Frank Makowski: Die Frauen von Berbarath. Edition SOLAR-X

 

dystopisch und spannend

 Berbarath CoverMit diesem Text tat ich mich schwer. Ich konnte ihn nicht beiseitelegen, weil er mich gepackt hatte – und doch habe ich mich immer wieder über ihn geärgert. Vor allem, weil Cover und Klappentext in mir Erwartungen geweckt haben, die das Buch nicht erfüllt – was wahrscheinlich zum großen Teil an meinen Wünschen liegt und nicht an der Aufmachung.

Zunächst mal: Der Text ist kein klassischer Roman. Es gibt keinen übergreifenden Spannungsbogen und keine Protagonistinnen, die den gesamten Text über auftauchen. Ich hielt den Text zunächst für eine Sammlung aus vier kürzeren, und einem längeren Text, die jeweils für sich stehen können, und die, bis auf einige kleine Ausnahmen, keinerlei Bezug aufeinander nehmen. Die Handelnden können einander aufgrund der verschiedenen Zeitebenen nicht kennen. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie auf Berbarath spielen, dem Planeten, auf dem die Kolonisten gelandet sind. Ein anderer Vielleser meinte dann, es sei ein Episodenroman wie „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell. Nachlesen hat mich gelehrt, dass ein Episodenroman wieder etwas anderes ist, „Der Wolkenatlas“ wird bei Wikipedia als „literarisches Kaleidoskop“ bezeichnet. Nun, wie auch immer man das nennt - so etwas ist „Die Frauen von Berberath“ auch: Makowski zeigt den Niedergang einer Gesellschaft anhand von Schlaglichtern, die Klammer besteht nicht in einem klassischen Spannungsbogen, sondern ergibt sich aus der Frage, wie sich die Kolonist*innen und deren Gesellschaft entwickelt. Nur wenige Wochen oder gar Tage sieht der Autor den Frauen zu. „Die Entwicklung der Kolonie über 780 Jahre“, wie es im Klappentext verheißen wird, zeigt sich anhand dieser Schlaglichter, die eigentliche Veränderung wird nicht gezeigt.

Rico Gehrke (Hg.): 7 Millionen Tage in der Zukunft. Verlag Moderne Phantastik Gehrke

 

tja

7 Millionen Tage in der Zukunft

 

 

Ich weiß, was ich mir in meinem Jahresrückblick zu 2021 vorgenommen habe: Fokus auf das Gelungene. Und nun schreibe ich hier einen kritischen Text. Denn: Diese Anthologie ist die schlechteste, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Ich habe mich richtiggehend damit gequält. Ich schreibe trotzdem etwas dazu, weil sie mich zu Gedanken anregt, die ich mit euch teilen möchte. Und weil ich gern einen Austausch anregen würde, darüber, was Anthologien sollen und können und wollen.

 

 

Nils Westerboer: Athos 2643. Klett-Cotta

 

tiefsinnig und spannend

Athos Cover

 

 

Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, Science Fiction zu lesen, die im Klett-Cotta-Verlag erschienen ist, den ich bislang nur von Fachlektüre kenne. 2021 hat mich „Dave“ ziemlich begeistert, dieses Jahr schließt sich „Athos 2643“ an. Ein stilistisch gelungener Roman rund um die Beziehung einer KI zu dem Menschen, für den sie zuständig ist – und um Fragen nach Identität und Verantwortung.

 

 

 

June Is: Simas Fluch. Gefangen zwischen den Zeilen. Ohneohren

unterhaltsames Häh?

 june final highres

In einer Welt, in der es Magie gibt, gibt es Bücher, in die man eintauchen kann: zum Vergnügen, aber auch zur Strafe, um „geläutert zu werden“. Die Protagonistin Aislyn ist sehr neugierig und taucht in eines der Gefängnisbücher ein, das sie quasi dazu einlädt – und ein Abenteuer beginnt. Was erst in einer Fantasywelt beginnt, wird mehr und mehr zu Science Fiction, wobei keine der drei Welten, zwischen denen der Text wechselt, genug ausgearbeitet ist, um wirklich dem Titel „Social Science Fiction“ gerecht zu werden. Die magischen Fähigkeiten spielen für die erzählte Geschichte kaum eine Rolle und die Bücher sind eher wie PC-Spiele mit vollem Eintauchen mit allen Sinnen, wie man sie auch aus diversen Science-Fiction-Welten kennt. Gamer werden bekannte Elemente wiedererkennen: Zwischenbildschirme und Inventare beispielsweise.

 

Magret Kindermann (Hg.): dahinter (Anthologie-Trilogie). Bod

kurzweilige Denkanstöße

 Cover Dahinter

Auf diese Anthologie war ich sehr gespannt: Einerseits, weil sie mich thematisch interessierte (Geschichten, in denen eine zweite Ebene entdeckt werden kann), andererseits, weil ich viele der enthaltenen Namen zumindest von Twitter kenne und drittens, weil ich selbst einen Text dafür geschrieben habe (der dann nicht genommen wurde) und gespannt war, warum er nicht passte.

Was ich schonmal verraten kann, ist, dass diese Anthologie meinen Lesegeschmack sehr getroffen hat. Die Geschichten sind für mein Dafürhalten stilistisch ausgereift, die Plots interessant (bis auf einen, den ich nicht verstanden habe) und sie sind leicht und unterhaltsam zu lesen. Dazu kommen sehr ansprechende Illustrationen, die auch auf dem Reader gut dargestellt werden – wobei sich hier die Printausgabe sicher lohnen würde. Nur eine Sache an dieser Anthologie hat mich verwirrt: Ich habe bei keinem einzigen Text die zweite Ebene entdecken können.

Ellen Norten (Hrsg.) Das Alien tanzt im Schlaraffenland. Schmackhafte SF und Fantastik aus einem hungrigen Universum

 

durchwachsene Menüfolge mit einigen Appetithappen

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Als großer Fan von Adams' Anhalter musste ich mir diese humoristische SF natürlich zu Gemüte führen, zumal sie mir freihaus geliefert wurde, da ein Text von mir enthalten ist. Leider fühlte ich mich in diesem Restaurant des Öfteren wie ein*r Vegetarier*in in einem Steakhaus: Alles voll Essen, aber vieles trifft nicht meinen Geschmack. Ein überraschend großer Teil der Texte überzeugte mich weder stilistisch noch inhaltlich. Dass das alles Kurzgeschichten seien, wird nirgends erwähnt, trotzdem hatte ich es erwartet. Ebenso wie ich erwartet hatte, dass es sich durchweg um Science Fiction handelt. Nicht wenige Texte erzählen jedoch keine Geschichten und einige sind keine Science Fiction. Aber in einem guten Steakhaus finde ich immer ein paar leckere Beilagen und so war es auch hier.

 

 

Mein Science-Fiction-Jahr 2021

ein Rückblick und Zwischenfazit

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Ich bin Science-Fiction-Fan, so lange ich denken kann. Schon im Vorschulalter klebte ich an der Mattscheibe, wenn es etwas außerhalb der Erde zu entdecken gab. Später lass ich die osteuropäischen Werke aus der Sammlung meines Großvaters. Im letzten Jahr fiel mir auf, dass ich mittlerweile fast nur englischsprachige Bücher lese – und so nahm ich mir vor, das zu ändern. 2021, so mein Vorhaben, lese ich so viele deutschsprachige Neuerscheinungen im Bereich Science Fiction wie ich mir leisten kann – sowohl Kurzgeschichten als auch Romane. Eigentlich war meine Idee, über alles zu bloggen, was ich so lese. Ich träumte von einem Kopfsprung in tolle Texte, der Entdeckung neuer Welten und Charaktere, dem wollüstigen Schwelgen in Sprachkreationen und, so dachte ich, der Entdeckung von Selfpublishern und Kleinverlagen. Meine Vorstellung war, dass das Limit mein Geldbeutel sein würde.

S.M. Gruber, Liv Modes, Jen Pauli, Nadja Kasolowsky & Katharina Stein (Hg.) : GroßstadtGeheimnisse. Funkentanz im Dämmergrund. bod

 stilistisch und inhaltlich ansprechende Sammlung

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26 Kurzgeschichten sind eine Menge – meiner Erfahrung nach gelingt es fast nie, so viele Geschichten zu sammeln, bei denen ich Freude am Lesen habe. Umso erfreulicher, dass hier mein Geschmack so gut getroffen wurde: eine Perle reiht sich an die nächste. Ja, es sind einige Texte dabei, die mich weniger ansprechen, aber es gab nur einen, bei dem ich keine Qualitäten entdecken konnte – und das kann auch gut Geschmackssache sein oder ich stand einfach auf dem Schlauch. Da mein eigener Text in dieser Anthologie dabei ist, weiß ich, dass das Lektorat sehr sorgfältig war, das macht sicher viel aus, vor allem stilistisch.

Auch interessant: Nicht wenige Geschichten haben fantastische Anteile und fast alle sind irgendwie traurig, haben eine melancholische Grundstimmung. Es geht um Einsamkeit in all ihren Facetten, um die meist vergebliche Suche nach Anschluss – etwas, was viele mit Großstadt assoziieren und somit thematisch auch gut passt.

Ähnlich interessant ist für mich, dass viele Texte Beispiele für eine gute Repräsentation von Personen mit psychischen Störungen sind: Da gibt es Depressionen und Sucht, Demenz und sogar einen Text zu Schizophrenie, der mal nicht in die Klischeefalle tappt.