Elizabeth Moon: Speed of Dark. Orbit
intim und berührend
Lou ist Autist, eine Krankheit, die in seiner Welt nur noch bei älteren Menschen vorkommt, die also weitgehend eliminiert ist. Er lebt allein und arbeitet für ein Pharmaunternehmen in einer Abteilung voller Autist*innen, die sehr erfolgreich Muster in Daten analysieren. Als die Firma ihm anbietet, seinen Autismus zu heilen, fragt Lou sich, ob er das möchte. Wer wäre er ohne Autismus?
“Speed of Dark” ist ein langsames Buch, das uns tief in Lous Gedanken eintauchen lässt. Es mäandert mit seinen sich wiederholenden Gedanken, folgt seitenlang seinen Ruminationen. Es fiel mir leicht, mich auf dieses Tempo einzulassen, denn ich empfand die Intimität der Ich-Erzählung als berührendes Geschenk: Lou nahm mich mit zu sehen, wie er die Welt sieht, wie er sich an Wortbedeutungen oder Krawattenmustern aufhängt. Seine Welt ist sehr anders als meine und dann doch wieder sehr ähnlich, besonders das Überfordertsein mit sensorischem Input kenne ich gut. Hinzu kommen Lous Ringen darum, in einer Welt, die auf neurotypische(re) Personen zugeschnitten ist, bestehen zu können, sowie Begegnungen mit Personen, die Dinge erwarten, die Lou nur mit Mühe leisten kann: seine Schwierigkeit, zu verstehen, was andere ihm mitteilen, wo ich beim Lesen oft genau wusste, worum es geht. Moons großes Verdienst ist es meines Erachtens, diese Einblicke einfühlsam und ohne Wertung zu gewähren und dabei zu vermitteln, was es heißt, immer wieder einem großen Normativitätsdruck ausgesetzt zu sein, immer wieder die Erfahrung zu machen “nicht normal” zu sein: “Even as hard as I try, the real people still want me to change, to be like them.” Dass der Text dabei an manchen Stellen zuspitzt, habe ich ihm nicht übelgenommen, zumal ich mir leider vorstellen kann, dass uneinfühlsame Fachpersonen (Psychiater*innen, Psycholog*innen und Berater*innen), wie sie im Buch geschildert werden, keine Seltenheit sind. Lou hat leider ausschließlich Kontakt zu solchen Fachpersonen.