Cila Yakecã, David Kwaku Ehlers, Ilyas Kiliç, Seggen Mikael (Hrsg.). Racialised Faces in (white) creative Spaces. Ein Sammelband über Rassismus in der Kultur- und Kreativwirtschaft. edition assemblage

anregend und herausfordernd

RacializedFacesDer Sammelband enthält neben einem Vorwort und einer Einleitung 15 Beiträge mit verschiedenen Sichtweisen auf das Thema, mit sehr verschiedenen Herangehensweisen und Hintergründen. Außerdem sind zahlreiche schwarz-weiß-Illustrationen enthalten. Neben Texten auf deutsch und englisch enthält das Buch drei Texte in anderen Sprachen mit QR-Codes zu Übersetzungen ins Englische.

Die Lektüre des Buches erlebte ich als Wechsel von Anregung, Heraus- und Überforderung. Manche Texte waren mir auch nach mehreren Versuchen kaum zugänglich, wie der von Kamei Freire über Spiritualität und darüber, welche Kraftquelle für Schwarze und PoC in Spiritualität liegt. Andere Texte haben meine Weltsicht auf so notwendige Weise erschüttert, dass sich für mich die Lektüre des Buches allein schon dafür gelohnt hat. Berührt hat mich vor allem die berechtigte Wut der Autor*innen. Einige Gedanken zu und aus ihren Texten möchte ich hier teilen – und unbedingt dazu einladen, sich den Sammelband selbst zu Gemüte zu führen.

 

Sylvana Freyberg und Uwe Post (Hg.) Future Fiction Magazine Nr. 4, April 23: Deutsche Ausgabe

Berührende düstere Texte

Jean-LoCover der Zeitschriftuis Trudel (Kanada): Mit dem Fahrrad zum Zombie-Strand (Übersetzung aus dem Englischen)

Eine Frau entscheidet sich, zum Zombie zu werden. Langsam erfahren wir, dass dies in ihrer Welt bedeutet, offline zu gehen und ein paralleles Leben zu führen. Ich mochte diesen Text zu Beginn sehr, er ist vom Nachdenken der Prota über ihren „Tod“ bestimmt. Dann wandelt sich der Text und wird zu einer Verfolgungsgeschichte, in der die Prota vor ihren Kindern flieht, die sie von ihrem Entschluss abhalten wollen. Warum sie das wollen, bleibt fraglich. Dann wandelt sich der Text erneut und die Prota führt Gespräche mit anderen Zombies, die sie erkennen. Welche Rolle sie in der Vergangenheit gespielt hat und wofür sie erkannte wird, habe ich aber auch nach mehrfachem Lesen nicht verstanden, so dass dies für mich ein Text mit einem starken Beginn und einem schwachen Ende bleibt, der mich nicht in Gänze überzeugen konnte.

 

 

Christian Kellermann: Adam und Ada. Hirnkost

spannend und langatmig

Adam und AdaZwei Zeitebenen werden in diesem Buch abwechselnd erzählt: Die erste spielt um 1920, im Zentrum stehen Hobby und Allan McAllan. Die zweite handelt von Ada McAllan und spielt gut einhundert Jahre später. Während Ada versucht, mithilfe von selbstlernenden neuronalen Netzwerken, die sie ungenauerweise KIs nennt, die genaue Natur von Proteinen zu entschlüsseln, ringt ihr Urgroßvater Allan mit seinem Chefarchitekten Hobby darum, einen Tunnel von Amerika nach Europa zu bauen. Beide Vorhaben wirken auf mich ähnlich wissenschaftlich unhaltbar: Schon aufgrund der Plattentektonik – Amerika und Europa driften jedes Jahr mehrere Zentimeter auseinander – ist ein solcher Tunnel nicht denkbar, ganz abgesehen von den im Buch benannten Problemen des Drucks und der Temperatur. Aber auch die Idee, dass man nur verstehen und berechnen müsste, wie Proteine gefaltet sind, um Unsterblichkeit erlangen und jegliche Krankheit zu heilen, erscheint weit hergeholt. Auch wenn das Verständnis für die Proteinfaltungen sicher einige Mysterien aufklären würde. Nun stören mich derlei Dinge in Science-Fiction-Romanen meistens nicht im Geringsten – hier ist es anders, weil die technische Seite der Unternehmungen im Zentrum des Textes steht. Für mich ist daher ein Text entstanden, der sich wiederholt seitenweise in fiktiver Wissenschaft ergeht, was mich leider gelangweilt hat. Fans solcher Herangehensweisen kommen aber sicher auf ihre Kosten.

Patricia Eckermann: Elektro Krause. tredition

spannend und flippig

Elektro Krause

 

 

Der Einstieg in diesen Roman hat mich sofort begeistert: In flapsiger Sprache erzählt mir da Ich-Erzählerin Kassy, dass sie als Schwarze Deutsche bei ihrem Heimatland sofort an Nazis denkt. So auch, wenn sie sich an 1989 erinnert, die Zeit, in der die Handlung spielt. Um mal zu zitieren: „Okay, ein paar feige Verpisser, darunter auch der Arsch, der uns das ganze Elend eingebrockt hat, haben sich vor Kriegsende selbst aus dem Leben gekugelt, aber der große Teil der Nazis ist einfach so durchgekommen“. Das empfinde ich als witzig, zugespitzt und sehr eigen. In mir weckt es die Erwartung eines lebensnahen Textes über das Leben als Schwarze Deutsche mit eigenem Blick auf die Nazizeit und das Fortdauern entsprechender Ideologie ins Heute.

 

 

Judith Vogt, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan (Hrsg.): Queer*Welten 10-2023

volle Ladung queere SF

qw10 front bw 700x1001Das Vorwort äußert sich diesmal zu jeder Kurzgeschichte und ordnet diese ein – und legt dar, dass diese Jubiläumsqueerwelten einen Science-Fiction-Schwerpunkt hat. Da bin ich natürlich sofort begeistert!

Melanie Vogltanz: No Filter

Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich eine Kurzgeschichte mit wechselnden Perspektiven gelesen habe, die mich wirklich überzeugt hat: Sem und Eris begegnen sich, weil Sem die alte DVD-Sammlung der Mutter verkauft. Und Eris sammelt alte DVDs, aus Zeiten, in denen nicht jeglicher Content zensiert wurde, so wie es jetzt in dieser Welt passiert. In kleinen Szenen wird deutlich, was das bedeutet. Der Text schildert sensibel das Zusammentreffen beider Personen und zeigt einen Umgang mit potenziell verstörenden Inhalten auf, der ohne Verbote auskommt.
Mich hat dieser Text begeistert. Es ist genau die Sorte Text, die ich mir für meine „Psyche mit Zukunft“-Ausschreibung wünsche: sprachlich schön, mit eigenen Bildern und Vergleichen, inhaltlich dicht und mit mehreren Ebenen (da wird nebenbei noch eine Mutterbeziehung aufgemacht und eine Freundschaft erzählt), und mit ausgefeilten aber nicht übererklärten Charakteren, die mit ihren Eigenheiten sensibel dargestellt werden.
Hachz! Ich liebe diesen Text!

Annalee Newitz: Autonomous. Tor

düster, dicht, spannend

AutonomousDer Text hat mich auf den ersten Seiten sofort eingesogen: Jack lebt auf einem U-Boot und liest in den Nachrichten von einer Studentin, die nicht mehr aufhören konnte, an ihrer Hausarbeit zu arbeiten und daran starb. Kann es sein, dass Jack mit schuldig ist? Vor den Lesenden breitet sich eine sehr reiche und detailgetreu gezeichnete Welt ab, die immens düster daherkommt: purer Kapitalismus regiert, alles, auch Menschen, kann jemandem gehören. Menschen und Bots sind kaum noch unterscheidbar, alle sind modifiziert und regulieren sich mithilfe von Substanzen.
Jack, so erfahre ich, ist Medikamentenpiratin: Sie baut teure Medikamente nach, so dass alle, die sie brauchen, sie sich leisten können. Sie finanziert diese idealistische Tätigkeit mit dem Verkauf leistungsfördernder teurer Drogen, die mitunter gravierende Nebenwirkungen haben: Ist die Studentin wegen einer solchen Droge arbeitssüchtig geworden und gestorben? Jack möchte ihren Fehler, diese Droge verfügbar gemacht zu haben, rückgängig machen. Aber natürlich ist der Konzern ihr schon auf den Fersen: Eliasz, ein Mensch, soll mit seinem Bot-Partner Paladin die Piratin Jack aufspüren. Das könnte ein Wettlauf zwischen Gut und Böse sein, wären nicht Eliasz und Paladin ähnlich sympathisch wie Jack. So verschwimmen die Grenzen und angenehme Grautöne dominieren die Erzählung.

Lena Richter: Dies ist mein letztes Lied. Ohneohren

berührend und viel zu schnell vorbei

Letztes Lied Cover

 

Diesen Schreibstil habe ich sofort geliebt: eigene Bilder und trotzdem leicht lesbar, eine flüssige Sprache, die das Beschriebene in mir lebendig werden lässt. Die Hauptperson Qui wächst in einer zukünftigen Welt auf, in der Qui eigene Träume langsam vergisst und zwischen Ablenkung und Arbeit pendelt – genau wie Quis Freund*innen. Als es darum geht, auf einem klavierähnlichen Instrument zu spielen, um drei Drinks zu gewinnen, sitzt Qui erstmals seit Jahren wieder an einem Instrument. Aus Quis Fingern fließt ein Lied, das die gesamte Sehnsucht und Ausweglosigkeit fasst, und es erscheint eine magische Tür, die nur Qui durchschreiten kann. Qui geht – und begibt sich in ein neues, unerklärliches Leben.

 

 

Becky Chambers: A Prayer for the Crown-Shy (Monk & Robot 2). Tom Dohorty Associates

berührendes Wohlfühlbuch

Monk and Robot 2Der Mensch Dex und der Roboter Mosscap, die man schon aus dem ersten Band kennt, bereisen zusammen die Menschenwelt. Ohne Spannungsbogen im klassischen Sinne folgen wir den beiden lesend, sehen zu, wie Mosscap verschiedenen Menschen seine Forschungsfrage stellt: „What do you need?“ Natürlich ergeben sich die absurdesten Begegnungen und Antworten.
Dex beschließt, seinen Beruf aufzugeben und nicht wieder Teezeremonien abzuhalten. Dex wird so zum Begleiter von Mosscap, lässt sich im Wesentlichen treiben. Gemeinsam entdecken sie Dex’ Welt neu. Mich hat dabei recht schnell eine Leerstelle gewundert, die mir schon im ersten Band aufgefallen ist, und die ich hier nicht näher benennen möchte, weil sie am ehesten das ist, was in diesen Büchern den Spannungsbogen bildet. Der Text geht dieser Leerstelle nach und reichert sie immer weiter an, bis Dex und Mosscap Dex’ Familie besuchen und kurz darauf alles in einem enorm berührenden Gespräch kulminiert, das mir die Tränen in die Augen getrieben hat. So ergibt sich ein beide Bücher durchziehendes zentrales Thema, das über weite Strecken recht unauffällig mitläuft – was ich als eine hohe Kunst empfinde! Und plötzlich bekommt der Titel einen Sinn. Einen sehr, sehr schönen.
Daneben behandelt Chambers weiter Themen wie Sterblichkeit und was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Mich haben vor allem die Begegnungen mit Menschen, die willentlich auf jegliche Technik verzichten, berührt.