ist in der Fantastik viel zu selten. Das sind große Stärken des Textes. Allerdings ist im Text für meinen Geschmack zu viel erklärt und die einfache Sprache wirkt an manchen Stellen etwas unbeholfen.

 

Lauren Ring: Sonnenaufgang, Sonnenaufgang, Sonnenaufgang (übersetzt von Tobias Eberhard)

Amaranthe, eine Person unklaren Geschlechts, ist in einer Zeitschleife gefangen, in der sie jeden Tag stirbt. Amaranthe sammelt Daten über eine Supernova und hat eine genau festgelegte tägliche Routine. Irgendwann fällt eine Astronautin am Schiff vorbei und irgendwann fängt Amaranthe sie auf und es geht anders weiter. Natürlich muss man hier, wie bei Zeitreisegeschichten üblich, nicht mit Logik kommen – da wird der Text enttäuschen. Aber mich störte das überhaupt nicht, weil ich den Text gern als Gleichnis lese, als Bild für die Sehnsucht nach Beziehung.

Ich finde diesen Text einfach genial: Die eigenwillige, stellenweise lyrische Sprache, die sanfte und vorsichtige Beschreibung der Beziehung der beiden zueinander, das Gefühl von Amaranth, nie wirklich eine Beziehung eingehen zu können und die langsame Hoffnung, dass da vielleicht doch etwas ginge. Sätze wie „Eines Tages werden Jet und ich uns das letzte Mal das erste Mal kennenlernen“ sind einfach genial.

Der Text ist ins Deutsche übersetzt worden. Leider steht nicht da, aus welcher Sprache. Die Queer*Welten verrät nur, dass Ring eine jüdische Lesbe ist, Rings Webseite im Netz und die Titel dort sind englisch. Da finde ich es fast schade, den Text nicht im Original gelesen zu haben. In jedem Fall freue ich mich über die Übersetzung einer zeitgenössischen fremdsprachigen Science-Fiction-Kurzgeschichte, das passiert meiner Meinung nach viel zu selten. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass Kurzgeschichten aus der Mode gekommen sind ...

 

Christian Vogt: What is dead may never die. Über Toxische Nostalgie

In seinem Essay betrachtet Christian Vogt das altbekannte Phänomen, dass sich in Film und Buchmarkt Altbekanntes besser verkauft als Neues. Das führe dazu, dass die wenigen Programmplätze mit Abwandlungen des immer Gleichen belegt werden und es für neue Ideen und marginalisierte Stimmen schwer ist, sich Gehör zu verschaffen. Daran ändern auch diverse Casts von Neuverfilmungen alter Stoffe nicht viel – denn auch hier sei kein Platz für einen wirklich neuen Stoff. Vogt liefert eine unterhaltsame und fundierte Analyse, allerdings sind die benannten Inhalte wohl jeder Person aufgefallen, die wach auf Neuerscheinungen schaut. Die Stärke des Essays liegt daher meines Erachtens nicht so sehr im Inhalt, sondern in seinem Aufforderungscharakter: Vogt plädiert für kritische Nostalgie, die wach und reflektiert mit alten Stoffen umgeht – und Raum für Neues lässt.

 

Zum Schluss gibt es wieder den altbekannten Queertalsbericht, diesmal wieder mit Veranstaltungshinweisen. Dazu kommen Rezensionen: da ist eine Zeitschrift und Sachbücher, eine Kurzgeschichtensammlung und natürlich einige Romane und Novelletten. Auch ein Kinderbuch ist dabei. Wie immer habe ich die Rezensionen gern gelesen, sie sind nicht nur Hinweise auf neues Lesefutter, sondern bieten auch einen schönen Überblick darauf, was an progressiver Fantastik international (zumindest deutsch- und englischsprachig) so zu haben ist.

 

Fazit:

Insgesamt muss ich leider sagen, dass meine anfängliche Begeisterung für die Queer*Welten etwas nachgelassen hat. Die ersten Ausgaben enthielten meines Erachtens qualitativ bessere Texte – oder vielleicht auch einfach welche, die meinen Geschmack mehr trafen. Ich für mich muss auch zugeben, dass die Tags mir nicht wirklich dabei helfen, mich interessierende Geschichten vorab herauszufiltern.

Ich verstehe die Idee, verschiedenen Schreibenden eine Plattform zu bieten. Aber Texte, denen man deutlich anliest, dass die Person, die sie geschrieben hat, nicht viel Schreiberfahrung hat, sind für mich keine Freude, mögen sie auch noch so queer sein. Ich bin mir nicht sicher, wie damit gut umgegangen werden kann. Einerseits ist der Raum für neue Stimmen wichtig, andererseits fürchte ich, dass das Magazin seine Leser*innen verliert, wenn die Qualität nicht stimmt. Denn bei einem Literaturmagazin – als dass ich die Queer*Welten auch verstehe – sollte es, so finde ich, vor allem um gute Geschichten gehen. Eine Variante wäre ein sehr sorgfältiges Lektorat – aber natürlich bestünde hier die Gefahr, alle Texte glatt zu bügeln, was den verschiedenen Stimmen nicht gut täte.

Pro Ausgabe einen Text, der mich so begeistert, dass der Kauf der Ausgabe sich für mich gelohnt hat – das ist es, was ich mir wünsche. Eine Kombination aus gutem Text und Progressivität, aus guter Repräsentation und sprachlichen Perlen. Und ich bin sicher: Queer*Welten, das bekommt ihr hin!