Janna Ruth: Memories of Summer. Wer bist du ohne Vergangenheit. Moon Notes.

Einfühlsam und spannend

Cover Memories of SummerDer Einstieg in diesen Text ist mir leichtgefallen: Ich mochte die Sprache und die Art, wie mich Ruth gleich in den Text warf: Das erste Kapitel beginnt damit, wie der Protagonist Mika vor einem Schaufenster steht und das Objekt seiner Begierde, einen neuen Tablet-PC, bewundert. Dann geht er Erinnerungen spenden und trifft dort eine junge Frau, die eine ehemals sehr enge Freundin von ihm war (Lynn) – an die er sich aber nicht mehr erinnert. So ist das zentrale Konfliktfeld des Textes schon auf den ersten Seiten aufgemacht: Wie viel sind Erinnerungen wert?

Der Roman ist aus der Sicht von Mika geschrieben, der gerade dabei ist, erwachsen zu werden und seinen Schulabschluss macht. Eigentlich mag ich Texte im Präsens nicht, aber Mikas Erzählstimme hat mich so gut mitgenommen, dass ich ihm gern gefolgt bin. Mika scheint ein sozialer, etwas nerdiger, zugewandter Typ, der einerseits fast alles tut, um die neuesten Gadgets zu haben, andererseits aber auch sehr fürsorglich ist, wenn es um Freund:innen oder seine Familie geht. Das Ganze ist in einer etwas flapsigen, zu einem Jugendlichen passenden Sprache geschrieben, mit leicht kitschigen Einschüben, die ich Ruth verzeihen konnte, weil sie stets nur kurz sind (auch in diesem Text brechen einige Herzen – eine Formulierung, die ich eigentlich nicht mehr lesen möchte). Lynn, die zweite Hauptperson, wirkt von Anfang an weicher, aber sie ist auch ehrgeizig. Und sie ist depressiv, was gelungen beschrieben ist. Allerdings kommt ihre Therapeutin in dem Text nicht gut weg, was ich als Person des selben Faches natürlich schade finde.

Raphaela Edelbauer: Dave. Klett-Cotta.

sprachlich dicht, beklemmend

 Cover Dave

„Dave“ liest sich nicht wie Science Fiction, sondern wie hohe Literatur: Die dichte, stellenweise wie eine wissenschaftliche Arbeit anmutende Sprache erlaubt kein schnelles Lesen. Es brauchte etwas Zeit, bis ich mich in diesen Text hineinfinden konnte, ich mich darauf einließ. Aber dann war es durchaus eine lohnenswerte Lektüre.

Was mir als erstes auffiel, war die Beziehungslosigkeit des Protagonisten Syz, der in der Ich-Form erzählt. Er erscheint seltsam körperlos, als schwimme er irgendwie surreal durch eine Welt, deren Weltenbau sich mir bis zum Schluss nicht wirklich erschloss. Zentral ist es, DAVE zu schaffen, eine künstliche Intelligenz, die Bewusstsein hat und sich selbst erkennen kann. Um Dave ist die gesamte Welt angeordnet, er ist die zentrale Figur oder auch Vision. Daneben erscheinen die anderen Personen fast blass: Ich verstand nicht, wie die Freundschaften funktionieren, wie Syz sich den Leuten nahe fühlt (und warum) und warum scheinbar niemand sinnlich oder körperlich spürbar zu sein scheint. Syz, so heißt es im Text, ist ein Mann, ich erlebte ihn aber nicht als solchen. Geschlechtliche Zuschreibungen werden in dem Text zwar benannt, spielen aber kaum eine Rolle, weil fast alle Personen körperlos wirken.

Michael Tinnefeld & Uli Bendick (Hg.), DIAGNOSE F. p.machinery

Enttäuschung oder Geschmackssache?

 Diagnose F Cover

Mit dieser Anthologie habe ich mich schwer getan. Und ich weiß immer noch nicht, ob es schlau ist, etwas darüber zu schreiben, denn ich sage es gleich vorweg: Mein Hauptgefühl nach der Lektüre ist Enttäuschung. Ich habe diese Anthologie sehnlich erwartet und mich geärgert, dass ich die Ausschreibung verschlafen habe: Eine Anthologie, die meine beiden Lieblingsthemen und Berufsfelder verbindet: psychische Störungen und Science Fiction. Das, so dachte ich, muss grandios werden!

Womit ich nicht gerechnet hatte: Natürlich habe ich einen sehr eigenen Geschmack und natürlich ist mein Blick auf diese beiden Themen auch von meinem Standpunkt geprägt. Zu diesem gehört es, dass ich nicht nur als genderqueere Person therapeutisch und schreibend arbeite, sondern dass ich den psychotherapeutischen Beruf ergriffen habe, nachdem ich in meiner Jugend selbst psychotherapeutische Hilfe gebraucht und als enorm hilfreich erfahren hatte. Ich lese also nicht nur als Fachperson, sondern auch als Betroffene. Ein wichtiges Augenmerk für mich ist daher Entstigmatisierung. Was ich erwartete, waren Geschichten mit psychisch erkrankten Hauptfiguren, die mit, trotz oder wegen ihrer Störungen Probleme lösen. Ich nahm an, es gäbe Handlungen, bei denen die Diagnosen nicht zentral sind, und sich selbst ermächtigende Protagonist:innen. Ich wurde enttäuscht.

Nun ist es unfair, einem Buch vorzuwerfen, dass es meine Moralvorstellungen und meinen Geschmack nicht getroffen hat. Trotzdem ist dieser Text letztlich Ausdruck genau diesen Vorwurfs. Ich hoffe, dass er trotzdem lesenswert ist und es mir gelingt, einige der Klischees und Stigmata rund um psychische und psychiatrische Erkrankungen zu thematisieren. Und ich hoffe auch sehr, dass ich einmal die Möglichkeit haben werde, ein Projekt zu verwirklichen, das meinem Traum entspricht. Aber bis es soweit ist: Hier mein Senf zu „Diagnose F“.

Claudia Tieschky: Die silbernen Felder. Rowohlt

melancholisch und traumähnlich

Cover silberne Felder

 

 

Die lyrische, ruhige und dichte Sprache der Ich-Erzählerin dieses Buches zog mich schnell in den Text hinein. Ich war wie gefangen von der Intimität der Erzählung, gleichzeitig blieben mir Erzählerin und Welt seltsam fremd. 

 

 

 

 

Christian Vogt: Ace in Space 2. Trident. Ach je Verlag

Ballerei, Sex und markige Sprüche

Covertrident 600x960

 

 

Das Buch enthält für mich überaschenderweise eine Novelle und zwei Kurzgeschichten, die alle in einer ähnlichen, vielleicht auch identischen, Welt spielen. Die Novelle von Christian Vogt beginnt mit einer Weltraumkampfszene zwischen verschiedenen Personen und Raumschiffen, wobei mir die Orientierung schwer fällt: Wer ist wer, mit welchem Schiff und was machen die? Möglicherweise liegt das daran, dass ich Teil eins nicht gelesen habe.

 

 

 

Heidrun Jänchen: Simon Goldsteins Geburtstagsparty. Wurdack Verlag

spannend und eigenwillig

Goldsteins Geburtstagsparty Cover

 

Mit diesem Buch verband mich beim Lesen schnell eine Hassliebe und ich weiß immer noch nicht genau, ob es eins meiner Lieblinge wird. Ich liebe Jänchens Schreibstil: präzise, mit einem feinsinnigen Humor und an manchen Stellen auf angenehme Weise eigensinnig. Ich mochte einen der Protagonisten und die Art, wie es Jänchen gelungen ist, eine beklemmende Welt zu schildern, die mich schnell gefangen nahm. Das Buch ist auch sehr spannend. Aber es hat auch Schwachpunkte, die mir das Lesen immer wieder schwer gemacht haben, vor allem im Plot und im Weltenbau.

 

 

QueerWelten Heft 4. Ach je Verlag

lesenswert und augenöffnend

 queerwelten 04 Cover

 

Nach einem Vorwort mit der erfreulichen Nachricht, dass der Fortbestand der QueerWelten für mindestens ein Jahr gesichert ist, folgen drei Kurzgeschichten, ein Essay und der Queertalsbericht, wobei mich in dieser Ausgabe alle Texte ansprachen.

 

 

Lars Schmeink und Ralf. H. Schneider (Hrsg.): Future Work. Die Arbeit von Übermorgen. 15 Kurzgeschichten aus der Zukunft. KIT Scientific Publishing.

hoher Anteil an guten Geschichten

Die Arbeit von bermorgen Cover

 

 

Zusammenarbeiten zwischen Science-Fiction-Schreibenden und Wissenschaftler:innen sind im deutschen Sprachraum eher selten, daher hat dieses Projekt mein Interesse geweckt und ich habe mich mit einer Geschichte beteiligt (die auch im Band enthalten ist). Entstanden ist ein lesenswerter Band, der aber auch einige Schwächen hat.