Mein Science-Fiction-Jahrgang 2022
Ich weiß, ich bin spät dran. Es ist bereits April, und ich komme zu meinen Highlights des Jahrgangs 2022! Ich habe lange gebraucht zum Lesen. Von den 2022 erstmals auf deutsch erschienenen Werken deutschsprachiger Autor*innen habe ich 231 Kurzgeschichten und 24 Romane gelesen bzw. angelesen. Hinzu kommen Artikel, Interviews und übersetzte Texte. Daraus, dass nur ein kleiner Teil der gelesenen Texte hier rezensiert wurde, lässt sich bereits ablesen, dass mir doch so einiges missfallen hat. Manches traf einfach nicht meinen Geschmack, anderes … nun, dazu später! Rezensiert habe ich nur, was ich auch bis zum Ende gelesen habe, und das war gerade bei den Romanen nicht so oft der Fall. Auch wenn meine Rezensionen häufig kritisch klingen: Hier rezensiert zu sein, heißt bis auf wenige Ausnahmen, dass ein Text mich grundlegend erst einmal überzeugt hat. Das Gemecker ist dann der Bonus. ;)
Wenn ich analysiere, warum ich Texte abbreche, dann ist es oft die Sprache, die mir nicht liegt. Zu konventionelle oder glatte Sprachstile langweilen mich, ebenso wie romantisierende oder adjektivlastige. So etwas habe ich einfach schon zu oft gelesen, was auch heißt, dass man mich mit ungewöhnlichen Adjektiven noch ködern kann. Ich habe auch keine Angst vor langen Sätzen. Noch öfter ist es jedoch so, dass ich einen beim ersten Auftritt überzeugenden Charakter im Verlauf eines Romans als zu flach empfinde, so dass mein Interesse nicht ausreicht, um bis zum Ende durchzuhalten. Mir fehlt dann die Weiterentwicklung oder die Anreicherung mit weiteren Aspekten. Ich bin eben auch in der Literatur psychologisch interessiert und brauche vielschichtige, lebendige Charaktere, die mich durch eine Geschichte tragen. Aber ich möchte hier ja nicht über die Durchschnittsware des Jahres schreiben, sondern über die Perlen, die mich begeistert haben, wobei die Reihenfolge tatsächlich meinem persönlichen und schrecklich subjektiven Ranking entspricht. Die meisten Bücher habe ich schon rezensiert, einige Rezis kommen noch nach, die werde ich nach und nach hier verlinken!
Jols beste Romane
Nils Westerboer: Athos 2643
Spannend und dabei tiefgründig, ein Roman, der lange in mir nachhallte.
Sven Haupt: Wo beginnt die Nacht
herrlich witzig, schräg und assoziativ
Kris Brynn: A.R.T. - Coup zwischen den Sternen
Kunst im Weltall, das ist mal was Neues!
Judith und Christian Vogt: Laylayland
angenehme geschlechtsneutrale Sprache, lebendige Charaktere und ein runder und detailreicher Weltenbau
Ivan Ertlov: Fremde Welten (Stargazer 5)
Humorvoll, spannend und ein ausgeklügelter Weltenbau
Nachhaltig berührt haben mich außerdem Neongrau von Aiki Mira mit einer dichten und sehr eigenen Sprache und der Weltenbau der Schildkröten ;) von Lisa J. Krieg mit seinem Fokus auf Biologie. Außerdem sind mir doch einige (meist verstörende) Szenen aus Die Frauen von Berberath im Gedächtnis geblieben.
Jols beste Kurzgeschichten
Bei 231 Kurzgeschichten kam ich mir, ich muss es zugeben, doch oft vor wie ein*e Flaschensammlerx: Man muss eine Menge Müll durchwühlen, um fündig zu werden … und das ist ja nur das, was veröffentlicht wurde! Genau genommen ist es nur knapp die Hälfte der rund 500 im Jahr 2022 mit ISBN oder ISSN veröffentlichten Kurzgeschichten. Ich gehe trotzdem davon aus, dass es mir gelungen ist, eine repräsentative Auswahl zu lesen, zumal ich bei meiner Auswahl einige Zeitschriften und Herausgeber*innen dabei hatte, von denen ich weiß, dass sie Wert auf Qualität legen. Wenn ich mich am Ende des Jahres noch daran erinnere, warum mir ein Text vor mehreren Monaten gefallen hat, dann ist er wohl gut! Hier sind meine Highlights:
Thorsten Küper: „Hayes Töchter und Söhne“ aus Der Tod kommt auf Zahnrädern
spannend und berührend. Ich mochte vor allem den Umgang mit dem alten Mann, mit seiner Hinfälligkeit
Maike Braun: „Die Retardierten“ aus Nova 31
beklemmend und berührend
Aiki Mira: „Die Grenze der Welt“ aus Exodus 44
hier mochte ich die dichte Atmosphäre und die Begegnung
Helen Obermeier: „Der blassblaue Punkt“ aus Alien Contagium. Erstkontakt-Geschichten
auch hier erinnere mich mich an Atmosphäre und die Beziehung der beiden Protas
Christian Künne: „Wiedererwachen“ aus Weltenportal 4
Da mochte ich die Stimmung und den Twist
Yvonne Tunnat: „Morsche Haut“ aus Der Tod kommt auf Zahnrädern
uuh ja … gekonnte beklemmende Stimmung und ein Phänomen zu Ende gedacht
Galax Acheronian: „Erwachsenwerden“ aus 7 Millionen Tage in der Zukunft
das mochte ich wegen der Idee, die ich so noch nie gelesen habe
Marie Teres: „LIKE OFFLINE SYSTEMS“ aus Sonnenseiten. Streetart trifft Solarpunk
hier mochte ich die Atmosphäre und die Stimmung
Janika Rehak: „Mechanical Circus“ aus Der Tod kommt auf Zahnrädern
und hier erinnere ich mich, dass ich die Bilder mochte, das Assoziative daran
Jols beste Kurzgeschichtensammlung (Anthologie oder Magazin)
Das ist nicht schwer, weil es wirklich eine Sammlung gab, die mir viel mehr Freude bereitet hat als viele andere: Janika Rehak, Yvonne Tunnat (Hrsg.): Der Tod kommt auf Zahnrädern. Ich mag einfach eigenwillige Texte, und davon gab es hier eine ganze Sammlung. Dass ich Teil davon sein durfte, freut mich natürlich enorm! Danke, Yvonne und Janika!
Jols Ausblick:
Da mein Leidensdruck im Laufe des Jahres doch gestiegen ist, werde ich davon absehen, den deutschen SF-Jahrgang 2023 so umfassend wahrzunehmen wie die letzten beiden. Mein Lesestapel ist ins schier Unermessliche gewachsen, und so nehme ich mir für den Rest dieses Jahres vor, ihn lustvoll zu verringern und Bücher zu lesen, die entweder früher erschienen oder englischsprachig sind. Außerdem liegt einiges auf meinem Lesestapel, was nicht der SF zuzurechnen ist: Da gibt es psychologische Fachlektüre, einige Sachbücher und auch ein wenig Phantastik jenseits der SF. Die Ausrichtung dieses Blogs wird sich somit im nächsten Jahr voraussichtlich leicht verschieben. Aber natürlich steht weiterhin SF im Zentrum, und ich hoffe, ihr seid dabei!
Apropos dabei: Im letzten Jahr haben mir fünf Personen als Probeleser*innen zur Seite gestanden und es mir ermöglicht, viel darüber zu lernen, wie meine Rezensionen noch besser werden können. Diesen Personen möchte ich an dieser Stelle noch einmal herzlich danken. Da ich nicht weiß, ob alle davon hier genannt werden wollen, bleibt der Dank anonym. Aber dafür doppelt: Vielen Dank fürs Probelesen, ihr seid großartig!
Vielleicht kann sich ja noch jemand vorstellen, mich probelesend zu unterstützen? Wenn ja, melde dich gern bei mir!
Ansonsten: Auf in die Lektüre!