Bernadine Evaristo: Girl, Woman, Other. Penguin Books bzw. btb (deutsch)
irritierend und anregend
Normalerweise rezensiere ich hier ja deutsche Science-Fiction. Heute möchte ich eine Ausnahme machen, denn Evaristos Buch hat mir so viel Nachdenkstoff gegeben, dass ich gern öffentlich darüber schwadronieren möchte. Ich habe das Buch auf englisch gelesen, es liegt aber auch in deutscher Übersetzung vor.
Das Buch hat mir den Einstieg nicht leicht gemacht. Evaristo erzählt die Lebensgeschichten von 11 Frauen und einer nichtbinären Person of Colour, die alle (zumindest zeitweise) in Großbritannien leben. Sie schreibt Satzanfänge klein und verzichtet weitgehend auf Satzzeichen, meistens ist ein Satz eine Zeile. Es dauerte eine Weile, bis ich für mich verstanden hatte, dass ich den Text genießen kann, wenn ich ihn so lese, als würde mir jemand den Text erzählen. In der Tradition von oral history hatte ich die fiktiven Stimmen der Erzählenden im Ohr, die ganz unterschiedliche Facetten von Leben in Großbritannien aufblättern: da sind Bildungsaufsteiger*innen, da ist die Generation der Einwandernden, da sind Leute, die sich gerade über Wasser halten und Leute, die sehr wohlhabend sind. Besonders spannend war für mich der unterschiedliche Blick auf Rassismen und der Umgang damit, wobei jede Person natürlich ihren eigenen Blickwinkel für den einzig wahren hielt. Bei der Benennung von „Marginalisierungs-Olympiaden“, bei denen jede Person versucht, die eigene Marginalisierungserfahrung gegen die anderer Personen auszuspielen, musste ich schmunzeln.