Patricia Eckermann: Elektro Krause. tredition

spannend und flippig

Elektro Krause

 

 

Der Einstieg in diesen Roman hat mich sofort begeistert: In flapsiger Sprache erzählt mir da Ich-Erzählerin Kassy, dass sie als Schwarze Deutsche bei ihrem Heimatland sofort an Nazis denkt. So auch, wenn sie sich an 1989 erinnert, die Zeit, in der die Handlung spielt. Um mal zu zitieren: „Okay, ein paar feige Verpisser, darunter auch der Arsch, der uns das ganze Elend eingebrockt hat, haben sich vor Kriegsende selbst aus dem Leben gekugelt, aber der große Teil der Nazis ist einfach so durchgekommen“. Das empfinde ich als witzig, zugespitzt und sehr eigen. In mir weckt es die Erwartung eines lebensnahen Textes über das Leben als Schwarze Deutsche mit eigenem Blick auf die Nazizeit und das Fortdauern entsprechender Ideologie ins Heute.

 

 

Lena Richter: Dies ist mein letztes Lied. Ohneohren

berührend und viel zu schnell vorbei

Letztes Lied Cover

 

Diesen Schreibstil habe ich sofort geliebt: eigene Bilder und trotzdem leicht lesbar, eine flüssige Sprache, die das Beschriebene in mir lebendig werden lässt. Die Hauptperson Qui wächst in einer zukünftigen Welt auf, in der Qui eigene Träume langsam vergisst und zwischen Ablenkung und Arbeit pendelt – genau wie Quis Freund*innen. Als es darum geht, auf einem klavierähnlichen Instrument zu spielen, um drei Drinks zu gewinnen, sitzt Qui erstmals seit Jahren wieder an einem Instrument. Aus Quis Fingern fließt ein Lied, das die gesamte Sehnsucht und Ausweglosigkeit fasst, und es erscheint eine magische Tür, die nur Qui durchschreiten kann. Qui geht – und begibt sich in ein neues, unerklärliches Leben.

 

 

Judith Vogt, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan (Hrsg.): Queer*Welten 10-2023

volle Ladung queere SF

qw10 front bw 700x1001Das Vorwort äußert sich diesmal zu jeder Kurzgeschichte und ordnet diese ein – und legt dar, dass diese Jubiläumsqueerwelten einen Science-Fiction-Schwerpunkt hat. Da bin ich natürlich sofort begeistert!

Melanie Vogltanz: No Filter

Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich eine Kurzgeschichte mit wechselnden Perspektiven gelesen habe, die mich wirklich überzeugt hat: Sem und Eris begegnen sich, weil Sem die alte DVD-Sammlung der Mutter verkauft. Und Eris sammelt alte DVDs, aus Zeiten, in denen nicht jeglicher Content zensiert wurde, so wie es jetzt in dieser Welt passiert. In kleinen Szenen wird deutlich, was das bedeutet. Der Text schildert sensibel das Zusammentreffen beider Personen und zeigt einen Umgang mit potenziell verstörenden Inhalten auf, der ohne Verbote auskommt.
Mich hat dieser Text begeistert. Es ist genau die Sorte Text, die ich mir für meine „Psyche mit Zukunft“-Ausschreibung wünsche: sprachlich schön, mit eigenen Bildern und Vergleichen, inhaltlich dicht und mit mehreren Ebenen (da wird nebenbei noch eine Mutterbeziehung aufgemacht und eine Freundschaft erzählt), und mit ausgefeilten aber nicht übererklärten Charakteren, die mit ihren Eigenheiten sensibel dargestellt werden.
Hachz! Ich liebe diesen Text!

Becky Chambers: A Psalm für the Wild-Built: 1 (Monk & Robot). Tom Dohorty Associates

ein Buch wie ein warmes Bad

Cover Monk and Robot 1Auf einem weit entfernten Mond lebt Geschwister Dex und ist irgendwie unzufrieden. Dex möchte dieses Gefühl abschütteln, aber es gelingt nicht recht. Und so ändert Dex den Beruf und wird „Teamonk“, bietet ein mobiles psychologisches Beratungsangebot an. Dex wird sogar richtig gut darin. Und ist immer noch unzufrieden. Etwas fehlt. Dex folgt diesem Fehlen und begegnet dem Roboter Mosscap. Gemeinsam gehen sie auf Pilgerfahrt.

So könnte eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes von „A Psalm für the Wild-Built“ aussehen. Das klingt erst einmal reichlich unspektakulär und genau das ist es auch, was ich an Chambers’ Büchern so liebe: Hier geht es nicht um die große Action oder Spannung. Die Handlung entspinnt sich ruhig – leider mit für meinen Geschmack zu starken Längen im zweiten Kapitel – dieses plätschert so dahin. Trotzdem konnte ich das Büchlein kaum beiseite legen, als ich erst einmal beim dritten Kapitel angelangt war. Chambers schafft es, ein durch und durch ausgeklügeltes Universum zu schaffen, uns nebenbei eine Utopie zu servieren: Die Menschen haben den Mond genauso zugrunde gerichtet wie wir es gerade mit der Erde versuchen. Dann gab es eine Zäsur: Die Roboter entwickelten Bewusstsein. Es wurde beschlossen, den Mond aufzuteilen. Menschen leben in kleinen, ihnen zugewiesenen Gebieten, die anderen Gebiete gehören der Natur und den Robotern. Das gesamte Leben der verbliebenen Menschen ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und wir erfahren an vielen kleinen Details, was das im Alltag bedeutet. Chambers schafft es, hierfür humorvolle und eigenwillige Vergleiche zu finden, die das Lesen zum Genuss machen.

Perry Rhodan 3195
Robert Corvus: Der Überläufer. Vorstoß zu FENERIK - ein Schiff will Rache. Pabel-Moewig

rasantes Häh?

PR3195Jol goes Perry Rhodan – wie kommt denn das zustande? Um zu erklären, warum ich mich hier zu einem Perry-Rhodan-Heft äußere, muss ich etwas ausholen. Zunächst die Einordnung: Perry Rhodan ist eine Heftromanserie, die 1961 gegründet wurde und seitdem ununterbrochen wöchentlich erscheint. Ich habe Heft Nummer 3195 gelesen, inzwischen sind mehr als 3200 Hefte erschienen. Die Auflage betrug 2019 jeweils 60.000 Hefte, ich denke, dass kaum ein Science-Fiction-Buch da mithalten kann.
Im Science-Fiction-Fandom entbrennt seit einigen Jahren ein Streit um die Frage, warum Perry-Rhodan-Hefte bei den Genre-Preisen Deutscher Science-Fiction-Preis (DSFP) und Kurd Laßwitz Preis (KLP) so wenig vertreten sind. Einige Stimmen vertreten die Ansicht, dass Perry Rhodan (PR) die deutsche SF enorm geprägt hätte und dass es daher auf einen Mangel bei der Preisvergabe hinweise, wenn PR-Autor*innen in den Nominierungslisten oder unter den Preisträgern kaum auftauchen. Ich für mich kann festhalten, dass ich mit osteuropäischer und ostdeutscher SF aufwuchs. Mit Perry Rhodan kam ich erst als junge erwachsene Person in Kontakt, ein Kontakt der mich so wenig begeisterte, dass ich mir nach dem ersten nie wieder ein zweites Heft gekauft habe. Stattdessen gab es eine John-Sinclair-Phase. Das ist über zwanzig Jahre her und ich bin froh, ihr entwachsen zu sein. Hier soll es nur darum gehen, dass meine SF-Kariere ;) nicht von PR geprägt ist. Mir sagte zwar der Name etwas, mehr aber auch nicht.
Im Scifinet-Forum gab es eine rege Diskussion um die Frage „Preise und PR“, die Diskussion wurde außerdem in einschlägigen Magazinen (Sol, Andromeda Nachrichten) vorangetrieben. Eine herangezogene Erklärung für das Fehlen der Heftromane in den Nominierungslisten war neben der Tatsache, dass beispielsweise der Deutsche Science-Fiction-Preis Heftromane von der Preisvergabe schon qua Statuten bis vor kurzem ausschloss, die Frage, ob Perry-Rhodan-Hefte unabhängig voneinander lesbar seien. Kann man als Lesende*r ohne Kenntnis des Perryversums einfach so ein Heft in die Hand nehmen und lesen? Robert Corvus, einer der 14 Autor*innen im aktuellen PR-Team der PR-Erstauflage (davon drei Frauen) behauptete: Ja. Er behauptete auch, dass es ein Vorurteil sei, dass Heftromane keine Qualität böten und dass die Romane auf der Höhe der Zeit seien und Diversität und Modernität bieten. Darum ließ ich mich auf ein Experiment ein: Ich, als Person, die für den KLP abstimmungsberichtigt ist, lese ein von Robert Corvus empfohlenes PR-Heft und blogge darüber. Hier ist das Ergebnis.

Becky Chambers: A Prayer for the Crown-Shy (Monk & Robot 2). Tom Dohorty Associates

berührendes Wohlfühlbuch

Monk and Robot 2Der Mensch Dex und der Roboter Mosscap, die man schon aus dem ersten Band kennt, bereisen zusammen die Menschenwelt. Ohne Spannungsbogen im klassischen Sinne folgen wir den beiden lesend, sehen zu, wie Mosscap verschiedenen Menschen seine Forschungsfrage stellt: „What do you need?“ Natürlich ergeben sich die absurdesten Begegnungen und Antworten.
Dex beschließt, seinen Beruf aufzugeben und nicht wieder Teezeremonien abzuhalten. Dex wird so zum Begleiter von Mosscap, lässt sich im Wesentlichen treiben. Gemeinsam entdecken sie Dex’ Welt neu. Mich hat dabei recht schnell eine Leerstelle gewundert, die mir schon im ersten Band aufgefallen ist, und die ich hier nicht näher benennen möchte, weil sie am ehesten das ist, was in diesen Büchern den Spannungsbogen bildet. Der Text geht dieser Leerstelle nach und reichert sie immer weiter an, bis Dex und Mosscap Dex’ Familie besuchen und kurz darauf alles in einem enorm berührenden Gespräch kulminiert, das mir die Tränen in die Augen getrieben hat. So ergibt sich ein beide Bücher durchziehendes zentrales Thema, das über weite Strecken recht unauffällig mitläuft – was ich als eine hohe Kunst empfinde! Und plötzlich bekommt der Titel einen Sinn. Einen sehr, sehr schönen.
Daneben behandelt Chambers weiter Themen wie Sterblichkeit und was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Mich haben vor allem die Begegnungen mit Menschen, die willentlich auf jegliche Technik verzichten, berührt.

Michael Hirtzy: Gutabara. Vorteks 1. Selbstverlag

spannende Kriminalstory im All – leider ohne Auflösung

Hirtzy GutabaraColonel Vardans erhält auf einem Raumschiff eine unerwartete Nachricht: Eine Frau ruft ihn an. Er und die anrufende Frau zicken sich an, beide erscheinen gleichermaßen unsympathisch und unreif und ich frage mich, was ich mit dieser Schilderung soll, zumal ich nicht verstehe, worum es geht.
Dann wechselt die Perspektive zu Val auf der titelgebenden Gutabara, auch dies ist ein Raumschiff. Val ist erste Offizierin, erwacht aus dem Kryoschlaf und erscheint mir sympathischer als Vardans. Dann wechselt der Text zu Jerome, der wohl – vielleicht – nun wirklich die Person ist, um die es geht. Seid ihr verwirrt? Ich auch.
Mich irritierten die vielen Perspektivwechsel. Sie erschwerten mir die Orientierung und verhinderten, dass ich mit einer Person warm wurde. Meine Sympathien lagen am ehesten bei Jerome, wobei ich gern wissen wollte, warum er nach dem Aufwachen unter so starker körperlicher Schwäche leidet. Auch das erweist sich aber als nicht verfolgte falsche Fährte, die bis zum Ende des Buches nicht wieder aufgenommen wird. Jeromes Perspektive bricht einfach ab. Auch Vardans kommt nie wieder vor. Kurz vor Ende wird noch eine neue Perspektive eingeführt, die ebenfalls nicht wieder aufgegriffen wird. Trotzdem ist dieses Buch eines der wenigen, die ich bis zum Ende gelesen habe. Nanu, was ist da los?

C‘t Storys 2021 und 2022

unterhaltsam, aber durchwachsen

ct allgemeinVor geraumer Zeit habe ich hier ausführlich über die Kurzgeschichten im Computermagazin c’t geschrieben. Inzwischen sind über zwei Jahre vergangen, in denen ich jede einzelne c’t-Story gelesen und auch selbst drei Geschichten in der c’t veröffentlicht habe. Ich kann also vermelden, dass die c’t für Autor*innen jeglichen Geschlechts offen ist – so lange in den Texten keine Neopronomen oder Sternchen vorkommen. Und: Die c’t ist einer der wenigen Orte, an denen für veröffentliche Kurzgeschichten ein Honorar gezahlt wird, dass mehr als nur symbolisch ist. Allerdings wird das Honorar trotzdem der investierten Zeit nicht gerecht (zumindest in meinem Fall nicht). Ein Bonus sind auch die Illustrationen zu den Geschichten.