Ryka Aoki: Light From Uncommon Stars (tor books) oder Das Licht ungewöhnlicher Sterne (Heyne)

skurril und leicht

Ryka Aoki Stars

 

 

Katrina, ein jugendliches trans Mädchen flieht aus ihrem gewaltvollen Elternhaus. Eine berühmte Geigenlehrerin sucht nach der nächsten Schülerin, deren Seele sie dem Teufel opfern kann. Und eine außerirdische Crew übernimmt einen Donutladen. Ich gebe zu, anfangs haben mich diese drei Stränge eher abgeschreckt. Ich fand den Text oberflächlich, zugespitzt und voller Klischees, auch in Bezug auf die Figuren, die alle einen asiatischen Hintergrund haben (aus verschiedenen Ländern: Vietnam, Japan, China u.a.). Auch irritierte mich, dass der eine Strang eher im Genre Urban Fantasy angesiedelt ist, während der andere sich wie SF liest. Aber dann kam das Ganze zu einer genialen humorvollen Geschichte zusammen und ich hatte wirklich Spaß.

 

Shawna Potter: Making Spaces Safer: A Guide to Giving Harassment the Boot Wherever you Work, Play and Gather. AK-Press

Pragmatisch und liebevoll

Safer spacesShawna Potter, Band-Frontperson von „War on Women“ aus Baltimore, arbeitet seit über zehn Jahren daran, Gemeinschaften lebendiger und sicherer für alle zu machen. Sie gibt dazu Seminare und hat mit diesem Buch ihre Erfahrungen und Anregungen für alle zugänglich gemacht. Das Buch ist auf englisch über https://www.akpress.org/making-spaces-safer-book.html erhältlich, es gibt außerdem eine sehr erschwingliche Kurzversion. Potter lädt explizit dazu ein, die Inhalte bekannter zu machen und zu teilen, daher werde ich in dieser Rezension auch versuche die inhaltlichen Hauptpunkte des Buches wiederzugeben.

Potter schreibt in einer leicht lesbaren und inklusiven Sprache; allgemein angesprochene Personen werden entgendert mit they benannt, PoC und Personen mit Behinderungen explizit mitgedacht.

Das Buch beginnt mit einer Einladung und Erklärung, warum es sinnvoll ist, sich um einen Safer Space zu bemühen, egal ob mensch eine Bäckerei, einen Club oder einen anderen Ort, an dem sich Menschen versammeln, betreibt. Dies sei gute Werbung und wir alle wollen, dass sich unsere Gäst*innen oder Kund*innen wohlfühlen. Es gebe zwar keine rundum sicheren Orte und das könne auch niemand erreichen, aber danach zu streben sei für alle besser.
Was mich an dem Buch am meisten beeindruckt, ist, dass es einerseits klar ist, welches Verhalten nicht geduldet wird, dass der Text aber andererseits von einer tiefen Liebe für alle Menschen getragen ist, auch für die, die gerade andere kränken oder verletzen. Eine derartige Haltung, in der jeder Person ein Recht auf Veränderung zugestanden wird, erlebe ich selten.
Potter stellt dar, wie beschämend es ist, öffentlich belästigt oder angegriffen zu werden. Das Gefühl, dass Zusehende es dulden, wenn ich schlecht behandelt werde, macht die Belästigung sehr viel schwerwiegender. Um das zu ändern, kann jede Person beitragen.
Im Lesen fiel mir auf, dass das englische Wort „harassment“ sich nicht gut übersetzen lässt, beinhaltet es doch nicht nur Belästigungen, sondern auch Bedrohungen, Drangsalierungen und beunruhigendes Verhalten. Wie all diese Dinge verhindert und wenn sie geschehen, gut aufgefangen werden können, ist Inhalt des Buches.

Ursula K. Le Guin: Am Anfang war der Beutel. Warum uns Fortschritts-Utopien an den Rand des Abgrunds führten und wie Denken in Rundungen die Grundlage für gutes Leben schafft. ThinkOya

mindblowing

Le Guin Beutel

 

Das schmale handliche Büchlein vereinigt sechs Essays und ein Gedicht der berühmten feministischen Autorin. Teilweise handelt es sich um gehaltene Vorträge. Bereits der Untertitel des Büchleins macht klar, dass Le Guin hier politisch wird: Es geht ihr nicht nur um phantastisches Schreiben, sondern um einen anderen Blick auf unser jetziges Leben – und die Frage, wie dieses verbessert werden kann. Le Guin verzaubert dabei mit ihrer eindringlichen, dichten Sprache und bekommt es hin, nur schwer Fassbares in Worte zu fassen. Kein Wunder, dass ich vieles an diesen Texten nur inuitiv aufnehmen konnte.

 

Reda El Arbi: [empfindungsfæhig]. lectorbooks

kampflastiger Pageturner

EmpfindungsfhigDer Schweizer Autor El Arbi schafft es schon in den ersten Zeilen, Stimmung zu erzeugen: Eine Ermittlerin schleicht durch einen alten Keller, um auf eigene Faust Kriminelle zu erlegen. Ich kann den Keller förmlich riechen und bin auch gleich in die Spannung hineingesogen, auch wenn ich mich frage, warum sie ausgerechnet morden möchte und wie ich das finde.
Geärgert hat mich, dass die Ermittlerin ableistisch vor sich hin schimpft (da könnte die Sprache in 60 Jahren doch verändert sein und Schimpfwörter müssten keine Menschen mit Behinderungen mehr entwerten) und dass sie auch auf sehr abwertende Art an ihre Tochter Lea denkt, der nach einem Unfall ein Arm fehlt. Mit Lea geht die Geschichte dann auch weiter. Sie wird als zynische ehemalige Alkoholikerin und Drogensüchtige eingeführt, die die Detektei der Mutter übernimmt. Hilfe hat sie dabei von Cali, einer taktischen Militär-KI, die ihre Armprothese steuert und auch Leas Körper übernehmen kann, um sie zu einer Superkämpferin zu machen.
El Arbi schafft es einerseits, lebendige und verschiedene Figuren zu entwerfen, andererseits kommen mir diese nach der gelungenen Einführung nicht wirklich nahe. Da sie alle sehr ähnlich sprechen und handeln, gerieten sie mir auch immer wieder durcheinander.
Da ist neben Lea noch Meyr, ebenfalls Ermittler, der nach einem für ihn vorteilhaften Angebot die Seiten gewechselt hat und vom Kriminellen zum Polizisten wurde, und Markwart, ein Staatsanwalt. Eine Rolle spielen auch Leas Ex-Freundin und ihre neue Flamme Melissa, Markwarts Tochter. Ich liebte die herrlich schrägen Figuren, so beispielsweise Klara, die Sexarbeiterinnen aufpäppelt und in Leas Haus lebt, oder die Blood Sisters, zwei Gangfrauen, die Lea beschützen. Aber leider nutzt El Arbi seine Figuren nicht wirklich: Nach der stets gelungenen Einführung fluchen sie alle gleich ableistisch und sexistisch, und metzeln sich als harte Kämpfer*innen durch die Gegend. Irgendwann bekam ich das Gefühl, all die Figuren seien nur eingeführt, um im großen Showdown – nach dem das Buch merkwürdigerweise noch weitergeht – aufgefahren zu werden. Das fand ich dann enttäuschend. Nach dem Showdown werden vor allem die Beziehungsgeschichten weitergeführt, diese fand ich jedoch in ihrer Austauschbarkeit und Vagheit enttäuschend. Besonders geärgert hat mich eine Unterhaltung der KIs über psychiatrische Diagnosen der handelnden Menschen, die zum Teil hanebüchener Unsinn sind, ebenso wie unnötige diskriminierende Vergleiche, die ich hier nicht wiederholen möchte. Die Entwertung von Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen zieht sich hier leider durch.

Mary Robinette Kowal: Die Berechnung der Sterne. Piper

erstaunlich konservativ

Kowal SterneAuf dieses Buch hatte ich mich gefreut: Eine Geschichte der Raumfahrt aus weiblicher Perspektive? In einer Alternativwelt, die den 1950ern ähnelt? Das hatte bei mir von vornherein einen Bonus. Und dann noch Hugo, Nebula und Locus-Award. Das kann nur gut sein! Ich nehme es mal gleich vorweg: Das Ergebnis hat mich enttäuscht. Und das, obwohl Kowal auf den ersten Blick eine Menge richtig macht. Ich habe hin und her überlegt, warum mich der Roman trotzdem nicht einfangen konnte und mich über weite Strecken gelangweilt oder geärgert hat. Hier ist das Ergebnis meiner Überlegungen.

Zunächst zum Plot: In diesem Alternativgeschichte-Roman stürzt 1952 ein Meteorit in der Nähe der USA in den Ozean. Durch Druckwelle, Brände, Überschwemmungen und abstürzende Trümmer werden ganze Städte ausgelöscht, weite Landstriche verwüstet. Die Pilotin Elma führt komplexe Berechnungen für das Raumfahrtprogramm der USA aus. Sie überlebt mit ihrem frisch angetrauten Mann Nathaniel, dem Leiter des Raumfahrtprogramms der USA, in einem Landhaus in den Bergen. Sie besitzen nicht nur ein Auto, sondern auch ein privates Flugzeug, mit dem sie sich retten können, nachdem das Haus einstürzt. Die beiden sind jüdisch.
Sie fahren zu einem Militärstützpunkt und kommen bei einem zunächst fremden Schwarzen Paar unter. Elma wird von ihrem Bruder, einem Meteorologen, gebeten, Berechnungen zu den Folgen des Meteoriteneinschlags durchzuführen. In Folge erkennt sie als Erste, dass das Leben auf der Erde wegen folgender Klimaveränderungen für Generationen kaum noch möglich sein wird: Nach einer kurzen Kälteperiode wird sich das Klima so aufheizen, dass Extremwetterereignisse massiv zunehmen. Die einzige Chance sieht sie in Kolonien auf dem Mond und Mars. Und da sie raumfahrtbegeistert ist und eh schon für die Raumfahrt rechnet, möchte sie gern Astronautin werden. Aber das ist bislang ausschließlich ein Beruf für Männer. Das Buch schildert ihren Kampf, diesen Wunsch umzusetzen. Im letzten Kapitel sitzt sie als erste Frau in einer Rakete zum Mond. (Ich denke, bei einer Reihe, die sich Lady Astronaut nennt, ist das kein Spoiler.)

Sylvana Freyberg, Yvonne Tunnat und Uwe Post (Hg.) Future Fiction Magazin 6 / April 2024. Deutsche Ausgabe

 enttäuschend

FFM 6Im Vorwort dankt Uwe Post den Käufer*innen des Magazins und verdeutlicht, wie schwer es sei, geeignete deutschsprachige Texte zu finden, die einen positiven Zukunftsausblick enthalten.

Joshua Tree: Mensch/Nicht (Deutschland)

Die Zutaten zu dieser Geschichte sind altbekannt: Ein weitgehend isoliert arbeitender weißer Mann entdeckt ein Artefakt und lässt sein Team hinter sich, um einen Erstkontakt zu wagen. Dazu benutzt er ein Tauchboot, das ihn allein zu dem Alien bringt.
Tree schafft es, die Unternehmung sehr stimmungsvoll zu schildern, und er hat auch eine eigene Sprache, die die Handlung gut trägt. Für mich wirkt sie allerdings an vielen Stellen etwas zu umständlich, die vielen Vergleiche, die teilweise sehr bekannte Bilder zeichnen, bremsten für meinen Geschmack den Lesefluss zu sehr. Auch die autoritäre Hauptfigur, die ihrem Ziel nachgeht, weil sie es kann, ist für mich nicht mehr wirklich spannend, da zu oft gelesen.
Ich habe einige Stellen im Text mehrfach gelesen, weil ich annahm, mir seien die genauen Motive der Hauptfigur und die der begleitenden Crew entgangen, aber mir scheint, Tree bleibt hier wirklich vage. Das empfinde ich als unbefriedigend: Warum ist das Boot dort unterwegs? Und wieso schmuggelt er Plutonium? Auch wenn eine Bedrohung der Erde durch ein zweites Alien im All konstatiert wird, kommt bei mir nicht recht Spannung auf. Was haben die beiden miteinander zu tun? Was sind ihre Motive? Was sind es für Wesen?
Der Text gipfelt in einer Unterhaltung mit dem Alien, die philosophisch daherkommt, für mich aber so vage bleibt, dass ich ihr nicht wirklich folgen kann. Was bekommt der Kapitän geschenkt? Was berührt das in ihm? Was macht das mit ihm?
Alles in allem bleibt für mich eine rein schreibtechnisch solide Geschichte, der aber die wirkliche Geschichte fehlt. Auch einen positiven Zukunftsausblick kann ich nicht entdecken.

Martha Wells: System Collapse (Murderbot 7). Tor

Actionreich, aber für Profis übererklärt

System CollapseDass ich Fan der Murderbot-Serie bin, ist für Leser*innen dieses Blogs kein Geheimnis. So musste ich natürlich auch das neueste Buch der Serie gleich im englischen Original kaufen. Ich verschlang es wie alle anderen, es ließ mich aber mit einem unbefriedigten Gefühl zurück. Nun habe ich es ein zweites Mal gelesen und mein Eindruck hat sich bestätigt: Es ist ein gutes Buch, aber mir fehlt etwas, um es genial zu machen.

Nach dem chronologisch letzten Buch (Network Effekt) ist Murderbot zusammen mit fünf (!) Gruppen von Menschen in der Nähe eines abgelegenen Planeten, der mit Alien-Reststoffen kontaminiert ist. Mensah und Pin-Lee kennen wir schon aus den ersten Büchern. Sie sind gekommen, um Murderbot zu unterstützen. Amena und Tiago und deren Crew kennen wir aus Netzwerk-Effekt, sie sind mit Murderbot entführt worden und in Netzwerk-Effekt gerettet worden. Ebenso wie die Crew von ART (in den deutschen Büchern Fifo) mit Iris an der Spitze, die die Bevölkerung des Planeten vor der Versklavung durch den Konzern Barish-Estranza retten möchte. Und dann sind da noch die Crew von Barish-Estranza und die Bewohner*innen des Planeten. Das klingt nicht nur unübersichtlich, das ist es. Im Verlauf von „System Collapse“ erweisen sich die Menschen auf dem Planeten als drei verschiedene Gruppen, was die Sache weiter verkompliziert. Als wichtige Person, die aktuell zu keiner Gruppe gehört, ist noch Three zu nennen, eine SecUnit ohne Chefmodul, die von Murderbot und ART befreit wurde.

Sarah Stoffers: Berlin: Magische Knochen. Amrun

spannend und düster

Berlin Magische Knochen

 

Nach der Begeisterung über Welt und Figuren des ersten Bandes tauchte ich mit hohen Erwartungen in Band zwei. Stoffers lässt ihre bekannten Figuren, die Erfinderin und Gleiterpilotin Mathilda Sturm und den Zauberlehrling und nun obersten Bibliothekar Fidelio Lafrenz auf der Suche nach der verschwundenen Ling Berlin verlassen. Ling ist eine Nebenfigur aus dem ersten Band, die einige Geheimnisse verbirgt. Sie ist die zweite Geliebte von Mathilda und bekommt im zweiten Band auch eine eigene Perspektive, die allerdings nicht sehr viel Raum erhält. Wie im ersten Band auch gibt es daneben noch weitere kurze Ausflüge in andere Perspektiven. So sehen Lesende einem Assassinen dabei zu, wie er seinen Lehrling misshandelt und entwertet und kaltblütig eine Person nach der anderen ermordet. Ich nahm an, dass jeder Mord sich in die Handlung einfügen würde. Leider war das nicht der Fall. Die zahlreichen Stränge und Anknüpfungspunkte, die teilweise bereits im ersten Band vorbereitet wurden, fallen hier auseinander. Der Weltenbau bleibt an vielen Stellen kryptisch, die einzelnen Regionen der Welt unverbunden.